Wo das dämliche Adjektiv „modern“ auftaucht, folgen unweigerlich die städtebaulichen Totschlagargumente aus den Marketingagenturen. Jeder Schwachsinn steht heute für „Zukunft“ und „Fortschritt“. Aus der Psychologie weiß man, daß die menschlichen Hirnspeicher der großen Mehrheit vorwiegend nicht etwa mit Sammelstücken aus der Vergangenheit oder der Gegenwart gefüllt sind. Was den Kopf am meisten belastet, sind von Existenzangst geprägte Gedanken. Auch deshalb steht heute jeder verkäufliche Scheiß, sofern neu produziert, für Zukunft und Fortschritt.
In Ruben Fleischers düsterem Hollywood-Film Gangster Squad spielt Sean Penn den Mobster Mickey Cohen im Los Angeles der vierziger Jahre. Der Verbrecher will die ganze Stadt. Als er, größenwahnsinnig und süchtig nach „mehr“, ein weiteres Hindernis auf seinem Weg nach oben beseitigt hat, sagt er: „Das war kein Mord. Das war Fortschritt. Ich bin Fortschritt.“ Diese Szene fällt mir ein, wenn ich vor zerstörten oder mutwillig der Verwahrlosung überlassenen Baudenkmälern stehe, den gekappten Brücken zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Wegsehenswürdigkeiten unserer Städte zwingen den Herumstiefelknecht im Dienste seiner selbst zum Hinsehen. Er sollte so umweltfreundlich sein, nicht überall hinzukotzen, wo ihm in einer schöpferischen Pause gerade danach ist. Womöglich tritt der Falsche rein.
Von Eva Demski
Als ich vor Jahrzehnten in die Hansaallee zur Schule ging, konnte man Vergangenheit und Gegenwart an ihr ablesen: schöne, verschont gebliebene, vergammelte Gründerzeithäuser im innenstadtnahen Teil, wozu auch die imperiale Halbruine unserer Schule gehörte. Ihr Namenspatron Lessing stand steinern auf dem Dach und schaute hinüber zu den amerikanischen Latifundien mit dem Poelzig-Bau als beeindruckender, wenn auch geschichtsumdüsterter Kulisse. Um den scharten sich Zweckbauten inmitten verwilderten Grüns. Darin versteckt gab es sogar ein Theater, um das wir Legenden woben, weil wir nicht reindurften.
Stadtauswärts reihten sich Blocks aneinander, die der großen Wohnungsnot nach dem Krieg abhelfen sollten. Schön waren sie nicht, aber Schönheit war in der Architektur sowieso obsolet geworden. Sie stand unter Bürgerlichkeitsverdacht. War ja auch was dran. Die schönsten Bauten verdankt die Menschheit häßlichen Systemen oder miesen, menschenverachtenden Charakteren. Allerdings hatte das vor unserer Kindheit gerade überwundene System nicht einmal akzeptable Architektur hervorgebracht, obwohl der Führer so gern bauen ließ.
Die Zeiten änderten sich. Die Altbauten an der Hansaallee wurden renoviert, Bäume wuchsen, meine Schule wurde abgerissen, Lessing landete auf dem Boden vor dem Neubau, der nicht mehr imperial, dafür klobig war. Die Mauer zwischen den beiden Deutschlands fiel, und die Amerikaner zogen von dannen. Die Fünfzigerjahreblocks wurden neu gestrichen, verzagt bunt, die Universität zog in den Poelzig-Bau und bekam den schönsten Campus, den man sich nur denken kann. Die Amerikaner waren immer großzügig mit Platz umgegangen, wahrscheinlich, weil sie daheim genug davon hatten. So waren auch ihre Wohnblocks umgeben von weiten Wiesen und konnten ihre architektonische Einfallslosigkeit hinter den groß und mächtig gewordenen Bäumen verstecken.
Mit der Universität kamen Neubauten an die Hansaallee, Institute auf der einen, Wohnungen auf der anderen Seite. Die Institute haben eine gewisse Aggressivität an die Straße gebracht, steinerne Messerschneiden gleichsam, die von den jungen Bäumen der neubepflanzten Allee bisher nur mühsam im Zaum gehalten werden. Einschüchterungsarchitektur mit Schießschartenfenstern, ein Wechselbalg von Platz, unbebauter Raum, dessen Zweck noch immer nicht klar ist: Parken? Lustwandeln? Abhängen? Ein teuer gepflastertes, mit kostspieligen Leuchtkörpern sinnfrei erhelltes Nichts, dessen äußerstes urbanes Element im Frühling ein Spargelhäuschen ist. Manchmal wagt sich auch ein Bücherstand hin.
Aber gegenüber! Gegenüber, das neue Wohnen! Für den gehobenen Bedarf!
Das noch immer neue Wohnen sieht nach wenigen Jahren schon ziemlich alt aus. Die verwendeten Farben, die ich schon beim Erstanstrich als Elefantengrau in mehreren Stadien von Leukämie empfunden hatte, sind nicht heiterer geworden. Falsche Palmen und zerrüttete Binsenmatten erwecken nicht den Eindruck hochklassigen Wohnens, der hier erwünscht war – von Beginn an gab es in diesem Konstrukt urbanen Lebens (Höfe! Verdichtung! Passiv!) einen sichtbaren Zug zur Verkommenheit. Die stammheimhaften Betonabgrenzungsmauern und die Tiefgaragenschluchten tun das ihre. Es sieht nicht beschützt aus, sondern bedrohlich.
Nur die Bäume, die Bäume und die Grünstreifen, sie trösten und wollen eine Allee werden. Die Hansaallee. Irgendwann wird die Architektur hinter ihnen verschwinden.
Wenn sie die Bäume dann nicht abhacken.
Aber vielleicht werden ja dann auch schon wieder die Häuser abgerissen, das geht in unserer Stadt ganz schnell.
Meine alte Schule ist auch ganz neu, jedenfalls von außen.
Von Dieter Bartetzko
Schauplatz Frankfurt-City. Ein totenstiller Innenhof, den blind starrende Fensterreihen umgeben. Von draußen sind das blecherne Krachen und nervtötende Rollen des Leerens von Müllcontainern zu hören. Dazu das Tuckern von Transportern, das Scheppern und Ächzen von Hebebühnen, die durchdringenden Rufe von Müllmännern und Möbelpackern, die ärgerlichen Kommentare von Autofahrern, die sich aufgehalten fühlen.
Ein Morgen in der Großen Eschenheimer Straße zwischen Hauptwache und Eschenheimer Turm. In besagtem Innenhof macht die Geräuschkulisse des Großstadterwachens die Einsamkeit noch lastender. Hier könnte ein ehrgeiziger junger Filmregisseur die depressive Hauptfigur seines ersten Spielfilms über Selbstmord oder Amok grübeln lassen.
Wie aufs Stichwort erscheint ein Kellner und wischt nachlässig über ein Dutzend leerer Caféhaustische. Sie spiegeln sich im metallisch grauschimmernden Sicherheitsglas von Rundbogentüren, die an beiden Längsseiten des Hofs in umlaufende Arkaden aus Rotsandstein eingelassen sind. Wo die Scheiben nicht reflektieren, schaut man in kahle Räume. Nur auf Höhe der Tische annonciert die Espressobar gute Laune, Lifestyle, Events und dergleichen.
Ihre Leuchtreklamen stechen ordinär von der barocken stummen Eleganz ab, die sich an der Stirn- und Rückseite des Hofs darbietet. Zur Straße hin sind monumentale korinthische Säulen gereiht, darüber eine Balusterbalustrade, die zu beiden Seiten auf zweigeschossige Pavillons mit hohen Sprossenfenstern und pompösen Mansarddächern trifft. Auf der gegenübergelegenen Schmalseite zieht ein leicht vortretender Mittelpavillon mit säulenverziertem Eingangstor den Blick auf sich. Über dem Portal erhebt sich ein stattliches Rundbogenfenster, gerahmt von korinthischen Pilastern und überfangen von einem mächtigen Dreiecksgiebel.
Zwei aufgerichtete steinerne Löwen präsentieren dort mit gefletschten Zähnen ein Wappen. Es ist das der Fürstenfamilie Thurn und Taxis. Nach ihr heißt das beschriebene Palais, in dessen verwaistem Hof eine Espressobar seit Monaten das einzige ist, was von den hochfliegenden Hotel- und Luxusboutiquenvisionen eines Investors übrigblieb.
Deshalb – oder auch nur, weil die beiden Tropaia beiderseits des Giebels nicht wie Sandstein anmuten, sondern wie aus Styropor geschnitzt, und man den Mansardenfenstern so deutlich ansieht, daß sie dem technoid-nachhaltigen Bauen unserer Tage angehören – müßte korrekterweise vom einstigen Thurn-und-Taxis-Palais gesprochen werden. Und das hat eine imponierende Geschichte: 1739 als höfische Dreiflügelanlage entstanden, nach seinen fürstlichen Erbauern benannt, war es Frankfurts Bürgern zunächst als Adelssitz, dann als reaktionäres, vom preußischen Gesandten Bismarcks dominiertes „Bundespalais“ ein Dorn im Auge, ehe es 1895 zum Postamt verschandelt, ab 1908 als Museum für Völkerkunde glänzend restauriert und 1951 wegen angeblich unheilbarer Bombenschäden gesprengt wurde.
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