Gespannt wartete ich, dass Iris mir ihren Plan mitteilen würde, doch sie sprach nicht weiter.
„Wolltest du mir nicht etwas sagen?“
„Ach, das hat Zeit, Plan B – vielleicht brauchen wir ihn gar nicht.“
Nach der Besamung würde die Zeit des Wartens beginnen. Würde Nine aufnehmen? Wenn alles gut ginge, blieben von da an noch elf Monate, bis das Fohlen auf die Welt käme. In den ersten Monaten blieb das Kleine bei Nine und sie musste es säugen. Diese Zeit des Fohlens bei Fuß würde bestimmt noch einmal ein halbes Jahr dauern. Alles in allem würde Nine gut zwei Jahre wegbleiben. Ich schluckte.
„Okay, wenn du meinst, dass dein Nachbar – wie heißt er doch?“, sagte ich stockend.
„Poliglott“, rief Gerson, der sich an meinem Drucker zu schaffen machte.
„Also, wenn Monsieur Poliglott mitmacht, dann bin ich mit allem einverstanden.“
Ich drückte auf die rote Taste und legte den Apparat in die Basisstation, um endlich unter die Dusche zu verschwinden.
„Halt, stopp! Einen Augenblick noch.“ Gerson wedelte mit einem Blatt Papier durch die Luft. „Muss noch eine Sekunde trocknen.“ Ich tippelte ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Beim Reiten hatte ich geschwitzt und im Bademantel war es mir kalt geworden. Doch Gerson gab mir kein Pardon. Fotos waren sein Ressort mit allem, was dazu gehörte. „Da ist er: Dein Hengst für alle Fälle!“
Es war eine zauberhafte Aufnahme. Paletti trabte mit wehender Mähne auf mich zu, schaute mich aufgeweckt an und rief: „ Alles Paletti , oder was?“
Ich musste immer öfter für Luis einspringen. Sein Verkaufsstall florierte, mit Sportpferden sei eine Menge Geld zu machen, sagte Tom. Er hatte mir verraten, dass Luis auch noch mit einer Vereinsgründung beschäftigt wäre, es ginge dabei auch um Pferde, doch Tom wusste nichts Genaues. Er sprach mit großem Respekt von Luis, er war glücklich, einen so reichen und erfolgreichen Mann als Einsteller zu haben. Und dass es dazu gekommen war, hatte Tom auch ein bisschen mir zu verdanken.
Ich ritt Fango gerne, besonders, wenn Luis mir dabei zuschaute. Die Bekanntschaft mit ihm entschädigte mich dafür, dass meine alten Freundinnen und Freunde Liberty, Roberto und Carmen nicht mehr auf dem Leierhof waren. Ich hatte mich immer danach gesehnt, einmal einen Mann kennenzulernen, der meine Pferdeleidenschaft teilte und mit dem ich mich übers Reiten austauschen konnte. In unseren Gesprächen standen immer die Pferde im Mittelpunkt und ich freute mich besonders, wenn er sich nach Nine erkundigte:
„Geht es ihr gut? Gibt's was Neues?“
Ich zuckte die Achseln. „Iris hat einen Hengst ausgesucht, aber wir müssen die Körung abwarten.“
„Soll er in Glovelier gekört werden?“
„Du kennst dich gut aus – ich habe zum ersten Mal von diesem Ort gehört, und du tust so, als ob es sich um die Körung im Landesgestüt Marbach handelt.“
„.Ich habe gute Geschäftsfreunde, die mich auf dem Laufenden halten“, sagte Luis. „Was hast du gesagt – wie heißt der Hengst?“
Hatte ich Luis seinen Namen wirklich schon verraten? Wenn ja, musste ich mich verplappert haben, denn ich hatte Iris versprochen, absolutes Stillschweigen über unsere Pläne zu bewahren. Aber warum eigentlich?
Ich fand nichts dabei, doch vorsichtshalber bat ich ihn:
„Du sagst ihn niemandem weiter, versprochen? Paletti heißt er.“
„Der diesjährige Favorit? Soll ein ordentlicher Kracher sein. Iris versteht etwas von ihrem Job! Er hat null Prozent Fremdblut.“
Luis brachte mich zum Staunen. Wenn es jemanden bei uns in Baden gab, der sich in der Schweizer Pferdezuchtszene auskannte, dann war es Luis.
„Was soll das heißen – Fremdblut?“
Ein merkwürdiges Wort, das bei mir mit dunklen Assoziationen verknüpft war: Rasse, Blut und Gene und die Reinheit der Zucht – das waren Begriffe, die ich von meinem Großvater her kannte. Ihm war es natürlich nicht um Pferde gegangen. Er war schon als Kind in die Hitlerjugend eingetreten und, obwohl er im Alter die Grünen wählte, war er ein in der Wolle gefärbter Nazi geblieben. Von Rasse und Blut sprach er natürlich nicht offen, doch an seinen Kommentaren zu bestimmten politischen Ereignissen hatte ich seine braune Grundeinstellung unschwer ablesen können.
Luis schien mein Stirnrunzeln nicht zu bemerken und ahnte nichts über meinen gedanklichen Ausflug in unsere dunkle Nazi-Vergangenheit.
„Ganz einfach, es geht darum, das „Original Freiberger Pferd“ zu erhalten. Sein Fremdblutanteil darf 2% nicht übersteigen.“ Luis klang auf einmal ernst. Der freundlich-verbindliche Ton in seiner Stimme war verschwunden. Was er sagte, wirkte streng und ein bisschen oberlehrerhaft.
„Dann wäre Paletti also so ein Original Freiberger Pferd?“
„Genau. Und deine Freundin Iris will ihn mit einer deutschen Stute kreuzen.“
Doch die dunkle Wolke auf seiner Stirn hielt sich nicht lange. „Vera, ich habe meine Kamera dabei – was hältst du davon, wenn ich ein paar Bilder von dir auf Fango mache?“
Natürlich war ich einverstanden. Mein Freund Gerson war Fotojournalist, und trotzdem gab es von mir kaum Bilder zu Pferde. Tierfotografie wäre nicht sein Gebiet, entschuldigte er sich, doch war das ein Grund, es überhaupt nicht zu versuchen? Wenn das Foto gelingen würde, würde ich Luis um einen Ausdruck bitten. Ich würde das Bild rahmen und es Gerson schenken. Schade, dass ich kein Foto von mir und Nine hatte, dachte ich, vielleicht hätte Gerson so ein Foto besser gefallen.
In der nächsten Woche befand ich mich in einem eigenartigen Seelenzustand. Ich konnte mich nur schlecht konzentrieren, brauchte doppelt solange für meine Reiseberichte und suchte stundenlang nach meinem Schlüssel, wenn ich aus dem Haus gehen wollte. Mein Herz klopfte und ich hätte jeden umarmen können, der mir über den Weg lief. Doch Gerson schien alles daran zu setzen, mir meine Freude zu vergällen. Schon wie er mich beim Frühstück schräg von der Seite her anschaute, gab meiner Hochstimmung einen Dämpfer. „Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich glauben, du bist verliebt.“
Er ahnt etwas, durchfuhr es mich, doch glücklicherweise gelang es mir schnell, auf sicheres Terrain zurückzukommen. Ein Blick auf Gerson genügte – so mürrisch wie er sein Butterbrötchen in zehn kleine Teile schnitt und sie wie eine Mauer um seinen Tellerrand legte, sagte mir alles über seinen Gemütszustand. Gerson war ein Miesmacher, ein Spaßverderber. Und dabei war er doch an allem schuld. Wer hatte mir denn das Bild von Paletti in einen roten Rahmen gesteckt und so auf meinem Schreibtisch platziert, dass ich, ob ich wollte oder nicht, darauf schauen musste? Gerson hatte vollkommen recht. Ich war verliebt, nicht so sehr in Luis, wie mir Gerson unterstellte, sondern in Paletti, den jungen Rotschopf. Der Hengst war einfach umwerfend und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass er gleich nach der Körung zu meiner Nine gebracht würde. Leider dauerte es bis dahin noch gute zwei Wochen und ich musste mich wohl oder übel in Geduld üben.
Nachts schlief ich unruhig und träumte immer wieder den gleichen Traum. Nine war rossig, es war nicht zu übersehen. Mit aufgestelltem Schweif und abgeschrägten Beinen stand sie da und rosste auf die Stallgasse. Da sah ich, wie sich ihr jemand mit einer Spritze näherte, ich konnte die Person nicht erkennen, doch ich war mir sicher, dass es ein Mann war. Nine sah ihn, riss ihre Augen auf und drehte sich zu mir um. Ich verstand jedes Wort: „Lass mich nicht allein“, flehte sie.
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