Das lief im gesamten Westen gleich. Es gab die, die für einen kargen Lohn hart schufteten, und die, die es ihnen aus der Tasche zogen, was sie sich mit Schweiß und Blut erarbeitet hatten. Moralisch war das äußerst zweifelhaft, aber als verwerflich hätte er es nicht bezeichnet. »Er ist der Patron der Stadt?«
Bullock knirschte mit den Zähnen. »So ist es. Während der gesetzlosen Tage von Deadwood hat er ’ne Menge Geld gemacht und sich was Anständiges aufgebaut.«
»Die Hölle hat ihm den Weg geebnet«, warf McCall hastig ein.
»Die Hölle, sagst du?« James schüttelte den Kopf, griff zum Glas und stellte fest, dass es leer war.
Jane schenkte nach. »Es stimmt, was er sagt … ich wollt’s anfangs selbst nicht glauben.«
»Verdammt üble Dinge sind geschehen«, meinte Bullock. »Es sind nicht nur die Revolvermänner, die er sich geholt hat … alles ehemalige Bushwhackers, die er von früher kannte.« Er lehnte sich im Stuhl zurück, zog Tabak und Papier aus der Westentasche und begann sich eine Zigarette zu stopfen. »Wir hatten ’nen ziemlich guten Prediger hier, der dem Moloch aus Suff und Gewalt voller Mut entgegentrat. Er fing an, über die Machenschaften Swearengens zu predigen. Bald darauf starb er einen unnatürlichen Tod.«
»Nicht verwunderlich, wenn jemand in das Gebiet eines Patriarchen pisst«, brummte James, der die rauen Sitten der Grenzlande nur zu gut kannte.
»Mag sein«, erwiderte Bullock, »aber wozu schlägt man den Mann kopfüber ans Kreuz und hängt es über den Altar in der Kirche? Ist das üblich?«
James schluckte. Das ging wirklich verdammt weit. Andererseits musste man bedenken, dass die Leute um Swearengen ehemalige Bushwhackers waren, die keinen Skrupel kannten. »Hört sich an, als hätte er erreicht, was er wollte.«
»Er hat ihm das Herz herausgeschnitten und es gegessen«, krächzte McCall heiser. »Hab’s mit eigenen Augen gesehen, weil ich dabei war. Und das hat er nicht nur mit dem Prediger so gemacht!«
»Jeder, der sich gegen ihn stellt, endet auf diese Weise«, bestätigte Jane McCalls Einwurf. »Saloonbetreiber, Händler, selbst Bankangestellte.«
»Und alle, die bisher zumindest ansatzweise das Gesetz in Deadwood vertreten wollten«, murmelte Bullock. Ein geschwefeltes Streichholz flammte auf, mit dem er sich eine Zigarette anzündete.
»Und wie kommt’s, dass Sie noch leben?«, entgegnete James. Bisher hatte er keinen Teufel in Swearengen erkennen können, sondern nur ein resolutes Dreckschwein, das skrupellos seine Ziele verfolgte. »Weil Sie ein besonders harter Schweinehund sind?«
Bullock blies geräuschvoll den Rauch aus. »Ich kam mit meinen eigenen Männern hierher. Wir werden gut von der Mine Company bezahlt, dass wir hier für Ordnung sorgen. Es gab bereits ein paar Zwischenfälle, die ich jedoch als gegenseitiges Abtasten bezeichnen würde.«
Jane räusperte sich. »Da ist noch was anderes.«
James sah sie mit einer hochgezogenen Augenbraue fragend an. Ihm wurde bei der Sache langsam unwohl, weil er nicht in einen Machtkampf zwischen Möchtegern-Gesetzeshütern und einem mordlüsternen Lokalpatriarchen hineingezogen werden wollte. Er war selbst Marshall gewesen, unten in Ellsworth County, Kansas und wusste, dass dabei eine Menge unschuldiges Blut floss. »Und was?«
Jane druckste herum, schob ihr Glas nervös von sich. James wusste, wie schwer es war, Jane zu verunsichern. »Na ja, abgesehen von den Kreuzigungen verschwinden hier in letzter Zeit ’ne Menge Leute. Goldgräber, leichte Mädchen, Reisende, ja sogar Kinder …«
»Du weißt doch, wie es in Städten wie dieser läuft«, grunzte James und strich sich über den Bart. »Manche reisen ab, andere sterben, dann gibt es die speziellen Unfälle, wenn welche aneinandergeraten.« Er zwinkerte ihr zu.
»Das mein ich nicht«, entgegnete Jane, sah ihn aber nicht dabei an. »Die Leute verschwinden und tags darauf macht sich eine Kutsche Swearengens, stabil genug für einen Gefangenentransport, auf und verlässt die Stadt in Richtung Süden.«
»Haben sie ein paarmal ’ne Weile verfolgt«, ergänzte Bullock. »Vier Reiter begleiten den Transport, zwei weitere sitzen auf dem Kutschbock. Sie treiben die Gäule zur Eile an, bis sie schäumen. Haben sie bis an die Grenze von Iowa verfolgt, sind allerdings zurückgeritten.«
»Sie fahren an den See, dorthin, wo Bloody Bill haust«, flüsterte McCall. Ihm war anzusehen, dass er Angst davor hatte, den Namen laut auszusprechen. »Oder das, was aus ihm geworden ist …« McCall nahm im Stuhl eine aufrechte, gestraffte Haltung an. »Um ihn mit Frischfleisch zu versorgen und ihm einen Tempel zu errichten!«
»Was? Mit … Frischfleisch? Etwa von …«
McCall nickte, hielt James’ Blick stand. »Menschenfleisch. Fachgerecht zerlegt und zubereitet im Eiskeller unter dem Gem’s.« Er senkte den Blick. »Was sie mit den armen Leuten dort anstellen, bevor sie sie töten, hat mich dazu bewogen abzuhauen.« McCall keuchte, sank in die ursprüngliche, gekrümmte Haltung zusammen. »Jede verdammte Nacht wache ich auf, weil mich Albträume plagen. All die flehenden Blicke, die sie mir aus ihren aufgerissenen Augen zuwerfen … ich halt das nicht mehr aus.« McCall schluchzte und sah zu Boden.
Eine Weile herrschte Stille im Nebenzimmer. Nur die gedämpften Geräusche aus dem Saloon zeugten davon, dass sie sich inmitten einer geschäftigen, pulsierenden Stadt befanden.
Schließlich war es James, der das Schweigen brach. Aus dem ganzen Gefasel um Tod und Teufel wurde er nicht schlau. Somit hatte er eine Entscheidung getroffen, von der er hoffte, sie nicht zu bereuen. »Ich werde rübergehen und mir selbst ein Bild davon machen. Danach werde ich meine endgültige Entscheidung treffen!« Er trank sein Glas aus, stellte es umgedreht auf den Tisch zurück, stand auf und verließ das Hinterzimmer des Nuttall & Man’s ohne ein weiteres Wort.
Ein guter Zeitpunkt, um die Suche zu beenden
Buck Carlin betrat die Kirche durch den Seiteneingang. Der nur spärlich beleuchtete Flur empfing ihn mit einer angenehmen Kühle, die auf seiner Haut ein Kribbeln verursachte. Er fühlte sich an McCalls Kühlraum erinnert und musste grinsen. Nicht mehr lange, und Bob würde alle Hände voll zu tun haben, denn im August war Hochsaison.
Buck durchquerte den kurzen Flur, von dem die Wirtschaftsräume abgingen, und betrat durch die Tür an dessen Ende die Sakristei. Er hatte gehofft, den Prediger in dem quadratischen, holzgetäfelten Raum anzutreffen. Was er fand, war eine halb volle Flasche Whiskey zwischen Messingkelch und Monstranz. Auf dem schmalen Regalbrett lagen zweiundzwanzig Kugeln Kaliber 44 fein säuberlich aufgereiht, umgeben von liturgischen Gegenständen und Whiskeyflasche in einem lockeren Halbkreis, schufen einen Schrein. Die Luft war in penetranter Weise von Weihrauch geschwängert, dass es ihm in den Augen brannte. Eine schwarze Kasel hing zerknittert auf einem Kleiderbügel, ein ausgelatschtes Paar Hausschuhe stand darunter. Nur vom Prediger fehlte jede Spur. Allerdings musste er vor Kurzem hier gewesen sein, denn sein unverwechselbarer Geruch hing in der Luft.
Also die Kirche , mutmaßte Buck, ging durch den beengend kleinen Raum und stieß die doppelte Schwingtür auf, die hinter dem Altar ins Kirchenschiff führte. Dort war es dunkel, denn die einzige Lichtquelle bestand aus träge im Luftzug flackernden Kerzen. Buck machte einen Bogen um den mit einem scharlachroten Tuch bedeckten, fliegenumschwirrten Altar. Der fleckige Stoff schimmerte wächsern. Anders als in der Sakristei hing in der Kirche ein schwerer, süßlicher Geruch wie von verdorbenem Obst mit einer Note von Kupfer. Schmutz knirschte unter seinen Stiefelsohlen. Es war lange her, dass jemand in der Kirche gefegt hatte. Früher hatte Bobs Frau dafür gesorgt. Einmal pro Woche staubte sie die Heiligenstatuen ab, fuhr über die Bilder, wischte den Boden feucht auf, erneuerte die Kerzen. Nachdem das Exempel an ihr vollzogen worden war, hatte sich niemand mehr gefunden, um ihren Platz einzunehmen.
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