Alexandre Dumas der Ältere - Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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Dumas (père), Alexandre

Joseph Balsamo

1 bis 4. Bändchen

Einleitung

I.

Der Donnersberg

Auf dem linken Rheinufer, ein paar Stunden von der kaiserlichen Stadt Worms, unfern von der Stelle, wo der Selzbach entspringt, beginnen die ersten Kettenglieder von mehreren Bergen, deren Höhen sich gegen Norden zu flüchten scheinen, wie eine Heerde erschrockener Büffel, welche im Nebel verschwinden würde.

Diese Berge beherrschen schon von ihrer Böschung an eine beinahe öde Landschaft, scheinen das Gefolge des höchsten derselben zu bilden und tragen jeder einen ausdrucksvollen Namen, der eine Form bezeichnet oder an eine Tradition erinnert: der eine ist der Königsstuhl, der andere der Rosenstein, der dritte der Falkenfels, der vierte der Schlangenkopf.

Derjenige, welcher am höchsten, seine Granitstirne mit einem Trümmerkranze umgürtend, zum Himmel emporragt, ist der Donnersberg.

Wenn der Abend den Schatten der Eichen verdichtet, wenn die letzten Sonnenstrahlen hinsterbend die hohen Gipfel dieser Riesenfamilie vergolden, so ist es, als steige allmälig die Stille von diesen erhabenen Stufen des Himmels bis zur Ebene herab und ein unsichtbarer, mächtiger Arm entwickle, um ihn über die durch das Geräusch und die Arbeiten des Tages ermüdete Welt auszubreiten, den langen, bläulichen Schleier, auf dessen Grunde die Sterne funkeln. Dann geht Alles unmerklich vom Wachen zum Schlafe über; Alles entschlummert auf der Erde und in der Luft.

Allein mitten in diesem Stillschweigen, verfolgt der bereits von uns erwähnte Selzbach, wie man ihn im Lande nennt, seinen geheimnißvollen Lauf unter den Tannen des Ufers, und obgleich ihn weder Tag noch Nacht aushalten, denn er muß sich in den Rhein werfen, der seine Ewigkeit ist, obgleich ihn nichts aufhält, sagen wir, ist doch der Sand seines Bettes so frisch, sind seine Schilfrohre so biegsam, seine Felsen so gut mit Moos und Steinbrech wattirt, daß keine seiner Wellen rauscht von Morsheim, wo er beginnt, bis Freiweinheim, wo er endigt.

Etwas oberhalb seines Ursprungs, zwischen Albisheim und Kirchheim-Bolanden, führt eine gekrümmte, zwischen zwei abschüssigen Wänden ausgehöhlte und von tiefen Geleisen durchfurchte Straße nach Dannenfels. Jenseits Dannenfels wird die Straße ein Fußpfad, dann nimmt der Fußpfad ab, verschwindet, verliert sich, und das Auge sucht vergebens auf dem Boden etwas Anderes, als den ungeheuren Abhang des Donnersbergs, dessen geheimnißvoller Gipfel, so oft vom Feuer des Herrn heimgesucht, das ihm seinen Namen gegeben hat, sich hinter einem Gürtel von grünen Bäumen wie hinter einer undurchdringlichen Mauer birgt.

Ist der Reisende einmal unter diesen Bäumen angelangt, welche so blätterreich, so buschreich sind, wie die Eichen der alten Dodona, so kann er seinen Weg fortsetzen, ohne daß man ihn, selbst am hellen Tage, von der Ebene aus gewahr wird, und wäre sein Pferd mit Schellen behängt, wie ein spanisches Maulthier, so würde man sein Geräusch doch nicht hören; wäre es mit Sammet und Gold bedeckt, wie das Roß eines Kaisers, so würde doch kein Strahl von Gold oder Purpur das Blätterwerk durchdringen, so sehr erstickt die Dichtheit des Waldes das Geräusch, so sehr tilgt die Dunkelheit seines Schattens die Farben.

Noch heute, wo die höchsten Berge einfache Beobachter geworden sind, noch heute, wo die poetischen Legenden des furchtbarsten Inhalts nur ein Lächeln des Zweifels auf den Lippen des Reisenden hervorrufen, noch heute erschreckt diese Einsamkeit und macht diesen Theil der Gegend so ehrwürdig, wo nur einzelne Häuser von gebrechlichem Aussehen, verlorene Schildwachen der benachbarten Dörfer, allein in einiger Entfernung von dem Zaubergürtel zum Vorschein kommen, um die Anwesenheit des Menschen in dieser Landschaft zu bezeugen.

Die Bewohner der in der Einsamkeit verlorenen Häuser sind Müller, welche lustig den Fluß ihr Korn zermalmen lassen, dessen Mehl sie nach Rockenhausen und Alzey bringen, oder Hirten, die ihr Vieh auf die Waide in den Bergen führen, und zuweilen sammt ihren Hunden bei dem Geräusche einer hundertjährigen Tanne beben, welche aus Altersschwäche in die unbekannten Tiefen des Waldes niederstürzt.

Denn die Erinnerungen der Gegend sind düsterer Natur und der Fußpfad, der sich jenseits Dannenfels mitten unter dem Heidekraut des Gebirges verliert, hat nicht immer, wie die Muthigsten sagen, ehrliche Christen in den Hafen des Heils geführt.

Vielleicht hat einer von den heutigen Bewohnern einst von seinem Vater oder von seinem Großvater erzählen hören, was wir jetzt selbst zu erzählen versuchen wollen.

Am 6. Mai 1770, in der Stunde, wo die Wasser des großen Flusses sich mit einem rosig weißen Reflexe färben, das heißt in dem Augenblick, wo für das ganze Rheingau die Sonne hinter der Thurmspitze des Münsters von Straßburg untergeht, das sie in zwei feurige Hemisphären zerschneidet, erschien ein Mann, nachdem er durch Alzey und Kirchheim-Bolanden geritten war, jenseits des Dorfes Dannenfels, folgte dem Fußpfade, so lange derselbe sichtbar blieb, stieg sodann, als jede Spur des Weges verschwand, von seinem Pferde, nahm es beim Zügel und band es ohne Zögern an die erste Tanne des furchtbaren Waldes.

Das Thier wieherte sehr unruhig und der Wald schien bei diesem ungewohnten Geräusch zu beben.

»Gut! gut!« murmelte der Reisende; »beruhige dich, mein guter Dscherid; wir haben zwölf Stunden zurückgelegt und du bist wenigstens am Ziele deines Laufes angelangt.«

Und der Reisende suchte mit dem Blicke die Tiefe des Blätterwerks zu ergründen; aber die Schatten waren bereits so undurchsichtig, daß man nur die schwarzen Massen unterschied, welche sich von andern, noch dichter schwarzen Massen abhoben. Nach dieser unfruchtbaren Forschung wandte sich der Reisende zu dem Thiere um, dessen arabischer Name zugleich seinen Ursprung und seine Schnelligkeit bezeichnete, nahm es mit beiden Händen unten am Kopfe, näherte die rauchenden Nüstern desselben seinem Munde und sprach:

»Lebe wohl, mein braves Pferd; wenn ich dich nicht wiedersehe, lebe wohl.«

Diese Worte waren von einem raschen Rundblicke begleitet, als hätte der Reisende gehört zu werden befürchtet oder gewünscht.

Das Pferd schüttelte seine seidene Mähne, stampfte mit dem Fuße auf den Boden, und wieherte mit jenem Wiehern, wie es dieses Thier bei Annäherung des Löwen in der Wüste hören lassen mußte.

Der Reisende bewegte diesmal nur den Kopf von oben nach unten, mit einem Lächeln, als wollte er sagen:

»Du täuschest dich nicht, Dscherid, die Gefahr ist hier.«

Ohne Zweifel zum Voraus entschlossen, die Gefahr nicht zu bekämpfen, nahm der abenteuerliche Unbekannte aus seinem Sattelbogen zwei schöne Pistolen mit ciselirten Läufen und mit Kolben von Vermeil, zog mit dem Krätzer die Ladung heraus, warf den Pfropf und die Kugel weg und schüttete das Pulver auf den Boden

Als dies bewerkstelligt war, steckte er die Pistolen in die Holfter.

Das ist noch nicht Alles.

Der Reisende trug an seinem Gürtel einen Säbel mit stählernem Griffe; er schnallte die Kuppel los, wickelte sie um den Säbel, schob das Ganze unter den Sattel und befestigte es mit dem Steigriemen so, daß die Spitze des Säbels nach der Weiche des Pferdes und der Griff nach der Schulter sah.

Nachdem diese seltsamen Förmlichkeiten erfüllt waren, schüttelte der Reisende seine staubigen Stiefeln, zog seine Handschuhe aus, suchte in seinen Taschen, fand darin eine Scheere und ein Federmesser mit einem Schildkrothefte, und warf Beides über seine Schulter, ohne nur zu schauen, wohin es fiel.

Sobald dies geschehen war, fuhr der Reisende zum letzten Male über das Kreuz von Dscherid, athmete, als wollte er seiner Brust den vollen Grad der Ausdehnung geben, den sie erlangen konnte, suchte dann vergebens irgend einen Fußpfad und trat, als er keinen sah, auf Zufall in den Wald.

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