Heiko Werning
Mein wunderbarer Wedding
Geschichten aus dem Prekariat
FUEGO
- Über dieses Buch -
Nach dem Überraschungserfolg mit seinem Debüt »In Bed with Buddha«, einem episodischen Entwicklungsroman, der den Autor aus dem behüteten Elternhaus im heimischen Münster ins Krisengebiet Wedding führte, weil dort zufällig was frei war, jetzt also Geschichten aus dem Problembezirk selbst, wo goldkettchenbehängte in makellosem Weiß gekleidete Jungtürken breitbeinig den Bürgersteig einnehmen und auf gefährlich machen, aber einem dann doch nur helfen, die gesuchte Adresse zu finden, wo ein türkischer Wirt mit deutschem Essen eine Marktlücke entdeckt zu haben glaubt, wo Friedrich der Große in voller Montur herumläuft, ohne daß jemand Anstoß daran nimmt, wo Dönerverkäufer, Kleinkriminelle, Säufer, Finanzbeamte und religiöse Spinner aller Irrglaubensrichtungen sich tummeln und in Wernings Geschichten unsterblich werden.
Werning, von Haus aus Reptilienforscher, hat das gemacht, was er gelernt hat: seine Umgebung und ihre Geschöpfe beobachtet und seine Beobachtungen aufgeschrieben, die geprägt sind von schöner Selbstironie und Lakonie.
»Eigentlich möchte man jede zweite Zeile zitieren, man möchte diese Sätze wegen ihrer Genauigkeit immer mit sich herumtragen und sagen: Die hat jemand geschrieben, der die Dinge von ihrem Inneren heraus erforscht. Ein Wilder unter Wilden, der sich auch gerne mal darüber amüsiert, wie der Blick von außen auf seine Heimat fällt.«
Jule D. Körber/Literaturkritik.de
»Das wahre Leben schreibt keine Geschichten. Das müssen schon die Autoren tun. Wenn sie so gut wie Heiko Werning sind, vermitteln sie den Eindruck, das Leben sei am Erzählen ...«
Alexander Reich/junge welt
»Ein Büchlein, das die Augen für Alltägliches am Rande des Glitzers und der Hektik öffnen kann.«
Tagesspiegel
Über dieses Buch - Über dieses Buch - Nach dem Überraschungserfolg mit seinem Debüt »In Bed with Buddha«, einem episodischen Entwicklungsroman, der den Autor aus dem behüteten Elternhaus im heimischen Münster ins Krisengebiet Wedding führte, weil dort zufällig was frei war, jetzt also Geschichten aus dem Problembezirk selbst, wo goldkettchenbehängte in makellosem Weiß gekleidete Jungtürken breitbeinig den Bürgersteig einnehmen und auf gefährlich machen, aber einem dann doch nur helfen, die gesuchte Adresse zu finden, wo ein türkischer Wirt mit deutschem Essen eine Marktlücke entdeckt zu haben glaubt, wo Friedrich der Große in voller Montur herumläuft, ohne daß jemand Anstoß daran nimmt, wo Dönerverkäufer, Kleinkriminelle, Säufer, Finanzbeamte und religiöse Spinner aller Irrglaubensrichtungen sich tummeln und in Wernings Geschichten unsterblich werden. Werning, von Haus aus Reptilienforscher, hat das gemacht, was er gelernt hat: seine Umgebung und ihre Geschöpfe beobachtet und seine Beobachtungen aufgeschrieben, die geprägt sind von schöner Selbstironie und Lakonie. »Eigentlich möchte man jede zweite Zeile zitieren, man möchte diese Sätze wegen ihrer Genauigkeit immer mit sich herumtragen und sagen: Die hat jemand geschrieben, der die Dinge von ihrem Inneren heraus erforscht. Ein Wilder unter Wilden, der sich auch gerne mal darüber amüsiert, wie der Blick von außen auf seine Heimat fällt.« Jule D. Körber/Literaturkritik.de »Das wahre Leben schreibt keine Geschichten. Das müssen schon die Autoren tun. Wenn sie so gut wie Heiko Werning sind, vermitteln sie den Eindruck, das Leben sei am Erzählen ...« Alexander Reich/junge welt »Ein Büchlein, das die Augen für Alltägliches am Rande des Glitzers und der Hektik öffnen kann.« Tagesspiegel
Offener Brief an Angela Merkel
200 Wochen Hinterhaus, 3. Stock
Restaurant Seestraße 606
Mein Migrationshintergrund
Meine Wohngemeinschaft
Haus Bottrop
Entfesselte Leidenschaft
Tage im Februar
Der Kapuzenmann
Die Wahrheit ist das höchste Gut
Krasse Mooves
Natürlich im Fernsehen
Bei meinem Libanesen
Mich wundert es ja kein bisschen, dass dieser ganze Kapitalismus allmählich zusammenbricht
Wie ich einmal fast zum Steuerflüchtling geworden wäre
Nachbarschaftshilfe
Das Kind spricht nicht
Wir Steuerhinterzieher
Telefon-Spam
Durch den kommenden In-Bezirk
Unerwünschte Mitbewohner
Im Finanzamt Wedding
Beim Orthopäden
Die Anforderungen zur Vergabe von Ausbildungsplätzen scheinen mir manchmal doch etwas hoch angesetzt
Brötchenzange
Der Seoul-Imbiss
Der erste Elternabend
Christenalarm
Busfahrer Superstar
Ostern in der Unterschicht
Wie wir mal ein Zeichen Gottes waren
Rattenhimmelfahrt
Nachbarschaftsgespräche
Wedding am Ende
Auf ein gutes neues Jahr
Über den Autor
Über Fuego
Impressum
Offener Brief an Angela Merkel
Liebe Angela Merkel!
Das Schöne, wenn man im Berliner Wedding lebt, einem jener verrufenen Viertel der Hauptstadt mit vielen realen und noch mehr von Außenwohnenden angenommenen Problemen ist, dass man nur vor die Tür gehen und die Menschen betrachten muss, und schon bekommt man gute Laune.
Hier zwängen sich Frauen in hautenge Tops, die dem Begriff »bauchfrei« eine ganz neue, geradezu physische Dimension geben, denn dem speckigen Bäuchlein bleibt oft gar keine andere Möglichkeit, als den Weg in die Freiheit zu suchen, alternativlos quillt es wie Zwiebelmettwurst an der offenen Seite des Kunstdarms heraus, wenn man oben mal ordentlich draufdrückt. Männer daneben sind mit ausgefransten Ledermatten behangen und gucken durch die vom U-Bahn-Schacht-Abwind lustig hin und her spielenden Zotteln ihrer Cowboyhüte in die Gegend, während andere so wirken, als seien sie ausgebrochene Exponate eines ZZ-Top-Museums. Migrationshintergründische Jugendgangs tragen bizarre Kopfrasuren zur Schau, blenden den Betrachter mit einem Weiß, bei dem sich die gute alte Tante Clementine schamhaft in ihre Waschküche verkrochen hätte, oder stopfen sich in seltsam aufgeplusterte Jacken, die sie von Weitem aussehen lassen, als würde sich das Michelin-Männchen mit seinen Kumpels zum Plausch treffen. Ältere deutsche Herren sind so zurechtgemacht, als wären sie GIs, die gerade aus dem Irak zurückkehren, und ältere türkische Herren laufen in maßgeschneiderten Anzügen zum Jobcenter, als müssten sie danach noch die Übernahme eines DAX-Konzerns unter Dach und Fach bringen. Ein Mann läuft hier sogar seit Jahren wie Friedrich der Große herum, im vollen preußisch-blauen Wichs, aufwändig geschminkt, mit Dauerwellen-Perücke.
Niemand hat diese Menschen gezwungen, so nach draußen zu gehen. Im Gegenteil: Dem nackten Entsetzen zum Trotz, das ihnen im Rest der Stadt entgegenschlagen würde – sie haben Aufwand und Mühe in Kauf genommen, sich so zurechtzumachen. Viele der Frauen mussten erhebliche körperliche Anstrengungen auf sich nehmen, um den glitzernden Synthetik-Stoff über die Beine zu bekommen, Präzisionsarbeit war erforderlich, um die Hosennaht so exakt zwischen die Schamlippen zu drapieren. Die Islamerjungs bringen ohne Zweifel viele Stunden in der Woche damit zu, mehrmals am Tag ihre Klamotten zu wechseln, damit sie immer im strahlenden Weiß leuchten, ganz zu schweigen von all den Goldkettchen, die abends ordentlich abgelegt und morgens in der richtigen Reihenfolge wieder installiert werden müssen, ohne dass sie sich verheddern.
Kurzum: Es ist der freie Wille all dieser Menschen, so herumzulaufen, es steckt oft viel Liebe zum Detail dahinter, ja, sie mögen das, warum auch immer.
Und dazwischen bewegen sich noch all diejenigen, denen alles egal ist. Die halt mit dem vor die Tür gehen, was gerade dran ist, im Unterhemd, in der Jogginghose, in Textilien, für die ich gar kein passendes Vokabular kenne.
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