Stefan Geyer/Jürgen Roth (Hg.)
Frankfurter Wegsehenswürdigkeiten
HA, was für eine Weltverachtung und wahre Wut sich mir heute morgen da schon wieder an meiner Schreibmaschine, meiner an sich friedlichen, ja gemütlichen Schreibmaschine entfackelt, oh, was eine Wut, auf Frankfurt und diesen Wallmann und Brück und Goethe sowieso, eine Wut, vergleichbar durchaus der des kleinen Jungen zu Beginn von Ravels Kurzoper L’enfant et les sortilèges, wo er da schimpft: „J’ai envie de gronder tout le monde – Ich habe Lust, auf die ganze Welt wütend zu sein“ – und auf dieses Frankfurt, denk’ ich an Frankfurt schon am Tag, aber halt ganz besonders – seine zum Wegsehen zwingenden Monster und Struwwelpeter und Bronzeplastikbombastiken schon ganz, ganz speziell; auf diesen Henninger-Turm und jene brunnenverunzierte Hauptwache, sogar noch auf den jetzt weggesprengten Unihochhausturm, dann auch auf dieses Eintracht-Stadion und diesen angeblich nagelneuen sozialdemokratischen Oberbürgermeister da, auf die ganze Alte und die sogenannte Neue Frankfurter Schule dazu, dann dieses lustlos, ja gänzlich lustfrei vor sich hin gammelnde Frankfurter angeblich legendäre saudumme Bahnhofsviertel – alles, alles wahrlich weg sehenswürdige Dinge!
ECKHARD HENSCHEID
Stefan Geyer/Jürgen Roth (Hg.)
Frankfurter
Wegsehenswürdigkeiten
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.deabrufbar.
Es ist nicht gestattet, Abbildungen und Texte dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder mit Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.
Alle Rechte vorbehalten
© by Waldemar Kramer Verlag in der Verlagshaus Römerweg GmbH, Wiesbaden 2014
Der Text basiert auf der Ausgabe Waldemar Kramer Verlag, Wiesbaden 2014
Korrektorat: Karin Flörchinger, Hattersheim
Covergestaltung: Groothuis. Gesellschaft der Ideen und Passionen mbH Hamburg Berlin
Bildnachweis: © Stefan Geyer
Alle Rechte an den Photos bei den Autoren und den Herausgebern.
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0453-0
www.verlagshaus-roemerweg.de/Waldemar_Kramer
Übermenschliche Kräfte scheinen nötig, um sich in einer Stadt wie Frankfurt seine Heimat zu schaffen.
Bodo Kirchhoff
Vorwort – Von Joe Bauer
Die Hansaallee – Von Eva Demski
Ein Schloß für Barbie – Von Dieter Bartetzko
Die ihr eintretet – Von Dirk Braunstein
Ein Goetheturm, endlich vernichtet – Von F. W. Bernstein
Vorbildliche Leistung – Von Arno Dahmer
Kaisersack oder: Wo die Ungastlichkeit dieser Stadt ihren Anfang nimmt – Von Volker Breidecker
Grauer Grund – Von Stefan Geyer
Vor dem Gesetz – Von Stefan Gärtner
Gäbe es O-Bahnen – Von Mark Obert
Unten durch – Von Harry Oberländer
Siedlung Römerstadt – Von Tilman Birr
Die Baustelle – Von Mark-Stefan Tietze
Wie heißt er bloß wie heißt er bloß – Von Klaus Hensel
Der Schlips? Muß weg – Von Sybille Wilhelm
Frankfurter Menschen – Von Anonymus
Steine schreien leise oder: Zur skulpturalen Ausgestaltung von Taunusanlage und Gallusanlage – Von Leo Fischer
Balkone – Von Uve Schmidt
Der Tod, die Dummheit, das Glück – Von Rayk Wieland
Im Kopf des Bankers – Von Jess Jochimsen
Wer will den ganzen Krampf noch einmal in echt erleben? – Von Elsemarie Maletzke
Zettelwirtschaft – Von Oliver Maria Schmitt
XXL-Spielothek – Von Christian Jöricke
Gebaute Sinnfrage – Von Severin Groebner
Das Oosten – Von Philipp Mosetter
Ein feiner Fluß – Von Jürgen Roth
Frankfurt: ins Verhältnis gesetzt – Von Michael Sailer
Atacamawüste – Von Stefan Behr
Frankfurter Jungs – Von Otto A. Böhmer
Das Königsbrünnchen im Stadtwald – Von Bert Bresgen
Geschichts- und bedenkenlos – Von Detlev Claussen
Hinter gelben Gittern – Von Jörg Schneider
Angloquatschagglomeration – Von Andrea Diener
2,80 Euro – Von Andreas Maier
Ein Beispiel der Frankfurter Unfreundlichkeit – Von Matthias Egersdörfer
Auf einen Schoppen in den Luftschutzkeller – Von Marco Gottwalts
Zunge mit Kraut– Von Hauck & Bauer
Visuelle Nötigung – Von Natalie de Ligt
Ich bin eine schöne Überschrift– Von Michael Tetzlaff
Bei den Morlocks – Von Katja Thorwarth
Lohnt nicht – Von Silke Wustmann
Drei bärenstarke Brunnen – Von Eckhard Henscheid
Nachwort
Autorinnen und Autoren
Von Joe Bauer
Dies ist das erste Vorwort meines Lebens. Ein Provinzler wie unsereins hat naturgemäß lieber das letzte Wort, im Glauben, er könne durch pausenlosen Redefluß seine Ahnungslosigkeit vertuschen. Die Pause an sich ist im Fluß des Lebens eine existentiell wichtige Einrichtung, völlig unterschätzt, und die beste Erholung auf der Flucht vor den Wegsehenswürdigkeiten einer Stadt findet der Spaziergänger im Park. Der Park, habe ich mal gelesen, hat im kakophonischen Gebilde einer Großstadt (und was sich dafür hält) eine ähnlich bedeutende Funktion wie die Pause in einem symphonischen Orchesterwerk. Deshalb ist es mehr als vernünftig, wenn die Bürger ihre Parks gegen die Bulldozer der Investoren und die Lobbyisten verteidigen.
Ich lebe seit Mitte der siebziger Jahre in Stuttgart und müßte angesichts der Texte im vorliegenden Buch eigentlich die Klappe halten. Der Schriftsteller Helmut Heißenbüttel verglich Stuttgart einmal mit einer Wanne: „Diese Wanne ist rundherum abgeschlossen, sie hat zwei offene Seiten, einmal zum Neckartal und in einem schmalen Durchgang nach Heslach und Kaltental. Ein Spaßvogel hat einmal gesagt, wenn man diese beiden Ausgänge zustopfte und die Wanne voll Wasser laufen ließe, würde aus Stuttgart ein schöner See.“ Eine reizvolle Idee angesichts der Tatsache, daß man für das Megalomanie-Projekt Stuttgart 21 mehrere Parks umpflügt, sechzig Kilometer Tunnel bohrt und damit Europas zweitgrößtes Mineralwasseraufkommen gefährdet. Offiziell heißt es, die Deutsche Bahn baue einen neuen „Tiefbahnhof“ – ein „Verkehrsprojekt“. Dummes Geschwätz. Propaganda. Als ob je irgendein Schwachsinniger Milliarden investierte, auf daß der ohnehin mißliebige Eisenbahnkunde ein paar Minuten schneller von Stuttgart nach München kommt.
Die Wahrheit ist: Die Gleise auf Gottes Erdboden müssen in den Untergrund, damit Bauland frei wird und das milliardenschwere Immobilien- und Bodenspekulationsgeschäft freie Fahrt genießt. Die übliche Landnahme, wir kennen das von den Indianern.
Fast immer geht es ums Geschäft, wenn die Städte verschandelt werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließen die Rathauspolitiker Stuttgart mit Stadtautobahnen tranchieren; danach mußte jeder Auswärtige glauben, Stuttgart ähnele mit seinen Fabriken von Mercedes, Porsche und Bosch irgendwelchen Industrielöchern im Kohlenpott. Dabei liegt die Stadt, wie von Dichtern ersonnen, in einem Talkessel mit Weinbergen, die man zur Zeit noch bei der Einfahrt mit dem Zug über dem von Paul Bonatz erbauten, inzwischen für S 21 ziemlich zerstörten Bahnhof sehen kann.
Читать дальше