Was heute an der Großen Eschenheimer Straße im Schatten des Kaufhof-Kolosses und zweier kapriziös geknickter neuer Hochhäuser steht, ist also eine Kopie – und zwar eine schlechte. Wer den Innenhof genau betrachtet, merkt, daß seine Proportionen sonderbar gestaucht und unharmonisch sind. Der Grund: Um genügend Baufläche für die beiden Türme und die Supermall MyZeil zu gewinnen, wurden die Achsen des Ensembles verkürzt – kaum merklich bei den einzelnen Abschnitten, verheerend für den Gesamteindruck.
Letzterer wird an der Rückseite des Bauwerks tragikomisch und obszön zugleich. Wie die Primaballerina eines klassischen Balletts, die sich einem hingerissenen Publikum zu präsentieren meint, realiter aber fast mit der Nasenspitze auf den geschlossenen Eisernen Vorhang trifft, wölbt sich die kopierte halbrunde Gartenfront des Palais dem Hinterausgang von MyZeil entgegen, die ihre in Rauten zerteilte dunkle Glaswand wie ein Bulldozer mit verspiegelter Frontscheibe auf das Fake-Palais zuschiebt.
Kaum ein Shopping-Enthusiast gönnt dieser auferstandenen Gartenfront ohne Garten, die zudem aus Platzgründen um fünf Fensterachsen verschmälert wurde, einen Blick – warum auch, wird sie doch, wie das gesamte Palais, von der baulichen Umgebung zur Schaufensterdekoration und Event-Attrappe degradiert. Wer dennoch die drei geschwungenen Rotsandsteinstufen zum Rundbau hinaufsteigt, schaut durch die Sprossenfenster in einen kaltweißen, leeren Rundsaal. Das Original stammte, wie das gesamte Palais, von Robert de Cotte, dem Hofbaumeister des französischen Königs Ludwig XV. Es wies ursprünglich herrliche weiße und jadegrüne Stuckaturen auf. Noch prächtiger war der darüber gelegene Festsaal mit Säulen, Statuen des Bildhauers Paul Egell, einer umlaufenden Empore und einer vom berühmten Maler Luca Antonio Colomba ausgemalten Kuppel.
Der Festsaal würde, so versprach 2005 der Investor des gesamten Quartiers, vollständig rekonstruiert – als eine Attraktion des seinerzeit im Palais geplanten Luxushotels und als ein Geschenk an Frankfurts Bevölkerung. Damit machten der Magistrat und die Bauherren das Projekt den Bürgern schmackhaft; notgedrungen – denn es hatte merklichen Unwillen gegeben, als bekannt wurde, daß für das neue Palais-Quartier (MyZeil, die beiden Hochhäuser, das nachgebaute Palais sowie einen weiteren Büro- und Geschäftskomplex) der Fernmeldeturm von 1952 plus dem Paketamt, das im selben Jahr auf den Fundamenten des gesprengten Thurn-und-Taxis-Palais unter Einbezug der geretteten Torpavillons gebaut worden war, sowie das bis zur Zeil reichende Hauptpostamt von 1956 und das Verlagshaus der Frankfurter Rundschau abgerissen werden sollten.
Das Verlagshaus schätzten selbst Laien als hinreißendes Denkmal der Nierentischära, das mit seiner gläsernen Treppenhausspindel das berühmte Berliner Mossehaus zitierte. Der bei seiner Einweihung umstrittene Fernmeldeturm – zu seinen Gunsten hatte man, obwohl der Wiederaufbau beschlossene Sache war, die standfeste Ruine des Palais abgerissen – war längst zum Wahrzeichen geworden. Und das Paketpostamt, dessen Empfangshalle die Frankfurter Allgemeine Zeitung 1952 als „repräsentativste in der gesamten Bundesrepublik“ gelobt und mit den Räumen von Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon verglichen hatte, ästimierten Architekturliebhaber zunehmend als einzigartiges Schloß der Wiederaufbaumoderne; einige Jahre noch, und das Ensemble wäre von der Allgemeinheit als das Juwel erkannt worden, das es war.
Vorbei. Im Jahr 2009 wurden MyZeil und das nachgebaute Palais eröffnet. Palais? Dank seiner verstümmelten Proportionen und der monotonen, frei erfundenen Seitenfronten (denn das originale Palais besaß links und rechts ausgedehnte Anbauten und Nebenhöfe, die einheitliche Fassaden verhinderten) ist der paßgenau für die Anliegen der Investoren zurechtgeschusterte Nachbau zum Barbie-Schloß abgestiegen; ein Spielzeug des Kommerzes, eine Fehlinvestition, die leerstehend unsere eventsüchtigen Tage verdämmert.
Neben ihm, da, wo ehemals das Rundschau -Haus stand (und vor dem Krieg das klassizistische Palais Mülhens ragte, in dem sich ab 1816 die bürgerliche Opposition, später der „Bürgerverein“ traf, um gegen das als „Bundespalais“ zum Sitz der Reaktion gewordene Thurn und Taxissche Anwesen respektive dessen Abgeordnete zu agieren), zwischen Eschenheimer Turm und Palais-Nachbau also, klafft am einstigen Standort des Verlagshauses eine riesige Brache, wo eigentlich ein rasanter neuer Bürokomplex geplant war. Diese Leerstelle ist das bisher grellste Indiz eines um sich greifenden brachialen autistischen Städtebaus, den wir noch vor zehn Jahren einzig den mafiosen Zuständen in Italien oder dem privatistischen Kapitalismus der Vereinigten Staaten zuordneten.
Die Erinnerung an das großartige Rundschau -Verlagsgebäude (dessen Erbauer, auch das muß gesagt werden, sich 1953 keineswegs um die ramponierte Schönheit des ausgebombten Palais Mülhens scherten) wird, wenn sie sich nicht schon in Luft aufgelöst hat, so rasch verschwinden, wie die Betonplattform der dortigen neuen Tiefgarage unter Asphalt und Ziergrün verschwunden ist. Wie die Kleine Eschenheimer Straße, die verlief, wo heute die Garagenrampe verläuft, und der Siegfried Kracauer in seinem Roman Ginster ein Denkmal als Journalistentreffpunkt des Frankfurt der zwanziger Jahre setzte, wie die Kleine Eschenheimer Straße wird bald auch das Rundschau -Haus nur noch in Dokumentationen und Romanen fortleben.
Über die ferne Zukunft des neuen Thurn-und-Taxis-Palais läßt sich wohl nicht einmal das annehmen.
Von Dirk Braunstein
Auf den technischen Fortschritt antwortet der trotzige und bornierte Wunsch, nur ja keinen Ladenhüter zu kaufen, hinter dem losgelassenen Produktionsprozeß nicht zurückzubleiben, ganz gleichgültig, was der Sinn des Produzierten ist. Mitläufertum, das Sich-Drängeln, Schlangestehen substituiert allenthalben das einigermaßen rationale Bedürfnis.
Adorno: Minima Moralia
Man ist neu in Frankfurt, und was braucht man da dringender als alles andere? Richtig, ein von Computer- und Internetnerds so genanntes sogenanntes LAN-Kabel, sonst bekommt man keinen Kontakt zur Außenwelt, und das ist in dieser Stadt kein Vergnügen. Weil man sich nicht auskennt, stellt man sich auf die Einkaufsstraße und fragt den erstbesten Passanten, ob es hier einen Saturn oder Vergleichbares gebe. Dahinten rechts, danke, nichts zu danken. Weißgott!
Schimpf! – Schimpf und Schande über diesen verruchten Laden, dieses Geschwörl da an der auch schon betörend behämmerten Zeil, wo sie alle hinwackeln und -dackeln und ich ja auch. Neben MySpace, myToys und Mai Thai gibt’s – wie ich später erfuhr: seit dem Jahr des Herrn 2009 – auch, die Welt Mores zu lehren, MyZeil. Über die (oder das oder den?) bereits Dante Alighieri Klärendes schrieb, die Infernalität des Unflats ein Stück weit kritisch zu beleuchten. Schon klar, es macht Kapitalismus nicht nur blöd – das sowieso und Ehrensache –, sondern er produziert auch „Blödmaschinen“ (Metz/Seeßlen; Memo an mich selbst: vielleicht demnächst die Bücher auch mal lesen, die ich naßforsch herbeizitiere!), die ihrerseits als generative Agenten des allwaltenden Stoffwechsels der Gesellschaft mit sich selbst sowie der Restnatur als Scheißemacher den hinterletzten Fuck her- – und sich dergestalt dem menschlichen Fortschritt, der wirklich einer wäre, mit voller Breitseite arschlöchrig in den Weg stellen. Wem das zu kulturpessimistisch oder zu verschwurbelt dünkt, mache sich auf den Weg in die gründlich verwüstete Frankfurter Innenstadt, wo sie comme il faut et à la bonne heure ein Einkaufsparadies aufs Pflaster gerotzt haben, das die Hölle ist.
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