Sie besaß eine gewitzte Intelligenz, war aber bei gewissen Themen engstirnig und intolerant. Sie fand sich nur schwer mit dem Hausfrauendasein ab, engagierte sich im sozialen und kirchlichen Leben von Port Arthur, wobei ihr das gesellschaftliche Ansehen über alles ging. Damals unterrichtete sie schon in Janis' Sonntagsschule der First Christian Church. Viele pädagogische Ehrenämter sollten folgen.
Amerika erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg einen Wirtschaftsaufschwung, hoch spezialisierte Techniker wie Seth waren gefragt und die Joplins bald wohlsituiert. Sie zogen in ein Haus an der wesentlich ländlicheren Procter Street 4330 um, nur unweit vom alten Wohnort entfernt. Dort besuchte Janis die Tyrrell Public School , die Volksschule der bibeltreuen First Christian Church, an der Dorothy unterrichtete, die ihrer Tochter anfangs auch noch Klavierstunden gab.
Vor der Geburt von Janis' Schwester Laura 1949 erlitt Dorothy zwei Fehlgeburten. Laura wurde geboren, als Janis sechs war, und stand nun im Mittelpunkt. Doch Janis zeigte keinerlei Eifersucht und kümmerte sich rührend um ihre kleine Schwester: »Sie beaufsichtigte sie mit viel mehr Fürsorge, als ich es tat«, so Dorothy.
Schon als kleines Mädchen hatte Janis die Geschichten und Märchen, die ihr erzählt wurden, weitergesponnen und ausgeschmückt. In der ersten Klasse schrieb sie kleine Theaterstücke, die sie mit Freunden aufführte. Dafür baute ihr Vater ein kleines Puppentheater im Garten. Es gab einen Sandkasten und jede Menge Tiere, vor allem Hunde, die Janis liebte.
Sie dachte sich diese Geschichten aus. Es war derart verrückt, dass man es so hinnehmen musste, wie es war. Meiner Meinung nach versuchte sie das Gleiche auch mit der Presse. Und dieser Schuss ging nach hinten los. Ich ignorierte ihre wundervolle Fähigkeit, den Menschen zu vertrauen.
Janis' Mutter Dorothy
Janis hatte keine Schulprobleme und brachte ohne große Anstrengung die besten Noten nach Hause. Sie sang zwar im Chor der lokalen Baptistengemeinde, doch keinem schien ihre musikalische Begabung aufzufallen und ihre Mutter hat das bewusst nicht thematisiert. Tatsache ist, dass Dorothy nach einer verpfuschten Schilddrüsenoperation 1949 ihre Gesangsstimme verlor und das Klavier der sechsjährigen Janis von einem Tag auf den anderen wortlos verbannte. Offenbar veränderte diese Operation ihren gesamten Charakter. Sie schien sehr konträr und extrem und pendelte zwischen zwei widersprüchlichen Lebenskonzepten, die ihrer emotional labilen Tochter keine Orientierung boten. Dorothy wurde zunehmend kühler, leidenschaftslos, streng, prüde und entwickelte sich zu einer altmodischen, sehr rigiden Frau. Damit waren die späteren Konflikte mit Janis, insbesondere in Bezug auf deren Gesangsambitionen, vorprogrammiert.
Laura meinte später, ihre Mutter hätte sie immer angetrieben, sich zu übertreffen, und alles überwacht, sogar das Spielen korrigiert und Verbesserungsvorschläge gemacht. Auch das Spielzeug musste Sinn machen, das Lernen fördern. Viele von Janis' Jugendfreunden berichteten, dass Dorothy eine starke Kontrolle ausübte, sehr sittenstreng und kritisch war. Wenig erstaunlich also, dass Janis' psychologische Entwicklung nicht mit ihrem Intellekt Schritt hielt. Noch mit acht Jahren lutschte sie am Daumen. Angeblich habe sie ihr Vater schließlich vor die Wahl gestellt, entweder damit aufzuhören oder auf eine ihrer Lieblings-Radiosendungen zu verzichten, was Janis mit einem Tobsuchtsanfall quittierte. Um ihr Zeichentalent zu fördern, schickte die Mutter sie während des dritten und vierten Schuljahrs zu einem privaten Kunstunterricht, der sich jedoch im Wesentlichen auf technisches Zeichnen beschränkte.
1953 wurde Janis' Bruder Michael geboren, den sie ebenfalls liebevoll umhegte. Allerdings forderte die bis dahin eher mustergültige und liebenswürdige Janis mehr Aufmerksamkeit als andere Kinder, war tonangebend und wollte immer im Mittelpunkt stehen. Sie entwickelte einen auffälligen Ehrgeiz, wie ihre Mutter stets in allem die Erste und Beste zu sein.
Es wurde deutlich, dass Janis sich selbst zum Erfolg trieb, ob es um Positionen, Zensuren oder Aktivitäten ging ...
Janis' Mutter Dorothy
In der sechsten Klasse wechselte sie, wie in den USA üblich, an die Mittelschule, übersprang aber wegen ihrer exzellenten Noten eine Klasse und bekam prompt mit den älteren Klassenkameraden Probleme, weil sie sehr klein war. Auch die vielen Rowdys im Bus setzten ihr zu und deshalb brachten die Eltern sie bald mit dem Auto zur Schule. Trotzdem tat sie sich immer hervor, zumindest wenn sie genügend Lob erhielt. Sie war in derselben Klasse mit ihrer langjährigen Freundin Karleen Bennett, die Janis und ihren Vater oft in die Bibliothek begleitete: »Mr. Joplin war sehr gebildet. ... Er riet uns, erst ein Buch in der Hand zu wiegen. Wenn es schwer ist, dann ist es wohl ein gutes Buch, meinte er, weil sie dann teures Papier genommen haben.« Janis erklärte später, »dass es das größte Ding in unserem Haus war, wenn du gelernt hattest, deinen Namen zu schreiben. Dann hast du dir einen Ausweis für die Bibliothek besorgen müssen.« Vater Seth diskutierte gern und unternahm mit den Kindern Ausflüge in die Natur, um »das Alltägliche spannend zu machen«. Dorothy war stolz darauf, ihre Kinder stets zum Denken und Diskutieren angehalten zu haben: »Wir schlossen die Kinder in all unsere Gespräche ein. Wir wollten, dass sie ihre Meinungen und Gedanken zu allem äußerten, was zur Sprache kam.«
Ich habe Gedichte gelesen und ein bisschen gemalt.
Janis Joplin
Damals hat sie gesungen. Das war ganz anders als dieses Geheul, das man später von ihr zu hören bekam.
Ein Lehrer aus der Junior Highschool über Janis Joplin
1953 hob der Oberste Gerichtshof die Rassentrennung in den Schulen auf, ein Urteil, das vor allem in den Südstaaten schlicht ignoriert wurde. Zu dieser Zeit gehörte Janis dem Schulchor der Junior Highschool an, zeichnete für die Schülerzeitung The Driftwood und schrieb dafür die Geschichte »Ein ganz ungewöhnliches Gebet«. Jack Smith lernte Janis in der siebten Klasse beim Bridgespiel in einem Club namens »Bridge für kulturellen Fortschritt« kennen. Seiner Meinung nach war sie damals durchaus beliebt. »Es gibt sehr viele Leute, die jegliche Kommunikation zwischen ihr und ihren Eltern glattweg leugnen, aber sie irren sich.« Er begleitete Janis auch in die Kirche, als sie in der neunten Klasse bei einer Weihnachtsaufführung mit ihrer hellen Sopranstimme ein Solo sang. »Sie war bereits ein kleiner Star und der Augenstern ihrer Mutter.« Damals begann Janis für das Schwarze Brett der Bücherei Plakate zu zeichnen und die Port Arthur News veröffentlichte ein Foto einer ihrer Illustrationen.
Dorothy förderte die Kunstbegeisterung ihrer Tochter mit Malutensilien und Kunstbänden. Allerdings war sie wenig davon begeistert, dass Janis ausgerechnet ein Faible für Aktzeichnungen entwickelte, im damaligen Port Arthur geradezu skandalös. Es wird berichtet, dass in Janis' späterer Zeichenklasse an der Universität in Austin die Aktmodelle noch Badeanzüge trugen. Als Janis die Innenseite ihrer Kleiderschranktür mit einem Akt zierte, war die Geduld ihrer Mutter am Ende und Janis musste das Bild übermalen. Der Vater versuchte es dagegen mit einer Ablenkungstaktik und unternahm mit seiner Ältesten Ausflüge ans Meer, um sie für die Landschaftsmalerei zu begeistern.
Dorothy und Seth wünschten sich eine ganz normale Familie, waren aber beide offenbar nicht in der Lage, Herzlichkeit und Wärme zu zeigen. Dorothy billigte es nicht, dass ihr Mann kein Christ war, sich in seine Garage zum Basteln zurückzog und dort heimlich der Flasche zusprach. Janis vergötterte ihren Vater geradezu, bezeichnete ihn als einen »heimlichen Intellektuellen«. Obwohl Seth hingebungsvoll für seine Familie sorgte, war er eher ein Eigenbrötler und Philosoph und meinte, dass er auch ein guter Mönch geworden wäre. Während die Mutter übermächtig war, wurde der Vater beinahe unsichtbar und machtlos und verkümmerte allmählich in der Enge von Port Arthur.
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