Leute machen Janis nach, selbst wenn sie nicht wissen, dass sie es tun. Meist sind es sogar langhaarige Männer in Heavy-Metal-Bands.
Debbie Harry, Sängerin der US-Band Blondie
Schon Robert Plant von Led Zeppelin kopierte Janis und die Legionen, die ihn kopierten, kopierten ahnungslos wiederum Janis. 1970 schrieb der amerikanische Journalist David Dalton, dass Janis' Rolle als die Frau, mit der man Pferde stehlen kann und die jeden Mann unter den Tisch trinkt, eigentlich nur eine Antwort auf die androgynen Posen männlicher Rockstars sei, die feminine Ausdrucksweisen in den Rock integrieren würden, in denen Frauen nichts zu sagen hätten – also quasi den Frauen die Chance nahmen, eine ähnliche Rolle aus weiblicher Sicht zu spielen.
Janis konnte es nicht einmal sich selbst recht machen: Obwohl sie bewusst provozierte, war sie über das meist schockierende Ergebnis betrübt, ihr Schicksal war es, dass sie eigentlich nirgendwo zu Hause war, nicht einmal in sich selbst, und überall eine andere Bedeutung genoss, als eine andere Janis angesehen wurde. Sie rührte bis tief ins Unterbewusstsein an weiblichen und männlichen Emotionen. Sie kam wie eine Naturgewalt und alle Unwetter zusammen über die Rockszene, wie ein Zugunglück, eine Entgleisung aller weiblichen Tabus, wie eine Dampfwalze, die mit bourbongetränkter Bluesstimme und Angst einflößenden Schreien die Rockbühne im Sturm nahm, ein Punk in Beatnik- und Hippiezeiten, eine Trash-Diva der Sechziger. »Genug ist nicht genug«, ein texanisches Sprichwort, war nun mal ihre Devise. »Oh Lord, won't you buy me a Mercedes-Benz?«
Mercedes-Benz (Songtext; Ausschnitt) 1969
Oh Lord won't you buy me a Mercedes-Benz
My friends all drive Porsches,
I must make amends.
Worked hard all my lifetime,
No help from my friends
So, Lord, won't you buy me a Mercedes-Benz?
Mein Gott, kaufst du mir nicht einen Mercedes-Benz?
Meine Freunde fahren alle Porsche,
ich brauche eine Wiedergutmachung.
Ich habe mein ganzes Leben lang hart gearbeitet,
ohne Hilfe von meinen Freunden,
also Gott, kaufst du mir nicht einen Mercedes-Benz?
Janis Joplins Mutter Dorothy East stammte aus Nebraska, wo ihr Vater Cecil bis zur Weltwirtschaftskrise Viehzüchter war. Danach versuchte er sich als Exportkaufmann und Grundstücksmakler, zog mit seiner Frau Laura und den vier Kindern nach Kansas City, dann nach Los Angeles und schließlich nach Amarillo, Texas. Er war ein Trinker und Schürzenjäger, Dorothys Mutter Laura eine mürrische Frau. Dorothy absolvierte ihr letztes Highschool-Jahr in Amarillo. Ihre kräftige Sopranstimme brachte ihr ein Stipendium für Gesang an der Texas Christian University ein. Aber sie brach das Studium ab, weil sie keine Opernarien singen wollte, sondern lieber Broadway-Songs, was damals als ziemlich frivol galt. Später behauptete sie jedoch, die ganze »Musikszene« hätte ihr nicht gefallen. Stattdessen nahm sie in Amarillo eine Verkäuferinnen-Stelle an und arbeitete sich rasch zur Abteilungsleiterin hoch.
Sie trug eine hochmodische Bobfrisur, rauchte sogar Zigaretten in der Öffentlichkeit, obwohl die in diversen US-Staaten verboten waren, trug auffallende, elegante Hüte und jobbte im Rundfunk als Ansagerin. Ihre unkonventionelle Haltung in jungen Jahren weist im Nachhinein viele Parallelen zu ihrer ältesten Tochter Janis auf. Sie war zwar eine lebenslustige Person, allerdings mit großem Ehrgeiz und strengen Moralvorstellungen.
1936 heiratete Seth Joplin die dreiundzwanzigjährige Dorothy East. Das Ehepaar siedelte nach Port Arthur nahe der Grenze zu Louisiana am Golf von Mexiko über. Dort begann Seth als kleiner Angestellter für die mächtige Ölfirma Texaco zu arbeiten, was ihn vor dem Armeedienst im Zweiten Weltkrieg bewahrte. Seth, der im Ruf eines Playboys stand, hatte Dorothy in Amarillo bei einem Tanzabend kennengelernt und ihr ein Jahr lang den Hof gemacht. Beide hatten in ihrer Jugend Not und Elend erlebt. Seth Joplin war 1910 als zweites Kind von Seeb und Florence Joplin in Amarillo geboren worden, wo seine Eltern einen Viehhof und eine kleine Pension betrieben. Der gut aussehende, charmante Ingenieurstudent brach sein Studium an der Texas A&M University im letzten Semester ab – wohl aus Geldmangel oder wegen schlechter Noten –, kehrte 1932 nach Amarillo zurück und arbeitete dort als Tankwart. Doch eigentlich war er ein Schöngeist, der sich für Literatur und klassische Musik begeisterte. Zum Ärger von Dorothy brannte er während der Prohibition heimlich Schnaps und rauchte Marihuana, das damals allerdings noch legal war. Auch wenn Seth bei Texaco erst einmal bescheiden in der Abteilung für Dosen und Kanister anfing, stieg er bald zum Vorarbeiter auf.
Einer der nettesten Männer, mit denen ich je gearbeitet habe. Sein Motto lautete leben und leben lassen, und danach richtete er sich auch.
Gladys Lacy, ein Kollege von Seth Joplin
Nachdem Cecil Easts Alkoholprobleme zur Scheidung von Dorothys Mutter Laura geführt hatten, zog diese mit Dorothys jüngerer Schwester Mimi zu dem jungen Ehepaar Joplin. Obwohl die Joplins anfangs in sehr bescheidenen Verhältnissen lebten, kauften sie in einem der besseren Vororte von Port Arthur, einem damals ländlichen Vorort namens Griffing Park, ein kleines Haus am Lombardy Boulevard 3130. An den Wochenenden vergnügten sie sich mit Freunden in den Bars von Vinton, Louisiana, jenseits des Sabine-Rivers und unternahmen ebensolch feuchtfröhliche Ausflüge, wie sie Dorothy später bei ihrer Tochter Janis so sehr verdammte. Für lebensfrohe Menschen mit kulturellen Interessen war Port Arthur im Südosten von Texas eine Diaspora. 1940 wuchs die bibelfeste Ölraffinerie-Metropole aus dem Nichts zur fünftgrößten Stadt Amerikas, geprägt von der wohlanständigen Saubermann-Scheinheiligkeit ihrer weißen Bewohner und strenger Rassentrennung. Mindestens 40 Prozent der Bevölkerung waren Schwarze, die völlig isoliert in den Außenbezirken lebten. Man ignorierte die 32 Bordelle für die Seeleute, das Glücksspiel und die Korruption der Mafia aus dem benachbarten New Orleans. Es herrschte ein rauer Umgangston, Gewalt, Schlägereien und Mord waren an der Tagesordnung. Auch die klimatischen Bedingungen unter der allgegenwärtigen schmierigen Dunstglocke waren mörderisch, subtropisches Wetter und eine lange Regenzeit, bei der auch im Winter die Temperaturen selten unter 4 Grad Celsius sanken. Damit gehörte Port Arthur laut der Business Week zu den zehn hässlichsten Städten Amerikas.
Janis Lyn Joplin wurde am 19. Januar 1943 um 9.45 Uhr morgens im St. Mary's Hospital geboren und wog lediglich fünfeinhalb Pfund. Das winzige Baby entwickelte sich bald zu einem Prachtkind, das viel Geschicklichkeit bewies, mit einem Jahr bereits perfekt mit Messer und Gabel umgehen und aus der Tasse trinken konnte. Als kleines Kind war sie eine Schlafwandlerin und lief nachts oft auf die Straße hinaus. Janis war ein wissbegieriges Kind, das schon vor Schuleintritt lesen konnte und schnell lernte. Vor allem aber zeichnete und malte sie unentwegt.
Gleichzeitig irritierte sie alle mit Trotzattacken, einer unglaublichen Sturheit und zeigte eine gewisse Neigung, gegen den Strom zu schwimmen.
Wenn sie bei einem Spiel im Uhrzeigersinn herummarschieren sollten, dann gingen sie in die entgegengesetzte Richtung und fanden es sehr lustig.
Janis' Mutter über ihre Tochter und einen Kinderfreund
Schon für die kleine Janis war die Welt eine Art Glitzerpalast voller Freuden, die man auf der Stelle genießen sollte. Dem wirkte ihre Mutter mit Disziplin und Strenge entgegen. Die Mutter eines Klassenkameraden von Janis erzählte dem Buchautor Ellis Amburn, dass Dorothy ihre kleine Tochter gezwungen hätte, in Reithosen zur Sonntagsschule zu gehen. »Sie meinte, sie müsse ihr Selbstbewusstsein stärken, um sich durchzusetzen.« Auch andere berichten, dass die kleine Janis in den für Mädchen allseits verpönten Hosen herumlief, obwohl sie sich darin lächerlich fühlte und viel lieber Kleider mochte. Im spießigen Port Arthur führte das unmögliche Kleidungsstück zu den ersten Hänseleien der kleinen Janis, die erstmals in eine Außenseiterrolle gedrängt wurde. Dorothy war in jedem Punkt der absolut dominierende Teil der Familie, eine fleißige, disziplinierte, aber sehr distanzierte Frau mit draufgängerischem Temperament, mit dem sie oft für Aufregung sorgte.
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