Rockwells Ermordung durch einen Gefolgsmann vergleicht Saleam natürlich mit dem tödlichen Verrat, den der Jünger Judas an Jesus beging. Matt Koehl wiederum erhält den Part des Petrus als erster Papst einer neuen Kirche, als Bewahrer des rechten Glaubens, der die Schlüssel zum Heil in Händen hält und auch bestimmt, wer aus der einen wahren Partei exkommuniziert wird, und nach welchen Riten. Es gibt tatsächlich strukturelle, wenn nicht, vom Theologischen her, auch inhaltliche Parallelen zwischen der Frohen Botschaft des Christentums und dem rassistischen Evangelium des Neonazismus. Beide haben sie einen starken eschatologischen Zug, und beide zählen sie auf einen Messias, der alles richten wird. Es dürfte angesichts dieser Ähnlichkeiten nicht verwundern, dass, wo christlicher Fundamentalismus seine Prägekraft entfalten konnte, die Erlösungslehre der Neubraunen leichter Eingang findet, zumindest bei Einzelnen.
George Lincoln Rockwell war nicht der Erste, der in den USA mit nazieskem Gedankengut hausierte. Bereits während der 30er-Jahre gab es Gruppen, die sich patriotisch, aber prodeutsch artikulierten und Appeasement -Politik predigten. Rockwell und seine Erben übernahmen Antisemitismus und Ultranationalismus, fügten allerdings ein paar aktuelle Programmpunkte hinzu, so den von der Logik des Kalten Kriegs vorgegebenen Kampf gegen den Kommunismus. Seit dem Verschwinden des Ostblocks spielt der keine große Rolle mehr; jetzt streitet man eher gegen die »Anmaßung« der Zentralregierung in Washington, die Lebensverhältnisse in allen Bundesstaaten gleichzuschalten, oder gegen die »Neue Weltordnung«, die laut neonazistischen Verschwörungstheorien einflussreiche und international verflochtene Geheimgesellschaften errichten wollen. Doch bei allen Modifikationen: Es überwiegen doch die Kontinuitäten; die Neonazis unserer Tage sehen sich durchaus dem verpflichtet, wofür ihre geistigen Vorgänger kämpften, von denen sie einzelne gar verklären. Diese Kontinuität zeigt sich besonders in drei Bereichen. Erstens: Wie eh und je verfechten die Neonazis die Überlegenheit der weißen Rasse und Hass gegen Schwarze und sonstige Andersfarbige. Unter dem aktuellen Kampfruf »Weiße Identität« erstrebt man die Rücknahme aller Gesetze für mehr Chancengleichheit, die unter dem Eindruck der Bürgerrechtsbewegung seit den 60er-Jahren erlassen wurden. Zweitens: Die Neonazis bekennen sich besonders entschieden zum Antisemitismus. Sie wollen durch einen Krieg gegen das Judentum in Amerika und in der Welt erreichen, was den 1945 geschlagenen Ur-Braunen versagt geblieben war: die Vollendung des Holocaust. Drittens: Am meisten kennzeichnet die neuen Nazi-Sekten wohl der quasi-religiöse Kult um Adolf Hitler. Sie werten ihn auf zum Retter der weißen, westlichen Welt. In allen Nazi-Gruppen wird Hitlers Geburtstag feierlich begangen; er ist das höchste Fest ihres Kalenders. An diesem Tag holen Hitlers späte Jünger die das restliche Jahr über sorgfältig verborgenen Nazi-Reliquien und -Devotionalien aus den Verstecken und stellen sie in eigens dafür bestimmten Schreinen zur Schau. Sowohl in Outfit und Gebaren als auch in Symbolbräuchen und Mythologie gleicht der amerikanische Nazismus einer verfolgten religiösen Sekte, die sich bereit macht zum militanten Kampf gegen eine dem Bösen verfallene Welt.
1Die folgenden biographischen Details nach William L. Pierce: »George Lincoln Rockwell. A National Socialist life«, in National Socialist World , Nr. 5 (Winter 1947), S. 13-36, und nach der Autobiographie des »American Fuehrer«: George Lincoln Rockwell, This Time the World , J. V. Kenneth Morgan, Arlington/Virginia 1961. Weitere Hintergründe liefern zwei jüngst erschienene Monographien: Frederick J. Simonelli: American Fuehrer. George Lincoln Rockwell and the American Nazi Party , University of Illinois Press, Urbana-Champaign/Illinois 1999, zum Folgenden s. bes. S. 5-12; William H. Schmaltz: Hate. George Lincoln Rockwell and the American Nazi Party , Brassey’s, Washington 1999, zum Folgenden s. bes. S. 5-11.
2Vgl. Simonelli, a.a.O., S. 16f.; Schmaltz, a.a.O., S. 12-14.
3Vgl. Simonelli, a.a.O., S. 18f.; Schmaltz, a.a.O., S. 15.
4Vgl. Simonelli, a.a.O., S. 19-21; Schmaltz, a.a.O., S. 15-18.
5Vgl. George Lincoln Rockwell: White Power , Liberty Bell Publications, Reedy/West Virginia 1977, S. 130-133; Schmaltz, a.a.O., S. 19-21.
6Rockwell, Time, S. 154f.
7Zit. n. George P. Thayer: The Further Shores of Politics. The American Political Fringe Today , Simon & Schuster, New York 1968, S. 27.
8Vgl. Rockwell, Time, S. 173; Simonelli, a.a.O., S. 23-24; Schmaltz, a.a.O., S. 23-24.
9Vgl. Simonelli, a.a.O., S. 24-26; Schmaltz, a.a.O., S. 25-29.
10Vgl. Simonelli, a.a.O., S. 27f.; Schmaltz, a.a.O., S. 29-34.
11Rockwell, Time. S. 296-302. Zu den mutmaßlichen Verbindungen zwischen Rockwell und den im Zusammenhang mit dem Anschlag von Atlanta Verhafteten s. Melissa Fay Greene, The Temple Bombing , Jonathan Cape, London 1996, S. 219-223.
12Vgl. Rockwell, Time, S. 309-310; Simonelli, a.a.O., S. 30f.; Schmaltz, a.a.O., S. 41.
13Vgl. Simonelli, a.a.O., S. 36f.
14Vgl. Simonelli, a.a.O., S. 44f.; Schmaltz, a.a.O., S. 71-78.
15Vgl. Simonelli, a.a.O., S. 72-75; Schmaltz, a.a.O., S. 133-135.
16Vgl. Rockwell, Power, S. 259-269.
17Zu Rockwells Leben, den Aktionen der American Nazi Party und die verschiedenen Reaktionen auf diese s.a.: Mark Sherwin: The Extremists , Saint Martin’s Press, New York 1963, S. 139-155; Thayer, a.a.O., S. 13-33; Charles Higham: American Swastika , Doubleday, New York 1985), S. 274-280.
18Vgl. Simonelli, a.a.O., S. 86; Schmaltz, a.a.O., S. 146-150.
19Vgl. Schmaltz, a.a.O., S. 232f.; Lloyd zit. n. ebenda.
20Vgl. Simonelli, a.a.O., S. 87-95.
21Gottfried Feder: »The Twenty-Five Points«, in National Socialist World , Nr. 3 (Frühling 1967), S. 13-24; Matt Koehl, »Adolf Hitler: German Nationalist or Aryan Racist?«, in National Socialist World , Nr. 4 (Sommer 1967), S. 13-22; Robert F. Williams, »The Black Plague: Race War in America«, in National Socialist World , Nr. 5 (Winter 1967), S. 67-84.
22William L. Pierce: »Editorial«, in National Socialist World , Nr. 4 (Sommer 1967), S. 8-11.
23Vgl. Schmaltz, a.a.O., S. 304f., 319.
24Vgl. Simonelli, a.a.O., S. 131-137.
25Zu diesen und weiteren Details, Matt Koehls Biographie betreffend, s. Simonelli, a.a.O., S. 77-79. Mai 1958 gründete Matt Koehl eine NSRP-Ortsgruppe in Atlanta; einige Mitglieder derselben kamen später wegen mutmaßlicher Beteiligung am erwähnten Synagogen-Attentat vor Gericht; vgl. Greene, a.a.O., S. 209f.
26Koehl, a.a.O., S. 15, 17.
27Matt Koehl: »Some Guidelines for the Development of the National Socialist Movement”, in National Socialist World , Nr. 6 (Winter 1968), S. 8-17, hier 12, 14f. Hitler zit. n. Adolf Hitler, Mein Kampf , Zentralverlag der NSDAP, München 1936, S. 422.
28Matt Koehl: »Resurrection«, Broschüre des New Order, Nachdruck eines Editorials aus NS Bulletin , April 1987.
29Matt Koehl: »Hitler. Man and Symbol”, Broschüre des New Order mit dem gekürzten Text einer Rede vom 14. August 1991.
30Matt Koehl: Faith of the Future , New Order, Milwaukee/Wisconsin 1995, S. 31; erstm. als Artikel u. d. T. »Hitlerism: Faith of the Future” in The National Socialis t, Frühling 1982.
31Matt Koehl: »We fought on the wrong side”, Broschüre des New Order, Nachdruck eines Editorials aus NS Bulletin , 2. Quartal 1995.
32Einige Original-Propagandamaterialien der NSLF, darunter auch Flugblätter, sind nachgedruckt in: James Mason: Siege. The Collected Writings of James Mason , hrsg. u. eingel. v. Michael M. Jenkins [d.i. Michael Moynihan]; vgl. zu dem hier Angeführten ebenda S. XIX, 7, 19, 24.
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