Hier ging es also nicht mehr um Teilhabe, sondern darum, noch nicht durchschaute Zusammenhänge zu erschließen und dieses neue Wissen für eine Neu-Interpretation der gesellschaftlichen Verhältnisse und der eigenen Rolle darin zu nutzen. Nur auf dieser Basis konnten die entsprechenden politischen Strategien entwickelt werden. Allerdings gab es für die Frauen der 1970er Jahre keine ausgeprägte Tradition selbständigen Denkens und offener Lebensentwürfe, auf die sie hätten zurückgreifen können – weder im pädagogischen noch im gesellschaftlich-politischen Feld. Die Entschlossenheit, gemeinsam etwas Neues, noch nie Gedachtes zu entwickeln und mit dessen Hilfe die Gesellschaft umzustürzen, war das wirklich revolutionäre Potential der Zweiten Frauenbewegung, das im Verlauf weniger Jahre von vielen mit Bildung befassten Einrichtungen als pädagogisches Konzept aufgegriffen wurde.
In den ersten Jahren setzten die Frauen ausschließlich auf Selbstorganisation und Eigeninitiative, Selbsterfahrungs- und Diskussionsgruppen zu unterschiedlichen Themen gründeten sich meist über Aushänge in den Frauenzentren. Aber bald entstanden auf Initiative einzelner Frauen in vielen Volkshochschulen, Gewerkschaften und Kirchengemeinden Frauengruppen und Kurse, sowohl zu lebenspraktischen Themen wie auch grundsätzlicher angelegte Wissens- und Reflexionsangebote – wobei die Erfahrung, mit und unter Frauen gleichberechtigt über sachbezogene Themen diskutieren zu können, immer ein wesentliches politisches Ziel gegenseitiger Wertschätzung bildete. Getragen von der allgemeinen Euphorie gründeten sich dann in einem weiteren Schritt auch eigenständige selbstorganisierte Projekte mit festen Angeboten (z. B. das FFBIZ (Frauenforschungs-, Bildungs- und Informationszentrum), Berlin, die »Frauenwerkstatt Wiesbaden« oder die »Frankfurter Frauenschule« (Dokumentation, 1983: I)), meistens mit enthusiastischen hochfliegenden Plänen verbunden: Fast alle wollten neben dem Angebot von Kursen, Gesprächsgruppen und größeren Veranstaltungen mindestens auch ein Kulturprogramm initiieren, eine Bibliothek, ein Archiv, eine Werkstatt oder ein Café einrichten usw. – aber fast keines der Projekte bekam irgendwelche öffentlichen Gelder oder Zuschüsse. Die ehrenamtliche Arbeit lebte von der Energie des politischen Enthusiasmus und der beflügelnden Vorstellung, an etwas Neuem mitzuarbeiten: »In den Arbeitskreisen«, formuliert es ein Münchener Bildungsprojekt, »sollen Frauen, denen Feminismus etwas bedeutet, die Möglichkeit haben, auf noch unbekannten Gebieten mit noch unbekannten Vorgehensweisen zusammen weiterzuarbeiten, um ihre Ergebnisse langfristig wieder für die Erreichung feministischer Ziele direkt oder indirekt einzusetzen« (Dokumentation, Anhang, o. S.).
Als weniger spezifische Angebote wurden zudem in den 1970er und 1980er Jahren auch große überregionale Bildungsereignisse initiiert, wie die Sommeruniversitäten an der FU Berlin von 1976 bis 1983 (die eher auf ein studentisches Publikum zielte) oder diverse Frauenwochen (die die Frauen in der jeweiligen Region ansprechen sollten), die von tausenden Besucherinnen genutzt wurden. Der Ausschluss von Männern aus der ersten »Sommeruniversität für Frauen« im Jahre 1976 wurde mit der Einsicht begründet, dass die habitualisierten geschlechtstypischen Strukturen es nicht möglich erscheinen ließen, von Anfang an ein gleichberechtigtes Gesprächsverhalten herzustellen, dass die Frauen aber nicht ständig damit beschäftigt sein wollten, sich gegen männliches Dominanzverhalten zur Wehr zu setzen – das Motto war also »Nicht gegen Männer – aber für Frauen«. Dass es in einer dpa-Meldung daraufhin hieß, die Sommeruni finde »unter Ausschluss der Öffentlichkeit« statt, schien dann nur bezeichnend, denn damit, sagte die Rednerin der Eröffnungsrede, werde wieder einmal gezeigt, »dass ›öffentlich‹ nur sei, wo Männer sind« (Courage Nr. 1: 15; vgl. auch Courage, Null-Nr.: 13).
Alle diese bildungsbezogenen Arbeitsformen haben sehr zu einer gemeinsamen »Aufwertung« der Anwesenheit von Frauen, Frauenkörpern und Frauenstimmen, im öffentlichen Raum beigetragen, und vor allem unter den Beteiligten auch zu völlig neuen Formen von Respekt und Anerkennung, aber auch dem wachsenden Bewusstsein politischer Differenzen. Sie stärkten auch das Selbstbewusstsein der Frauen in ihren Forderungen nach Institutionalisierung von »Frauenforschung« (heute: Geschlechterforschung, mehr dazu
Kap. 13
) an den Universitäten. Frauenforschung zielte darauf, Frauen als Gegenstand der Wissenschaft sichtbarer zu machen und sie anders – insbesondere weniger stereotyp – zu thematisieren, sie als Subjekte im System Wissenschaft zu stärken und schließlich darauf, das System der Wissenschaft selbst grundlegend zu verändern. Während es der ersten Frauenbewegung wesentlich darum ging, Frauen den Zugang zum Studium und zur Promotion an den Universitäten zu ermöglichen, hat die zweite Frauenbewegung stark die Inhalte, das Wissen, das Wissenschaftsverständnis und die damit verbundenen Praktiken im Blick sowie die Repräsentation von Frauen als Dozierende an den Hochschulen.
1987 wurde nach langen Auseinandersetzungen der erste Lehrstuhl mit der Denomination »Frauenforschung« eingerichtet (an der Universität Frankfurt, besetzt mit Ute Gerhard), dem bald weitere folgten. Die informelle Frauengruppe »Arbeitskreis Wissenschaftlerinnen NRW« konnte Ende der 1980er Jahre das Land NRW dazu bewegen, eine ganze Reihe Professuren und wissenschaftliche Stellen für Frauenforschung zu finanzieren, die noch heute den Grundstein des »Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW« bilden. Und in den letzten Jahren haben die Aktivitäten sogar bis zur Gründung einer eigenen wissenschaftlichen Fachgesellschaft, der »FG Gender«, geführt.
Politische Differenzen ergaben sich in den 1980er Jahren sowohl in der Tradition der Ersten Frauenbewegung mit sozialistischen Gruppen, für die die Frauenfrage weiterhin einen Nebenwiderspruch zum Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit darstellte, vor allem aber anhand der Frage, ob sich die Frauen auf das »Eigene« konzentrieren und zurückziehen sollten oder ob der gemeinsame politische Kampf um die Veränderung der Gesellschaft das Hauptanliegen bilden sollte. Insofern taucht hier das Stichwort »Teilhabe« erneut unter anderem Vorzeichen wieder auf – denn ein Teil der Frauenbildungsprojekte und Frauen-Ferienhäuser wandte sich, von den anderen als »esoterisch« geschmäht, tendenziell von der Gesellschaft ab, um miteinander ein neues Verständnis von Weiblichkeit zu entwerfen.
Die Debatten um Mono- und Koedukation
Die Konzepte für die Beschulung von Mädchen und Knaben waren niemals das Ergebnis pädagogischer Erwägungen, sondern immer Folge allgemein-gesellschaftlicher, politischer und staatlicher Entscheidungen und Konzepte, die von der Pädagogik oder durch deren Indienstnahme plausibilisiert wurden. Angesichts dessen, dass die Trennung der öffentlichen und der privaten Sphäre in der Bürgerlichen Gesellschaft fest etabliert war, und angesichts dessen, dass das preußisch-deutsche Schulwesen mit seiner »selbstbewussten und selbstherrlichen In-Einssetzung von Bildungsidee und Staatszweck« (Herrlitz/Hopf/Titze 1998: 35) in hohem Maße staatsfunktional organisiert war, schien es im 19. Jahrhundert nur logisch, die »höhere Bildung«, die überwiegend auf Tätigkeiten im Staatsdienst ausgerichtet war, dem Knaben-Schulwesen vorzubehalten, während höhere Töchterschulen für »nicht allgemein notwendig« befunden wurden (ebd.: 93). Auch dass Mädchen mit Blick auf ihre späteren Aufgaben anderes lernen müssten als Knaben, schien kaum diskussionswürdig – einzelne gebildete Frauen in Sonderrollen hatte es in den entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen ja immer gegeben. Erst die Interventionen der Frauenbewegung mit ihren Forderungen nach Reform der Mädchenbildung und vor allem nach deren Eingliederung in das Berechtigungswesen, das auch den Mädchen den Weg zu Abitur und Studium öffnen sollte, ließen die Diskussion über gemeinsame oder getrennte Beschulung überhaupt nötig erscheinen.
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