Diese sogenannte globale Kultur, die durch die Werbung, die Massenmedien und ein okzidental geprägtes Bildungssystem so erfolgreich verbreitet wird, tendiert dazu, überhaupt zu leugnen, dass es lokales Wissen und traditionelle Weisheit gibt, bestreitet deren Daseinsberechtigung oder erklärt sie schlicht als nicht existent. Im besten Fall integriert die sich weltweit durchsetzende Kultur einige symbolische Elemente wie Musik, Kleidung oder Kunst aus nichtwestlichen Kulturen. Doch das Wesen und die Werte dieser Kulturen werden weitgehend nicht zur Kenntnis genommen. Gleichzeitig lässt die globalisierte Kultur „Alternativen verschwinden, indem sie die Wirklichkeit austilgt und zerstört, welche sie darzustellen versuchen. Die Einförmigkeit des herrschenden Wissens dringt durch die Bruchlinien ein. Zusammen mit der Welt, auf die sie sich beziehen, werden diese Alternativen dem Untergang preisgegeben. So erzeugt das herrschende wissenschaftliche Denken eine Monokultur des Geistes, indem es den Raum für Alternativen verschwinden lässt.“ (Shiva 1993, 12)
Das Wissen aufspalten und monopolisieren
Eine Weise, wie Wissen aufgespalten und zerstört wird, ist ironischerweise die massenhafte Verbreitung von Information, die vielfach nur von geringem Wert ist. Das durchschnittliche amerikanische Kind sieht sich dreißigtausend Werbespots an, bevor es den ersten Schulabschluss macht, und Teenager verbringen mehr Zeit damit, sich von kommerziellem Fernsehen einlullen zu lassen, als sie in der Schule zubringen (Swimme 1996). Eine solche langfristige und ständige Gehirnwäsche, die schon früh beginnt, kann unseren Blickwinkel nur einengen und uns dazu abrichten, die herrschende (Un-)Ordnung als Normalität zu betrachten. Es ist zum Beispiel kaum zu glauben, dass ein durchschnittlicher US-Bürger mehr als tausend Firmenlogos, aber nicht einmal zehn Tier- und Pflanzenarten aus seiner Region kennt (Orr 1999). Die herrschende Monokultur stopft uns mit „irrelevanter“ Information voll, hält uns aber oft davon ab, echtes Wissen zu erwerben.
Gleichzeitig tendiert das Medium Fernsehen von sich aus dazu, Wissen in einzelne isolierte Bruchstücke von Information aufzuspalten. Die Fernsehnachrichten, die sich hauptsächlich aus kurzen „Soundelementen“ zusammensetzen, bringen uns bei, mit komplexen Themen so umzugehen, dass wir sie zunächst in Bruchstücke zerlegen, die losgelöst von jeglichem einheitsstiftenden Bezugsrahmen oder irgendeiner Hintergrundanalyse sind. Fernsehprogramme, die zwischen dreißig und sechzig Minuten lang sind, beschäftigen sich in der Regel auch mit einfachen Fragen (wenn sie überhaupt irgendwelche Fragen thematisieren!), die schnell „gelöst“ werden können. Auf diese Weise vermeiden sie weitgehend komplexe Themen. Doch diese Art von den Geist abstumpfender Unterhaltung entfremdet die Menschen oft von traditionellen kulturellen Tätigkeiten wie Geschichten erzählen, miteinander reden, Musik, Kunst und Tanz.
Dieser gesamte Prozess erinnert an die Worte von T.S. Eliot:
„Wo ist die Weisheit, die uns im Wissen abhanden kam?
Wo ist das Wissen, das wir mit der Information verloren haben?
Dem könnten wir sogar noch eine dritte Zeile hinzufügen:
Wo ist die Information, die wir in der Zerstreuung verloren haben?
Die globalisierte Kultur streckt ihre Fangarme aus und versucht dabei alles an traditionellem Wissen an sich zu reißen und zu monopolisieren, was sich als profitabel erweisen könnte. Das kann man überdeutlich am Bestreben der transnationalen Konzerne erkennen, das Leben selbst zu patentieren. Die Welthandelsorganisation öffnete dafür die Tore, als sie den Patentschutz für Samen und genetisches Material zuzulassen begann. Vandana Shiva schreibt, dass zwei US-amerikanische Konzerne das ausgenutzt haben, um Patente für Basmati-Reis und Neem – ein natürliches Pestizid und Funghizid – einzureichen. Beide Pflanzen wurden seit Jahrhunderten von indischen Bauerngemeinden kultiviert. 16Diese Art von „Biopiraterie“ wird zur Normalität. Es hat sogar Versuche gegeben, Gene einer autochthonen Bevölkerung patentieren zu lassen. Dass dieser Wahnsinn innerhalb der (Un-)Ordnung, die derzeit den Planeten beherrscht, als folgerichtig angesehen werden kann, ist ein klarer Beweis für den krankhaften Charakter, der ihr zutiefst eingeschrieben ist.
Zerstörung der Vielfalt
Die „Monokultur des Geistes“ breitet sich aus und vernichtet dabei andere Kulturen, Sprachen und Wissenssysteme wie ein Krebsgeschwür. Genauso wie die einheimischen Pflanzen- und Tierarten aussterben und durch einige wenige, wirtschaftlich nützliche Varianten ersetzt werden, so verschwinden auch ganze Kultursysteme. Viele von ihnen haben sich innerhalb von Tausenden von Jahren entwickelt und sind einzigartig an ein bestimmtes Ökosystem angepasst. Das trifft besonders auf die autochthonen Kulturen zu. Jeder Verlust einer Kultur bedeutet den Verlust an Vielfalt, den Verlust am wahren Reichtum der Erde. So wie die Vernichtung einer Pflanzenart im Regenwald den Verlust eines Heilmittels gegen Krebs oder einer wertvollen Nahrungsquelle bedeuten kann, so bedeutet auch die Zerstörung von einzelnen Mosaiksteinen des weltweiten kulturellen Gesamtbildes eine Minderung der Schönheit und des Geheimnisses des Lebens selbst. Das ist etwas, das niemals zutreffend gemessen oder quantitativ zum Ausdruck gebracht werden kann.
Ein besonderes Beispiel dafür ist der Rückgang der in der Welt gesprochenen Sprachen. Die Sprache ist in vieler Hinsicht ein zentraler Aspekt der Kultur, denn sie bewahrt in sich einzigartige Weisen zu denken auf. Der Verlust einer jeden einzelnen Sprache bedeutet also den Verlust einer einzigartigen Perspektive, einer einzigartigen Weise, die Welt zu verstehen. Vor etwa zehntausend Jahren, so schätzen Sprachwissenschaftler, gab es zwölftausend Sprachen, die von den damals lebenden fünf bis zehn Millionen Menschen auf der Welt gesprochen wurden. Heute sind davon nur noch siebentausend übrig, obwohl die Weltbevölkerung auf über sechs Milliarden angestiegen ist. Gleichzeitig hat sich der Verlust an Sprachen beschleunigt, insbesondere im Lauf des letzten Jahrhunderts. Zurzeit verlieren wir etwa eine Sprache am Tag. Bei dieser Verlustrate wird es in hundert Jahren nur noch 2500 Sprachen geben. Andere Fachleute sind sogar noch weniger optimistisch und nehmen an, dass bis zum Jahr 2100 90 % der noch verbliebenen Sprachen verschwunden sein werden (Worldwatch Institute 2007).
In seinem Werk über den Aufstieg und Fall der Weltzivilisationen schrieb der Kulturhistoriker Arnold Toynbee, dass eine Zivilisation, die sich im Abstieg befindet, zu immer größerer Uniformität und immer mehr Standardisierung neigt. Wie gesunde Ökosysteme ermöglicht auch eine gesunde Zivilisation eine Vielfalt von Kulturen und Wissensformen. Uniformität ist ein Anzeichen für Stagnation und Verfall (Korten 1995).
Die immer größere Gleichförmigkeit der sich global ausbreitenden Kultur ist eine Begleiterscheinung der zunehmend vereinheitlichten Weltwirtschaft. In seinem Buch The Economy of Commerce vergleicht Paul Hawken (1993) unsere derzeitige Weltwirtschaft mit der ersten Ausbreitung von Unkraut. Auf Feldern, die gerade erst abgeerntet worden sind, wachsen die Pflanzen um die Wette, um den Boden so schnell wie möglich zu bedecken. Es wird viel Energie vergeudet, und die Artenvielfalt ist gering. Die Pflanzen, die man in solchen Biotopen findet, sind im Allgemeinen nicht sehr nützlich für andere Arten, auch nicht für die Menschen. Im Gegensatz dazu weisen die Ökosysteme mit der größten Artenvielfalt das größte Entwicklungspotenzial auf, wie zum Beispiel alte Waldbestände und Korallenriffe. In ähnlicher Weise vernachlässigt unsere Weltwirtschaft in ihrem wahnhaften Drang nach ungezügeltem Wachstum und nach Ausdehnung andere, wichtigere Eigenschaften wie etwa Komplexität, Kooperation, Bewahrung und Vielfalt. Es ist ein unreifes System.
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