„Haben Sie ein Alibi?“
„Um Gotteswillen, es war doch nicht etwa Mord?“
„Das wissen wir nicht. Also, wo waren Sie?“
Ich brauchte nicht lange zu überlegen. „Nichts Besonderes, ich war die ganze Zeit im Büro und ein paar Mal im Stall und abends habe ich mich mit meinem Freund gestritten.“
„Worüber?“
„Wie bitte?
„Worüber Sie sich mit Ihrem Freund gestritten haben? Würden Sie uns bitte seinen Namen sagen?“
„Gerson King“, sagte ich missmutig. „Wir streiten uns darüber, wer den Abwasch macht. Er will einfach keine Spülmaschine kaufen.“ Der Scherz war ein bisschen abgeschmackt, kein Wunder, dass niemand darauf einging.
„Was haben Sie im Reisebüro gemacht? Hat Ihnen Ihr Chef gesagt, was er vorhatte?“
Ich schloss für einen Moment die Augen. Da war der unheimliche Einbruch und dann kam die Mistattacke. Aber Massimo hätte mit der Polizei darüber nicht reden wollen und es wäre unfair gewesen, wenn ich jetzt davon angefangen hätte. Und da war diese E-Mail auf Massimos PC. Und er hatte irgendetwas wegen seiner Finanzen regeln müssen.
„Hallo?“ Die Polizistin stieß mich an der Schulter an. Hätte sie mich doch in Ruhe nachdenken lassen, irgendetwas war gerade dabei, die Schwelle meines Bewusstseins zu überschreiten, eine schwarze Kugel oder ein zusammengeknülltes Papier, aber jetzt war es weg, für immer möglicherweise.
„Herr Auditi war Reiter?“
„Er hatte zwei Pferde, aber vor einem Jahr musste er sie verkaufen“, sagte ich.
„Warum?“
„Weil er eine Pferdhaarallergie hatte, er konnte nur noch ausreiten. An der frischen Luft war der Husten nicht so schlimm.“
„Und sein Geschäft? Wie lief das Geschäft?“
„In letzter Zeit wieder besser. Er wollte ein neues Reiseland erschließen – Norwegen, wegen der frischen Luft, wissen Sie.“ Für Norwegen interessierte sich die Polizistin nicht, das merkte ich sofort.
„Wie lange war Herr Auditi schon im Reisegeschäft tätig?“, wollte sie wissen.
„Als ich ihn kennenlernte, hatte er das Büro gerade aufgemacht“, sagte ich.
„Und davor – wo hat er gearbeitet?“
„Keine Ahnung, da kannte ich ihn doch noch gar nicht.“ Es stimmte wirklich, über Massimos Vergangenheit wusste ich so gut wie nichts, er hatte mir nichts erzählt und ich hatte ihn nie nach seinem Vorleben ausgefragt. Ich arbeitete schon drei Jahre lang mit Massimo Auditi zusammen und musste mir auf einmal eingestehen, dass ich ihn so gut wie nicht kannte.
„Fällt Ihnen sonst noch etwas ein?“
„Ja, er hat mir gesagt, er müsse etwas mit seinen Finanzen regeln.“
„Wann?“
„Na, bevor er verschwunden ist.“
„Haben Sie sich nicht gewundert, dass er drei, vier Tage lang nicht auftauchte?“
„Doch, natürlich.“
„Und warum haben Sie nicht die Polizei verständigt?“
„Es war mir nicht geheuer, das schon. Aber es kam öfter vor, dass Massimo eine Dienstreise machte. Außerdem war ja auch noch Wochenende. Und ich hatte ziemlich viel privaten Kram um die Ohren. Heute habe ich meine Arbeit erledigt und bin dann schnell in den Stall gefahren, weil mir mein Pferd gebracht wurde. Wenn er morgen nicht gekommen wäre, hätte ich …“
Eigentlich wollte ich noch erzählen, dass ich mich im Reitsportgeschäft Vordermann nach ihm erkundigt hatte, doch die blonde Polizistin mit dem Filzkopf unterbrach mich schon wieder: „Wenn ich Sie recht verstehe – Ihr Pferd war Ihnen wichtiger als das Verschwinden Ihres Chefs?“
Diese Logik erschien mir ziemlich spitzfindig. Was hätte ich dazu sagen sollen? Ich zuckte wortlos die Achseln. „Ich wusste ja nicht, dass er verschwunden ist!“, versuchte ich mich zu rechtfertigen.
„Schon gut! Können Sie sich an irgendjemanden erinnern, der in das Reisebüro kam?“
„Ein paar italienische Kunden. Und …“
„Was und?“
„Nein, nichts.“ Der Green-Orange-Man , lag auf der Zunge, Hansi Helm. Nein, lieber nicht! Warum sollte ich ihn anschwärzen? Der Banker hatte bestimmt nichts mit Massimos Verschwinden zu tun und ich wollte es mit ihm nicht verderben. Gerade jetzt nicht; wo ich so knapp bei Kasse war, vielleicht konnte ich seine Hilfe noch einmal brauchen. Aber vielleicht interessierten sich die beiden für die E-Mail, mit der sich Massimo mit einem Kunden verabredet hatte? Doch gerade als ich davon anfangen wollte, standen die Polizisten auf.
„So, das wär’s für heute. Möglich, dass wir Sie noch einmal interviewen müssen. Halten Sie sich bitte bereit. Und noch etwas: Wir müssen demnächst das Reisebüro versiegeln, Sie können Ihre privaten Sachen holen.“ Der Kommissar ließ mich wieder in den Genuss seines kräftigen Händedrucks kommen, dann verließen sie das Reiterstübchen. Tom begleitete die Polizisten zur Tür, während ich benommen am Tisch sitzen blieb und meine rechte Hand knetete.
„Einen Augenblick, bitte“, rief ich den beiden nach. „Woher wussten Sie eigentlich, dass ich hier im Stall war?“
Der Kommissar blieb in der Tür stehen: „Wir haben unsere kleinen Geheimnisse“, grinste er. Flora Schandin winkte mir ein Adieu zu, aber freundlich wirkte es nicht.
„Ich hole uns erst mal einen Kaffee“, sagte Tom. Es dauerte nicht lange bis er zwei Tassen mit rabenschwarzem Espresso vor uns hinstellte. „Massimo! Der arme Kerl! Jetzt auch noch das! Zuerst die verdammten Koliken und Unfälle und jetzt vielleicht noch ein Mord!“, seufzte er.
Ich schüttelte mich vor Kälte. Mir war, als ob sämtliche Finger und Zehen taub würden. Ich schüttete das schwarze Gesöff in einem Zug hinunter; der Espresso brachte meine Lebensgeister allmählich wieder in Schwung und mit ihnen kam das blanke Entsetzten.
„Meinst du wirklich, Massimo ist ermordet worden?“ fragte ich.
„Wenn jemand tot auf einem Parkplatz mit einer Schusswunde im Genick gefunden wurde?“
„Was? Genickschuss? Das haben mir die Polizisten nicht gesagt!“
„Ich glaube, sie wollten erst einmal überprüfen, ob du als Täterin in Frage kommst.“
„Ich? Warum sollte ich meinen Chef hinterrücks umbringen, von dem ich finanziell abhänge?“
„Siehst du, da hast du es schon!“
„Was habe ich? Tom, deine Logik ist mir zu hoch. Wenn du mich fragst, was hinter diesen krummen, schrecklichen Dingen steckt, dann …“ Ich schwieg betreten.
Mir wurde auf einmal klar, dass ich nicht nur um meinen Chef Massimo trauerte, sondern auch selbst ziemlich tief im Morast steckte. Jetzt stand ich vielleicht sogar unter Mordverdacht.
„Ich hab keinen Job mehr!“
Tom nickte und vergrub das Gesicht in den Händen. „Mörderisches Schicksal!“
In diesem Augenblick klopfte es an der Tür. Die beiden Polizisten! Wollten sie mich jetzt schon verhaften?
„Frau Roth, wären Sie eventuell bereit, Ihren Chef zu identifizieren? Wie es scheint, hat er keine nahen Verwandten hier in Heidelberg, Sie sind die einzige, die …“. Ich nickte mechanisch, obwohl ich am liebsten Nein gesagt hätte.
„Gut, dann melden wir uns bei Ihnen.“
Ich schaute auf die Uhr. Die Reitstunde hatte ich verpasst, ich war richtig froh, dass ich nicht mehr zuschauen musste. Was hätte ich denn von Tissas Vorführung lernen können? Ich griff in meine Westentasche, aber statt eines Papiertaschentuchs, das ich dringend für meine laufende Nase benötigte, stieß ich auf einen zusammengeknüllten Zettel.
„Eine Rechnung?“, fragte Tom mitfühlend.
„Nein, ein Geschenk von Tissa.“
„Von unserer Hof-Astrologin?“
„Ich dachte, sie ist unsere neue Futterlieferantin?“
„So würde ich sie nicht nennen. Sie sorgt eher für Futterergänzungsmittel“, sagte Tom.
Ich faltete das Papier auseinander und strich es glatt. Stier stand auf dem Zettel, es stimmte, ich hatte im Mai Geburtstag.
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