Die Interventionen der vielen auf Bildung, Schule und Universitäten bezogenen Frauenprojekte und vor allem aus der schnell entstehenden feministischen Schulforschung kann man in ihrer langfristigen Wirkung auf Pädagogik und Bildungspolitik nicht hoch genug einschätzen. Auch wenn manche der frühen Studien in Bezug auf Methodologie und Methoden später als unzulänglich kritisiert worden sind (Breitenbach 1994), wurden doch etliche Strukturaspekte deutlich, deren Entwicklung und Veränderung in den folgenden Jahrzehnten und bis heute in der Erziehungswissenschaft mit Aufmerksamkeit verfolgt wird: etwa dass Jungen deutlich mehr Aufmerksamkeit in der Schule auf sich zogen (Häufigkeit und Dauer von Sprechzeiten, Lob und Tadel), dass viele Schulbücher tendenziöse Texte und Aufgaben verwendeten, dass Lehrerinnen und Lehrer geschlechtstypisch ungleich in Leitungsfunktionen vertreten waren. Allerdings wurden auch viele wesentliche Erkenntnisse vom Mainstream der Erziehungswissenschaft nicht aufgegriffen, weil dieser nach wie vor blind war für die geschlechterbezogenen Dimensionen pädagogischer Konzepte – etwa die Problematisierung der Tatsache, dass die Mütter, deren nachmittägliche Verfügbarkeit vorausgesetzt wurde, von der Schule systematisch als »Hilfslehrerinnen der Nation« in Anspruch genommen wurden, was unter der Rede von »Eltern« dezent verschwand (Enders 1981: 176ff.).
Anknüpfungspunkte der Frauenbewegungen
Die bildungsbezogenen Ausgangssituationen waren für die beiden Frauenbewegungen also in einigen Hinsichten gleich – vor allem in ihrer bildungsoptimistischen Grundstimmung, die sie darauf vertrauen ließen, sich durch ein Mehr an Wissen, Bewusstsein und Reflexion die Welt erschließen zu können. Weil die »Aktivierung« von Frauen aber immer zugleich »die Relativierung der traditionellen Arbeitsteilung in der Ehe bedeutete«, hatten die Bildungsansinnen von Frauenbewegungen immer »eine kulturrevolutionäre Tendenz« und wurden »auch von politisch aktiven Männern fast immer als Provokation erlebt« (Prokop 1977: 36f.). Das ist ihre strukturelle Ähnlichkeit. Aber in anderen Hinsichten waren die Ausgangslagen höchst unterschiedlich, und so unterschieden sich auch die Antworten, Ziele und Strategien. Die Erste Frauenbewegung sah sich einer gemeinsamen Front von Widersachern gegenüber, die sich selbst gegen die elementarsten Ansätze ihrer Veränderungsbemühungen und ihrer Forderungen nach Beteiligung am Bildungswesen sperrte – sie mussten also allererst Akzeptanz und Anerkennung erringen, um überhaupt als gleichberechtigte Bürgerinnen und Mitglieder der Gesellschaft angesehen zu werden. Die zum bürgerlichen Flügel der Frauenbewegung gehörenden Gruppen konzentrierten sich folglich darauf, die Legitimität ihrer Forderungen zu begründen und deren gesellschaftliche Nützlichkeit herauszustellen. Deshalb zielten ihre Forderungen allererst auf eine Teilhabe am Bildungswesen – verbunden mit der optimistischen Vorstellung, dieses dann zugleich verändern zu können – und darauf, als gleichermaßen zu Bildung fähige und berechtigte gesellschaftliche Gruppe anerkannt zu werden. Es ist insofern logisch und plausibel, dass die allgemeinpolitische Einstellung der jeweiligen Frauen(gruppen) auch darüber entschied, wie radikal ihre Forderungen ausfielen und welchen Preis sie dafür zu zahlen bereit waren. Da letztlich alle berufsständischen Gruppen wie auch die pädagogischen Theoriediskurse genötigt waren, sich mit der durch das gewachsene Selbstbewusstsein der Frauen veränderten Lage auseinanderzusetzen und in Politik- und Theoriekonzepten darauf zu reagieren, traten die Differenzen deutlich hervor, und es zeigt sich, dass sowohl innerhalb wie außerhalb der Frauenbewegung die bildungsbezogenen Argumentationslinien der einzelnen Protagonist:innen teilweise weit auseinanderlagen.
Die immer auch professionspolitisch denkenden Frauen des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins ADLV nahmen mit ihren Forderungen nicht zuletzt Rücksicht auf die Tatsache, dass Frauen nicht an Knaben- und folglich auch nicht an koedukativen Schulen unterrichten durften (Kleinau/Mayer 1996, 1: 153), und konzentrierten sich auf Argumente, die mit Verweis auf die »weiblichen Besonderheiten« von Lehrerinnen und Schülerinnen die Einstellung weiblicher Lehrkräfte in Mädchenschulen insbesondere in den erziehenden und den »ethischen« Fächern plausibilisieren sollten: »Echte Frauen werden nur unter Frauenleitung erzogen, darum muss prinzipiell der Frau die erste Stelle in der Mädchenbildung eingeräumt werden«, schreibt die Vorsitzende des ADLV Helene Lange in der Begleitschrift zu einer Petition, der sogenannten »Gelben Broschüre« 1887, wobei allerdings da, wo es sich um »Verstandeskultur« handelt, »der Mann besser am Platz ist als die Frau« (Lange 1887/1981: 218f.). Aber andere Stimmen sahen im Mädchenschulwesen selbst einen Bestandteil der Benachteiligung des weiblichen Geschlechts und plädierten für dessen Abschaffung – das waren vor allem die sozialistischen Frauen(gruppen) und diejenigen, deren politisches Handeln auf völlige Gleichberechtigung und gleiches Wahlrecht zielte, wie etwa Hedwig Dohm, die zur Lösung der »Frage der Mädchenbildung« vorschlug: »Sie ist für mich wie das Ei des Kolumbus. Zwei Worte erledigen sie: Einheitsschule und Koedukation« (Dohm 1910/1981: 234). Auch der von Minna Cauer 1888 gegründete Verein Frauenwohl strebte die Einrichtung von Reformschulen an, in denen koedukativ unterrichtet werden sollte – eine Forderung, der sich wiederum der ADLV nicht anschließen mochte. Und je enger sich die einzelnen Frauen dem bürgerlichen Lager zurechneten oder den konservativen Parteien nahestanden, desto eher scheuten sie sich auch, sich den Auffassungen der sozialistischen und/oder der proletarischen Frauengruppen anzuschließen.
Es lässt sich also erkennen, dass das leitende Stichwort »Teilhabe« hier bereits differenziert werden muss – woran wollten die einzelnen Gruppen teilhaben? In einer reformistischen Perspektive einen Platz in der in Verbesserung begriffenen Gesellschaft finden? Oder in einer revolutionären Perspektive erst die Gesellschaft verändern und dann den eigenen Platz darin bestimmen?
Diese Widersprüche trugen letztlich wesentlich zur Spaltung der Ersten Frauenbewegung bei. Der bürgerliche Flügel konzentrierte sich darauf, den Platz für Frauen im Bildungswesen mit Rückgriff auf ihre »Besonderheiten« zu erreichen, während der sozialistische Flügel die Interessen der Frauen bald offensiv dem »Hauptwiderspruch« zwischen Lohnarbeit und Kapital unterordnete und die Emanzipationsforderungen der Frauenbewegung als Mittel zum Zweck ansah, damit die Frau »gleich ausgestattet an Waffen mit dem Proletarier in den Kampf ziehen kann« (Zetkin, zit. bei Gerhard 1996: 185).
Abgesehen von den internen Differenzen hatten die Forderungen aus der Frauenbewegung die Debatten und Aktivitäten reformpädagogisch orientierter Lehrer und Pädagogen um 1900 enorm angefeuert und die bildungspolitischen Verantwortlichen unter Druck gesetzt – und wie meistens in der deutschen Geschichte haben sich auch hier letztlich die Gemäßigten durchgesetzt: koedukative Beschulung wurde zwar ermöglicht, aber nicht als Regelform.
In den 1970er Jahren war dieser Aspekt nicht mehr zentral, weil die Bildungsreformzeit den Frauen schon die Türen ins Bildungswesen geöffnet hatte und Koedukation auch in Westdeutschland zur Regelform auch an höheren Schulen geworden war (was in der DDR schon von Beginn an der Fall war). In der Bundesrepublik hat sich die Koedukation in den 1970er Jahren flächendeckend und eher »nebenbei« durchgesetzt (Faulstich-Wieland 1996: 386). Was in den Fokus der Frauenbewegung rückte, waren aber nicht-institutionelle, durch den »heimlichen Lehrplan« der Geschlechterungleichheit verursachte Unterschiede und Begrenzungen – und diese erforderten nun andere politische Analysen, Argumente und Strategien. Unter Stichworten wie »Verführung zur Ohnmacht« oder »Die Schule macht die Mädchen dumm« wurde das diskutiert, was Zinnecker (1972: 192) ganz neutral die »Verinnerlichung der weiblichen Statusrolle« genannt hatte: Eine spezifische, kaum bemerkte Erziehung der Mädchen zu Anpassung(sbereitschaft) und der Jungen zu Dominanzdenken, die für beide schädlich sei, weil sie die Mädchen bei der Entwicklung eines guten Selbstwertgefühls behindere und die Jungen daran gewöhne, sich auf Kosten der Mädchen stark zu fühlen. Die Stimmung unter den frauenbewegten Gruppen war zunehmend selbstbewusst und von dem Impetus getragen, historisch und politisch im Recht zu sein.
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