„Meine sehr geehrten Damen und Herren!”, dröhnte die Stimme des Kapitäns aus den Lautsprechern. „Wir sind nun in den Sinkflug übergegangen und werden in Kürze Prag erreichen. Die Sonne scheint und die Windverhältnisse sind ruhig, es ist also nicht mit Turbulenzen zu rechnen, trotzdem möchte ich Sie bitten, sich nun auf Ihre Plätze zu begeben. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise mit der k.u.k. Prinz Eugen. Wir würden uns freuen, Sie bald wieder an Bord begrüßen zu dürfen! An dieser Stelle verabschiede ich mich von Ihnen und wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt in Prag.”
Ich nahm den Käfig und stellte ihn auf meinen Schoß.
„Ui, Prag! Ich war da noch nie!”, freute sich Crice.
„Ich würde dir vorschlagen, während der Zeit bis zum Hotel zu schweigen. Wir wollen nicht zu sehr die Aufmerksamkeit anderer auf uns ziehen.”
Sie warf mir noch einen etwas beleidigten Blick zu, wie es mir schien, und vergrub sich dann wieder in ihrem Heuhaufen. „Ich bin ohnehin müde“, murrte sie.
Wenig später verließ ich den Luftschiffhafen und winkte mir eine Droschke herbei, die mich in meine Unterkunft bringen sollte. Die Fahrt führte uns durch die halbe Stadt, über eine der zahlreichen Brücken über die Moldau. Sogar einen Blick auf die Prager Burg konnte ich werfen. Den Hamsterkäfig hatte ich auf das kleine Tischchen gestellt, das an der Seitenwand der Droschke angeschraubt war. Crice sollte auch etwas von der Fahrt haben und sich die Stadt anschauen können, wo sie sich doch vorher so gefreut hatte. Tatsächlich kam die Hamsterdame rasch wieder aus dem Heuhaufen herausgekrabbelt. Sie legte ihre Pfötchen um die Gitterstäbe und spähte neugierig hinaus.
„Wir sollten noch einen Abstecher machen, bevor wir ins Hotel fahren”, meinte ich, als die Kutsche über das Kopfsteinpflaster der Karlsbrücke ratterte. Unter uns floss die Moldau dahin. Sehr malerisch, fand ich. Vermutlich würde irgendwann jemand über sie ein Lied schreiben.
„Wohin denn?”, fragte Archibald.
„In die Nationalbibliothek. Ich glaube, wir sollten uns mit dem richtigen Wissen eindecken.”
„Klingt gut. Aber weißt du, wo die ist?”
„Natürlich. Ich habe noch im Zeppelin einen Stadtplan von Prag gehamstert. Sie ist direkt auf dem Weg und unmittelbar nach dieser Brücke. Glaubst du, dein Ruf ist gut genug, dass man dich hereinlässt? Mit Hamster?”
„Bücher über die Konstruktion und das Öffnen von Schlössern? Das ist, was wir deiner Meinung nach brauchen?”, fragte der Archivar reichlich verwirrt.
„Ich gehe davon aus, dass der Sammler seine wertvollsten Objekte sicher verwahrt hat. Das würdest du nicht anders machen. Und du bist derjenige, der ihn besser bequatschen kann, während ich die eigentliche Arbeit machen werde. Zusätzlich hätte ich gerne ein Buch, das die seltensten und wertvollsten Bücher im Besitz von Prager Sammlern listet. Das könnte dir dann einen Vorteil und Gesprächsstoff verschaffen.“
Nach einer Weile brachte mir Archibald die gewünschten Bücher und öffnete meinen Käfig. Dann sah er mich erwartungsvoll an.
„Umdrehen”, sagte ich. „Ich kann das nicht, wenn mir jemand zusieht.”
Archibald tat, wie ihm geheißen. Und ich gebe zu, das war mir sehr recht. Auch wenn meine Backen innen größer waren als außen, war die Hamsterei nicht sehr schön anzusehen. Das war eben der Preis für ein Dasein als tierisches Speichermedium.
Vorsichtig stellte ich den Hamsterkäfig auf den Mahagonitisch der Hotelsuite und setzte meine Tasche ab. Der Zimmerservice hatte auf meinen Wunsch auch schon eine kleine Erfrischung bereitgestellt.
„Ich würde vorschlagen, wir überlegen uns nun, wie wir weiter vorgehen.” Ich breitete eine Karte der Stadt auf dem Tisch neben dem Käfig aus.
„Würde es dir etwas ausmachen, mich rauszulassen?”, fragte die Hamsterdame, ihre Knopfaugen fest auf mich gerichtet. Ihre Backen waren zwar etwas größer als gewöhnlich, aber man würde nicht erwarten, dass sie drei ganze Bücher darin verstaut hatte.
„Läufst du mir auch nicht davon?”
„Jetzt denk mal nach, wenn ich dir nachher helfen soll, kannst du mich auch nicht die ganze Zeit im Käfig mitschleppen, oder was meinst du?” Es sah fast so aus, als ob sie ihre kleinen Pfötchen in die Seite stemmte.
Ein Seufzer entwich meinen Lippen. „Na gut.” Ich öffnete die Käfigtür und die Hamsterdame kam mit einem gemurmelten Danke herausgewuselt. Sie schnappte sich eine der Gurkenscheiben auf dem kleinen Teller.
„Hey, das ist mein Abendessen!”
„Hab dich nicht so, ich hab auch Hunger. Und ich kann so besser denken.” Mit der Gurkenscheibe in den Vorderpfoten lief sie langsam über die Karte.
Ich nahm mir eines der Canapés und ließ meinen Blick ebenfalls über die Karte gleiten.
„Also, wie du ja schon weißt, habe ich bereits eine Karte intus. Daher weiß ich, wo wir hinmüssen. Dort.”
Ich hinterließ einen etwas feuchten Pfotenabdruck. Die Gurke war saftig gewesen.
„Am besten wird sein, du trägst mich in deiner Westentasche hinein. Und ich werde mich dann an die Arbeit machen, wenn wir das Buch gefunden haben.”
„Klingt gut”, erwiderte Archibald.
Und dann stellte er die Gretchenfrage.
„Wo wir eigentlich gerade dabei sind. Was springt denn für dich bei der ganzen Sache heraus?”
„Was meinst du? Ich bin doch nur eine einfache, harmlose Hamsterdame mit einer Vorliebe für Bücher.”
„Sicherlich. Du bist Gefangene oder Angestellte einer geheimen Organisation, begleitest einfach den erstbesten Archivar und reist nach Prag, wo du dich in Gefahr begibst, nur um eine Handschrift des Rabbi Löw in die Finger zu bekommen. Sehr, sehr glaubwürdig.”
Verdammt. Der Mensch war schlauer, als er aussah.
„Würdest du mir glauben, wenn ich sage, dass ich einfach nur das ultimative Wissen erlangen will? Und das schaffe, indem ich die seltensten Bücher der Welt hamstere?”
„Nein, würde ich nicht.”
Ich seufzte. Als Hamster hatte ich das eine ganze Weile üben müssen, bevor es eindrucksvoll wirkte.
„Na gut, ich gebe mich geschlagen. Zuerst möchte ich dir eine Frage stellen. Wie viele sprechende und bibliophile Hamsterdamen kennst du?”
„Äh. Keine?”
„Abgesehen von mir, selbstverständlich nicht. Gibt es auch nicht. Also, die Sache ist die: Ich bin nicht von hier.”
Die Augen meines menschlichen Gegenübers weiteten sich ungläubig. „Was meinst du mit hier ?”
„Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich dir das begreiflich machen kann. Von diesem Planeten. Aus dieser Realität. Ich weiß es selbst nicht genau. Aber ich möchte dahin zurück, wo ich herkomme.”
„Also so etwas wie ein anderer Planet? Wie, um alles in der Welt, bist du dann hierhergekommen? Ich meine auf die Erde, in diese Dimension … Realität?“ Archibald wedelte unbestimmt mit seinen Händen.
Ich seufzte. „Das ist eine lange Geschichte, die ich dir bei Gelegenheit mal erzähle. Aber jetzt lass uns auf die Aufgabe vor uns schauen. Wir haben nicht viel Zeit.“ Etwas leiser fügte ich hinzu: „Und ein wenig Heimweh hab ich schon.“
Der Archivar schien zu zögern, doch dann sah ich ihn nicken. „Na gut, wie willst du es erreichen, wieder nach Hause zu kommen?”
„Ich hoffe, dass der Sammler ein Buch in seinem Besitz hat, das mir die Gelegenheit zur Rückkehr gibt. Möglich, dass ich dafür deine Unterstützung brauche. Und du brauchst Hilfe, das Manuskript von Löw zu besorgen. Helfen wir uns gegenseitig?”
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