Im Sommer 1961 hatte Janis ihr Sekretärinnen-Diplom in der Tasche und bestieg den nächsten Greyhound-Bus nach Los Angeles. Keiner weiß, ob es sich um eine Art »elterliche Verbannung« oder aber um eine »Flucht« von Janis aus dem Elternhaus handelte.
Anfangs wohnte Janis bei Tante Mimi und ihrem Mann, einem Hobbymaler mit einem eigenen Atelier im Gartenschuppen. Sie arbeitete bei der LA Telephone Company als Kartenlocherin. Dann zog sie in die Dreizimmerwohnung von Tante Barbara, deren Tochter jedoch bald eifersüchtig auf Janis wurde. Dorothy zufolge hatte sich Janis schon mit ihrem ersten Gehaltsscheck ein hübsches Apartment in der Nähe ihrer Arbeitsstelle genommen, es dann aber nicht mehr bezahlen können. Im Herbst zog sie jedenfalls zur Missbilligung aller in eine Art Strandhaus in der heruntergekommenen Strandkolonie Venice, dem Beatnik-Viertel in Santa Monica, und nahm einen Job bei der Bank of America an. In dieser Zeit begann auch ihr reges Sexualleben mit Partnern beiderlei Geschlechts. Vermutlich kam sie damals auch erstmals mit Drogen in Berührung. Weil das legendäre Beatnik-Leben in Venice längst der Vergangenheit angehörte, trampte sie im Spätherbst 1961 nach San Francisco, dem gelobten Land der Kerouacjünger, aber auch hier war die Beatnik-Szene inzwischen tot. Der City Lights Book Shop, der Buchladen von Ferlinghetti, wurde zu ihrer Anlaufadresse. Wie lange ihr Aufenthalt an der Golden Gate Bridge dauerte, ist nicht bekannt, jedenfalls kehrte sie kurz vor Weihnachten wieder nach Port Arthur zurück.
Dort beeindruckte sie die provinziellen Freunde mit ihrem offenherzigen Benehmen und Beat-Slang sowie einer Schaffelljacke, die sie stolz zur Schau trug. Vermutlich hatte Janis mächtig auf die Pauke gehauen, um die texanischen Spießer zu schockieren, was ihr spielend gelang. Sie selbst meinte später zu ihrem ersten Ausflug ins Beatnik-Milieu nur: »Ich traf dort Leute meinesgleichen.« Nach ein paar Tagen bei den Langdons überraschte sie die ahnungslosen Eltern mit ihrer plötzlichen Rückkehr. Am Silvesterabend 1961 fand ihr erster öffentlicher Auftritt als Sängerin in Beaumont vor einem desinteressierten Publikum statt, das mit ihrem Bessie-Smith-Stil absolut nichts anfangen konnte. Jim Langdon hatte sie zu diesem Auftritt in einem Privatclub überredet. Aber der Besitzer, der Jazzer Jimmy Simmons, holte sie von der Bühne, weil er ihren Gesang nicht mochte.
Eine von den Jungs der Waller Creek Boys
Die erste Bühnenenttäuschung steckte Janis offenbar schnell weg, denn bereits im Januar 1962 trat sie im Folkclub Purple Onion in Houston auf. Und wenn Jim Langdon (der neben dem Sinfonieorchester in Beaumont auch diversen Tanzbands von Johnny und Edgar Winter _10angehörte) in einem Jazzclub spielte, holte er manchmal zum Schluss Janis für eine Version von »Cherry Pie« auf die Bühne. Mit ihm machte sie auch ihre erste Plattenaufnahme, einen Werbespot für eine Bank in Nacogdoches in Texas. Tary Owens und Jim hatten dafür zur Melodie von Woody Guthries _11»This Land Is Your Land« einen neuen Text verfasst. Allerdings wurde die Gesangsaufnahme nie verwendet.
This bank is your bank
This bank is my bank
From Nacdogcoches to the Gulf Coast Waters
Sixty years of savings
Sixty years of earnings
This bank was madefor you and me.
Werbetext von Tary Owens und Jim Langdon zur Melodie von Woodie Guthries »This Land Is Your Land«.
Im Frühjahr 1962 kehrte Janis ans Lamar College in Beaumont zurück, wohnte aber dieses Mal zu Hause. Es folgte wieder eine Phase der Anpassung ans bürgerliche Leben. Sie trug das Haar ordentlich hochgesteckt und jobbte in den Sommerferien als Serviererin in der Bowlingbahn. Nach Feierabend ging sie oft mit Jack Smith an den Strand oder zum Tanzen. Seinen Schilderungen nach wollte sie damals unbedingt als Dame behandelt werden und zerbrach sich den Kopf darüber, was sich schickte und was nicht. Doch von einem Tag auf den anderen schlug alles ins Gegenteil um und die alte, verdrängte Janis kam wieder zum Vorschein. Statt Bier trank sie Whisky, der Bourbon wurde ihr Begleiter. Todesmutig rauschte sie mit 120 Sachen in den Nebel am Strand, sorgte für hitzige Schmusereien und Wortgefechte. Der sensible Jack, der Gedichte schrieb und malte, konnte damit nicht mehr umgehen. »Es war eine phänomenale Energie, die befriedigt werden musste, und irgendeine Spannung, die sie nicht abbauen konnte.«
Sie nahm die wilden Ausflüge mit ihrer Jungenclique über die Grenze nach Louisiana wieder auf. War es für anständige Jungs schon ungebührlich, so gehörte es sich natürlich für ein Mädchen erst recht nicht, sich in Spelunken wie Lou Ann, Big Oak oder Buster's zu besaufen. Janis ließ sich von den harten Burschen dort aushalten und wenn die Lage brenzlig wurde, mussten die Jungs aus der Clique den Kopf hinhalten. »Wir mussten immer zu viert oder fünft sein, um überhaupt wieder lebend rauszukommen«, so Langdon.
Bei einem Sonntagabendausflug mit Janis und ihrer Freundin Patty Skaff überschlug sich das Auto auf dem Rückweg dreimal und blieb schließlich im Straßengraben liegen. Wie durch ein Wunder kamen alle Insassen heil davon. Ein andermal fuhren Jack Smith und Janis auf dem Heimweg einfach weiter bis Austin und landeten gegen fünf Uhr morgens vor einem heruntergekommenen Wohnblock, genannt The Ghetto. Als sie drinnen einen jungen Mann entdeckten, der auf dem Kühlschrank sein Banjo spielte - es war der Folkie John Clay -, rief Janis begeistert: »Das gefällt mir! Ich liebe es! Hier bleibe ich!« Zu Hause gab es ein Riesendonnerwetter, weil Janis die Fahrt mit dem Auto ihres Vaters unternommen hatte. Die genervten Eltern gaben sofort ihre Zustimmung, als Janis ihnen den Plan unterbreitete, ab sofort in Austin zu studieren.
Im Sommer 1962 schrieb sie sich an der University of Texas in Austin für das Fach Malerei und schöne Künste ein. Eigentlich war die Hauptstadt von Texas am Colorado River nicht minder provinziell und schon damals das Technologiezentrum Amerikas, also auch kein Ort für künstlerisch Begabte oder Unangepasste wie Janis. In der Country-Hochburg war in den sechziger Jahren Jazz, Folk und später auch Rock verpönt und bei Männern galt sogar ein Bärtchen als unanständig. Als Studienanfängerin durfte Janis außerdem nicht im Ghetto wohnen. Die Eltern zahlten die Miete in einer ordentlichen Studentenpension für Mädchen unter der Aufsicht einer Hausmutter Ecke Neunzehnte und Nueces Street. Damals war der Campus von so genannten »Bubbleheads«, Mädchen mit überdimensionalen Hochfrisuren, auch »Bienenkörbe« genannt, und Sportlern bevölkert, die Studentenverbindungen angehörten und selbstverständlich für die Rassentrennung waren.
Doch Janis hatte ihre Clique wieder, die im Ghetto wohnte, jenem vergammelten Apartmentkomplex in der Nueces Street 2812½ unweit der Universität. Zum engen Freundeskreis gehörten der Musiker Powell St. John, Jim Langdon, die Stopher-Brüder, John Clay, Julie Paul und kurzfristig auch Jack Smith. Zum harten Kern zählte zudem der Karikaturist und Cartoonist Robert Shelton, der mit Dave Moriaty die preisgekrönte satirische Campus-Zeitschrift Texas Ranger herausgab, die es bald auf die unglaubliche Auflage von 25.000 Exemplaren brachte. Geschichten wie »Wie man sich in Dallas betrinkt« trafen den Geschmack der Studenten. Noch heute ist in Texas Kampftrinken ein beliebter Sport. Man feierte ununterbrochen Partys, die Beatnik-Dichter Kerouac und Allen Ginsberg waren ebenso Vorbilder wie die Kleiderordnung der Folkies aus Greenwich Village, New York. Die Zimmer kosteten 35 Dollar Monatsmiete und waren Treffpunkt, Liebesnest, Absteige und Durchgangslager für die Freunde aus Port Arthur und Beaumont. Viele aus dieser Clique zogen später nach San Francisco, gaben Underground-Magazine heraus, arbeiteten als Poster-Künstler oder Musiker.
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