1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Zwar bezogen sich diese Bildungsaktivitäten der Frauenbewegung wesentlich auf Mädchen und Frauen des Bürgertums, doch wurde die Notwendigkeit von »Bildung zur Selbstbildung« auch von Aktivistinnen der Arbeiterinnenbewegung gesehen. Bildung sei ja nichts anderes als »Regsamkeit des Geistes, die uns befähigt, einen neuen Gedanken voll in uns aufzunehmen«, schrieb die sozialdemokratische Aktivistin Wally Zepler (1866–1940), und nur das »gebildete«, also: zu freier, von Sachkompetenz getragener Einschätzung und Entscheidung fähige Individuum sei dazu in der Lage, das Gegebene zu prüfen und zu hinterfragen – und erst damit verfügt es auch über die Voraussetzung, politisch-gesellschaftliche Entscheidungen zu treffen oder den Staat zu lenken. Damit begründete sie 1899 die Einrichtung von Arbeiterinnen-Bildungsvereinen: Den Mädchen und Frauen Bildung vorzuenthalten, begrenze ihre individuelle Entwicklung ebenso wie ihre Fähigkeit zu einer guten Erziehung – denn diese sei »eine Kunst, über die man auch etwas nachgedacht und von der man etwas gelernt haben muss« (Zepler 1899/1989: 284). Den Arbeiterinnen Bildung vorzuenthalten beschränke sie deshalb in doppelter Weise – als Frauen und als Angehörige des Proletariats – und schade damit auch der Gesellschaft insgesamt, zu deren Fortentwicklung diese Frauen nicht das ihrem Vermögen Entsprechende beitragen könnten. Stattdessen gelte es, den Hebel an dem anzusetzen, was »die Möglichkeit zur Verwirklichung in sich trägt« (Zepler 1916: 20). Da die »niedrige Entlohnung der Frauenarbeit« letztlich auf die geringere Bildung von Frauen zurückzuführen sei, votierte die sozialistische Frauenrechtlerin Lily Braun für die Einrichtung spezieller »Fortbildungsschulen« (Braun 1901/1981) und begründete damit nicht zuletzt das sozialistische genossenschaftliche Modell des »Einküchenhauses« 3 3 Hierbei handelt es sich um ein Konzept, nach dem in größeren Wohnkomplexen die Hausarbeit in Gemeinschaftsräumen verrichtet und dadurch reduziert und verbilligt werden sollte. Es wurde etliche Gemeinschaftshäuser und verschiedenen Städten realisiert. 4 Mathilde Vaerting (1884-1977), Pädagogin und Soziologin, erste weibliche Professorin für Pädagogik (Universität Jena, 1923)
– hier würden die Frauen Zeit gewinnen, um zu lesen, zu lernen und sich weiterzubilden.
Frauenbewegte Frauen haben also trotz der in jeder Hinsicht erschwerten Umstände in der Zeit um die Jahrhundertwende viele kluge, differenzierte, ja sogar kühne pädagogische Überlegungen veröffentlicht, in denen sie sich gegen die Geringschätzung des Weiblichen und der Frauen zur Wehr setzten – teilweise indem sie deren Benachteiligung aufdeckten, und teilweise indem sie den Spieß umdrehten: So schreibt Mathilde Vaerting 4 4 Mathilde Vaerting (1884-1977), Pädagogin und Soziologin, erste weibliche Professorin für Pädagogik (Universität Jena, 1923)
:
»Der Mann hat zu allen Zeiten die Verstellungskunst als eine weibliche Kunst bezeichnet. Weshalb ist er nie auf den Gedanken gekommen, dass auch in der Emotionalität des Weibes ein Teil Verstellungskunst enthalten sein könnte? Wahrscheinlich deshalb nicht, weil er die Emotionalität beim Weibe wünscht, nicht aber bei seinem eigenen Geschlecht, solange er die Vorherrschaft hat. Denn dieser Unterschied ist für die Herrschaft günstig: Wer sich gehen lässt, wer seinen Gefühlen stets Ausdruck verleiht, kann leichter beherrscht werden. […] In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass die Gewaltgefühle, obschon sie eine stärkere Emotionalität voraussetzen als weiche Gefühle, überhaupt nicht als Emotionalität gewertet werden.« (Vaerting 1923: 188)
Ausgangslage und Anliegen in den 1970er Jahren
Der mühsam erkämpfte freiere Zugang zu Bildung, Wissen und akademischen Abschlüssen war durch das NS-Regime wieder weitgehend eingeschränkt worden, aber die Bildungsreformen der 1960er Jahre hatten neue Möglichkeiten eröffnet. Die unter den Stichworten »Bildungskatastrophe« (Picht 1964) und »Bildung als Menschenrecht« (Dahrendorf 1965) geführte Debatte zielte zwar nicht vorrangig auf geschlechterbezogene Gleichberechtigung, hatte aber langfristig immerhin dazu beigetragen, die Bildungsbeteiligung von Mädchen und Frauen deutlich zu erhöhen, indem der Fokus allgemein auf »Chancengleichheit« gelegt wurde, die wiederum exemplarisch an der Benachteiligung des »katholischen Arbeitermädchens vom Land« (Dahrendorf 1965) als soziologische Kunstfigur erörtert wurde. Der Begriff der »Chancengleichheit« wurde im Zuge der Debatte um die sogenannte »Bildungskatastrophe« popularisiert. Dennoch fand die Zweite Frauenbewegung wiederum eine Situation der Ungleichverteilung von Bildungschancen und -wegen vor: Zwar hatten mehr Mädchen Zugang zu höherer Schulbildung und der Anteil der Geschlechter am Besuch des Gymnasiums hielt sich in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre mit jeweils 22,5 % die Waage (Hopf 2010: 41f.), aber der Anteil von Studentinnen an den Universitäten betrug noch 1975 nur ein Drittel (Lenz 2008: 207). Schwerwiegender schienen in den Augen der wiederum »frauenbewegten« Frauen der 1970er Jahre jedoch die heimlichen geschlechterbezogenen Botschaften, die sich in den Subtexten, in nebenbei erfolgenden Zuschreibungen oder der Auswahl an Inhalten in Schule und Universität mitteilten und auch die staatlichen Richtlinien bestimmten: Abgesehen davon, dass beim Lehr- und Leitungspersonal der Schulen in Bezug auf Mädchen und Jungen »überkommene Vorstellungen« (Borris 1972: 77) vorherrschten, betonten auch die Lehrpläne aller Bundesländer, ob für Haupt- oder Realschule, dass auf »Eigenart und Lebensaufgabe« der Geschlechter gebührend Rücksicht zu nehmen sei, dass bei Mädchen die »wesenhaft weiblichen Anlagen« mit Blick auf künftige Mutterschaft entwickelt werden und sie (vor allem durch das Fach Hauswirtschaft) zu »Ordnung, Sauberkeit und Disziplin« als Grundlagen eines guten »Familienhauswesens« erzogen werden sollten (Borris 1972, Kap. II.11, III.12). Die Kritik von Frauenbewegung und feministischer Schulforschung an Schule und Bildungswesen wurde deshalb eng mit der Kritik der »weiblichen Sozialisation« verbunden (
Kap. 3
).
Mit der zunehmenden Bildungs- und Erwerbsbeteiligung von Frauen veränderten sich auch das Selbstbild und die Professionsvorstellungen von Lehrerinnen, blieben allerdings auch weiterhin von den Widersprüchen gesellschaftlicher Geschlechtervorstellungen geprägt – so zeigte Karin Flaake (1989: 163), dass für die älteren Kohorten unter dem Eindruck des Lehrerinnen-Zölibats (der erst 1951, in Baden-Württemberg 1956, aufgehoben wurde) die Entscheidung zwischen einem »normalen« Weiblichkeitsentwurf als Ehefrau, Mutter und Hausfrau und einer selbständigen Berufsexistenz deutlich radikaler erschien als für die jüngeren Kolleginnen (vgl. Hoff 2005), für die sich – und das bis heute – das Problem der Vereinbarkeit beider »Rollen« in den Vordergrund schob: Weil die Familienverantwortung von Frauen nicht in Zweifel gezogen wurde, machte sich im öffentlichen Diskurs die herabsetzende und verächtliche Formulierung breit, es ginge den Frauen nur um ihre »Selbstverwirklichung«, so dass ihre Professionsorientierung angezweifelt oder gering eingeschätzt wurde und als selbstgewählter privater Luxus erschien, der die Familienpflichten bedrohte.
Die Fokussierung auf die Benachteiligung von Mädchen und Frauen führte aber auch zu einigen blinden Flecken, die sich noch bis heute als unklare Gesichtspunkte zeigen. So zeigten schon in den 1960er Jahren empirische Befunde, dass Mädchen offenbar tendenziell leistungsmäßig stärker waren als Jungen und häufig die an sie gerichteten Erwartungen übertrafen (Zinnecker 1972: 118; Borris 1972: 71), und auch das »Sitzenbleiberelend« (Artur Kern) der Jungen war bereits aufgefallen. Diese frühen Befunde, die ja auf die Widersprüchlichkeit und Erklärungsbedürftigkeit der aktuellen Studien ein interessantes Licht werfen könnten, werden heute in der Diskussion um »Jungen als Bildungsverlierer« weitgehend ignoriert.
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