John Colin Campbell Jordan wurde 1923 in Birmingham geboren. Er besuchte die Warwick School, eine renommierte Privatschule im nahen Warwick. Dort gewann er ein Stipendium für das Studium der Geschichte an der Universität von Cambridge. Mittlerweile tobte der Weltkrieg. Jordan unterbrach sein Studium und meldete sich freiwillig zur Fleet Air Arm (»Marineluftflotte«). Er wäre gern Marinepilot geworden, belegte auch entsprechende Kurse, scheiterte aber in der Abschlussprüfung. Unverdrossen ließ er sich zur Royal Air Force versetzen, um weitere Flugerfahrung zu sammeln. Ende 1944, behauptete er später, habe sich sein politisches Weltbild fertig entwickelt; er habe erkannt, dass England einen ungerechten Kampf kämpfe, und sei für einen Verhandlungsfrieden mit Deutschland eingetreten. Da als Flieger noch nicht voll einsatzfähig, wurde Jordan zurückgestellt. Man teilte ihn dem Royal Army Medical Corps zu, dem Sanitätscorps des britischen Heeres, wo er als Fachlehrkraft wirkte. Nach der Entlassung aus der Armee setzte er ab 1946 sein Studium am Sidney Sussex College in Cambridge fort. Und wie viele seiner Kommilitonen, die gleich ihm zwischendurch im Krieg waren und als schon reifere junge Erwachsene auf den Campus zurückkehrten, engagierte sich auch Colin Jordan im Universitätsleben außerhalb der Lehrveranstaltungen. So trat er in die Redaktion der Universitätszeitung Varsity (»Uni«) ein, desgleichen in den hochschuleigenen Debattierclub, wo er bald das große Wort führte. Er verließ das College 1949 mit einem guten Abschluss. 2
Schon während seiner Universitätsjahre in Cambridge knüpfte Colin Jordan Kontakte zu mehreren nationalistischen und neofaschistischen Gruppen und warb vor Ort eifrig für rechte Ideen, streckte die Fühler aber auch ins Überregionale aus. An der Hochschule selbst gründete er den University Nationalist Club . Er trat ein in die antisemitische British Peoples Party (»Britische Volkspartei«), kurz BPP, und wurde bald in ihren Vorstand gewählt. Zu diesem Verbund ein knapper Rückblick. Die BPP war im Sommer 1939 von dem rührigen Faschisten John Beckett gegründet worden. 1937-38 hatte der Mussolini-Bewunderer Beckett bereits die Vorgängerorganisation geleitet, die National Socialist League (»Nationalsozialistische Liga«), gemeinsam mit einem anderen nicht unprominenten Rechtsradikalen, William Joyce. Dieser begabte Rhetoriker und Hitler-Verehrer floh 1939 nach Deutschland und machte von Berlin aus während des Krieges englischsprachige Rundfunkpropaganda für die Nazis. Dem affektierten Sprechton der britischen Oberschicht, dessen er sich dabei bediente, verdankte er seinen Spitznamen »Lord Haw-Haw«. Die Feindwerbung verzieh man ihm daheim nicht; 1946 wurde Joyce wegen Hochverrats hingerichtet. Die BPP nun pflegte weiter faschistisches Gedankengut, ohne wie die National Socialist League allzu explizit auf das braune Deutschland Bezug zu nehmen. Man rückte soziale Aspekte in den Vordergrund, namentlich ein bestimmtes Wirtschaftskonzept, das, von dem Schotten Clifford H. Douglas ersonnen, seit den 20er-Jahren bei den Rechtsextremen aller Welt im Schwange war und Social Credit hieß. Dieses Konzept verlangt, das monetäre System (»credit«) so umzubauen, dass es dem gesellschaftlichen Wohlstand und Fortschritt (»social«) dient. Raffendem Kapital, Zinsknechtschaft und Spekulation, kurz, der omnipotenten Herrschaft des Geldes wird der Kampf angesagt. Ein kompliziertes Umverteilungssystem soll allen Individuen ein auskömmliches Leben garantieren. Solcher »Antikapitalismus rechtsrum« erschien im England jener Jahre gesellschaftsfähiger als eine offener Parteinahme für das Dritte Reich. Diese vermied die BPP sorgfältig und forderte stattdessen lieber Friedensverhandlungen mit Deutschland: ganz im Sinne des Herzog von Bedford, eines prominenten englischen Pazifisten, unter dessen aristokratischer Patronage die BPP stand. So überlebte man Kriegsende und Internierung. Colin Jordan versuchte bald wieder, die rechte Sache im mittelenglischen Raum zu fördern. Nach seinem Weggang aus Cambridge gründete Jordan noch rasch in seiner Geburtsstadt den Birmingham Nationalist Club und leitete ihn eine Weile, bis er nach Leeds weiterzog, wo er mehrere Jahre an einer Schule unterrichtete. In jener Zeit profilierte er sich als furioser Antikommunist, der sich mit einem nicht minder furiosen Antisemitismus verband. 1955 erschien sein erstes Buch, Fraudulent Conversion. The Myth of Moscow’s Change (»Unterschlagung. Der Mythos von Moskaus Meinungswandel«). Darin behauptete er, die Sowjetunion werde unvermindert von Juden gesteuert; auch wenn die antisemitischen Ausfälle der späten Stalin-Jahre und die pro-arabische Linie der jüngsten sowjetischen Außenpolitik andere Schlüsse nahelegen mögen. Der Titel ist doppelsinnig: fraudulent conversion (wörtlich: »betrügerische Aneignung«), bezeichnet den Straftatbestand der »Unterschlagung«; nun gehört die Verdächtigung, die Juden wollten durch Arglist die Welt in ihren Besitz bringen, ja zu den klassischen Topoi der antisemitischen Propaganda. Nimmt man jedoch den Untertitel hinzu und bedenkt eine weitere Bedeutung des verwendeten Substantivs, lässt sich fraudulent conversion auch lesen als »vorgetäuschter Kurswechsel«. Es gebe nämlich keinen, meint Jordan. Die Zwistigkeiten zwischen Kommunismus und Zionismus seien nur ein innerjüdischer Strategiestreit um den besten Weg zur Erlangung der Weltherrschaft. 3
Eine seiner Bekanntschaften aus Cambridger Zeit sollte Jordans Mentor werden: der eingefleischte Antisemit Arnold Spencer Leese (1878-1956). 1929 hatte dieser die Imperial Fascist Ligue (»Faschistische Liga des Britische Imperiums«) gegründet, eine kleine, kaum zweihundert Mitglieder umfassende Partei, die sich, was prodeutsche und antisemitische Haltung betraf, im England der 30er-Jahre von keiner anderen Rechtsgruppe übertreffen ließ. Zu Oswald Mosleys British Union of Fascists wahrte die Liga stets Distanz. Leese betrachtete Mosley nämlich als Opportunisten und behauptete, sein Faschismus sei nicht im rassischen Nationalismus verwurzelt, wie sich das für echte Faschisten gehöre. Mosleys erste Frau sei gar jüdischer Abstammung gewesen, verbreitete Leese, und nannte den prominenten Rechtsextremenführer einen »koscheren Faschisten«, ja einen Agenten, den das Judentum in die nationalen Kreise eingeschleust habe, um den Faschismus in England zu diskreditieren. 41929-39 publizierte Leese ein nazifreundliches Magazin, The Fascist genannt. Kein Wunder, dass er während der Kriegsjahre wie andere Rechtsradikale auch unter die sog. 18B-Regelung fiel, welche die Internierung aller Personen vorschrieb, die dringend verdächtig waren, zur Fünften Kolonne der Deutschen zu gehören. Nach seiner Entlassung nahm Leese die antisemitische Publikationstätigkeit wieder auf und veröffentlichte 1945-56 von seinem Altersdomizil im südenglischen Guildford aus seine skurrile Zeitschrift Gothic Ripples (etwa: »Gotische Zacken«).
In seinem ersten Buch nach dem Ende des Dritten Reiches, The Jewish War of Survival (»Der jüdische Überlebenskampf«), erschienen bereits 1945, musste Leese einräumen, dass die Juden mit der Niederlage Hitlers einen Sieg errungen hatten; er meinte aber, eine entschlossene antisemitische Politik könne auch jetzt noch ihre Macht brechen. 1947 landete Leese kurz erneut im Gefängnis, weil er zwei holländischen Mitgliedern der Waffen-SS zur Flucht verholfen hatte. Was Leese nach dem Krieg von sich gab, wirkt noch kruder als seine früheren Äußerungen. Er glaubte etwa, die Juden förderten die Einwanderung Farbiger, um die rassische Substanz des Britentums zu verdünnen, damit sie die arische Kultur leichter zerstören könnten. Den Arier erklärte er zum Schöpfer aller Kultur und Zivilisation; der »Neger« hingegen war für ihn die niederste Menschenart. Wie Hitler betrachtete Leese die Juden als eine Anti-Rasse, als infernalischen Feind des arischen Menschentums. Dass mit Colin Jordan ein Vertreter der jüngeren Generation seine Gedanken so begeistert aufnahm, bedeutete Leese viel; der dynamische und intelligente Heißsporn schien ihm der richtige Mann zu sein, um seine Ideen weiterzutragen. Jordan wiederum sah in Leese sein großes Vorbild und seinen wichtigsten Lehrer und Berater. Die beiden blieben enge Freunde, bis Leese 1956 verstarb. In Winifred Leese, der Witwe des Altfaschisten, die ihrer Katze den Hitlergruß beigebracht hatte, besaß Jordan während der nun folgenden Auseinandersetzungen innerhalb der rechtsradikalen Szene eine standhafte Unterstützerin. Wie stark Arnold Leese Colin Jordan beeinflusst hat, erwies sich vor allem in der ideologischen Mixtur, mit der Letzterer jetzt an die Öffentlichkeit trat: einerseits rassistischer Populismus als Reaktion auf die Massenimmigration Farbiger, andererseits Fortführung des klassischen Antisemitismus, wie ihn die extreme Rechte bereits in den Vorkriegsjahren gepflegt hatte.
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