Wenn Janis über die Stränge schlug, dann tat sie das gründlich. Wann hatte man schon einmal aus dem Mund einer Frau den Ausruf: »Well, fuck you, baby!« gehört? Das war sogar uns peinlich. Gleichzeitig nutzten wir das aus, wenn wir Leute schockieren wollten. Und genau deshalb nahmen wir Janis immer mit.
Janis' Schulfreund Jim Langdon
In Louisiana kam Janis erstmals mit dem Blues in Berührung, der auf Anhieb ihr musikalisches Interesse weckte. Unterwegs sang die Clique Folksongs vom Kingston Trio und Janis erkor die Sängerin Odetta _6zu ihrem Vorbild.
Rock 'n' Roll fanden sie fade und Country war die Musik der verhassten Spießer in Texas. Als Grant Lyons auf einer Party eine Platte von Leadbelly _7auflegte, sei seine Musik wie ein Blitz für sie gewesen, meinte Janis später, »sie bedeutete mir etwas«.
Ihre Begeisterung für den Blues und die Schwarzen, denen sie sich in ihrer gesellschaftlichen Außenseiterrolle innerlich verbunden fühlte, führte so weit, dass sie den Slang der Schwarzen imitierte. Janis begann zu Schallplatten zu singen und entdeckte dabei ihre ungewöhnliche Fähigkeit, fast jede Stimme nachahmen zu können. »Man konnte sie nicht von der Originalaufnahme unterscheiden, so perfekt gelang ihr das«, so ihre Mutter. Trotzdem galt ihre damalige Liebe immer noch der Malerei und nicht dem Gesang.
Wie ungewöhnlich ihre Stimme tatsächlich war, wurde ihr erst bewusst, als die Clique in einem Leuchtturm eine Party feierte. Weil kein Plattenspieler zur Hand war, übernahm Janis zur Verblüffung aller die Alleinunterhaltung und sang zum Spaß ein Lied der Sängerin Odetta. In ihrem Buch Love, Janis schreibt ihre Schwester Laura auch, dass Janis damals vor dem Spiegel ein ganz bestimmtes höhnisches, provokantes Lachen einübte, das zu einem ihrer Markenzeichen werden sollte und in vielen Interviews und Bühnenansagen zu hören ist. Weil in der Schule Hosen für Mädchen verboten waren (!), schockte sie mit schwarzen oder lila Bodystockings und mehr als kniekurzen Röcken. Und das ausgerechnet im Jahr 1959, in dem die neu erfundene Barbie-Puppe das absolute Schönheitsideal aller eitlen Südstaatenschönheiten an Janis' Schule darstellte. Janis entschloss sich zum Anderssein in einer Zeit, in der alle Teenager gleich sein wollten, den Rock 'n' Roll und das Tanzen entdeckten, während sie systematisch mit allen Regeln brach. Ihr Vater meinte, Janis wollte offenbar herausfinden, was den Leuten absolut nicht gefiel, und habe dann genau das getan.
1959 veränderte sich Janis' Leben an der Schule radikal, weil Arlene Elster und einige der älteren Jungs aus der Clique zum Lamar College nach Beaumont abwanderten und ihr Schutzschild zusammenbrach. Es ging so weit, dass die Leute vor ihr ausspuckten und sie zur »Schulschlampe« abstempelten. »Janis lachte darüber, um zu zeigen, dass sie auch Spaß verstand«, so Karleen, »aber wenn sie nach Hause kam, weinte sie«. Das Abschlussjahr wurde für Janis ganz besonders schwierig, denn es begann eine regelrechte Hetzjagd auf sie. Als ihre Mutter sie in einen Zeichenkurs schickte und sich herausstellte, dass Janis das einzige Mädchen in der Klasse war, kochte die Gerüchteküche über. »Ich erkannte damals nicht, dass ich sie in eine schwierige Situation brachte, denn es hieß plötzlich, dass sie den Jungen nachlaufe und so weiter. Das verletzte sie zutiefst«, so ihre Mutter. Schließlich wurde Janis sogar zum Schulberater zitiert, wo sie sich gegen die Vorwürfe »Trinken und ungehöriges Benehmen« zu verteidigen hatte. Ihre Eltern waren derart verzweifelt, dass sie ihre Tochter zu einem Psychologen schickten, in jener Zeit ein glattes Eingeständnis, geisteskrank zu sein.
Wir hatten nun mal dieses frühreife Kind, das Ölgemälde verkaufte. Wir gehörten zwar nicht zur Handelskammer, aber wir leisteten ebenfalls unseren Beitrag für die Gemeinschaft. Wenn man in einer solchen Position ist und ein Kind hat, das plötzlich Schwierigkeiten macht, dann ist man sofort ein beliebtes Objekt für allen möglichen Klatsch und Tratsch.
Janis' Vater Seth
Im neu eröffneten Jazz-Café The Sage fand Janis ein paar Gleichgesinnte. Dort fand Silvester 1959 für sie eine Doppelpremiere statt. Sie eröffnete die erste Ausstellung mit ihren Bildern und entschloss sich zu einem spontanen Auftritt als Sängerin. Im Abschlussjahr hatte sie hervorragende Zensuren, schränkte deshalb ihren Schulbesuch ein und jobbte als Serviererin und Kartenverkäuferin in einem Kino. Abends besuchte sie häufiger das Pasea 's Café, einen neuen Treffpunkt der wenigen Beatniks in Port Arthur. Auch dort hingen inzwischen ihre Bilder an der Wand, von denen sie ab und an eines verkaufte.
Im Mai 1960 machte sie ihren Schulabschluss. Während der Abschlussball stattfand, kurvte sie mit Karleen im Auto durch die Gegend.
Das politische Klima hatte sich in den USA inzwischen radikal verändert. John F. Kennedy _8war der neue Präsident, aber die Kubakrise und der Vietnamkrieg trübten den Heiligenschein des politischen Hoffnungsträgers. Im Lone-Star-Staat Texas spielte die neue Politik, voran die Rassenintegration, keine Rolle, folglich auch nicht am Lamar State College im nahe gelegenen Beaumont, an dem sich Janis im Sommer 1960 einschrieb. Janis bezog im Mädchenwohnheim ein Zimmer und begegnete Jim Langdon und Adrian Haston wieder. Die Clique hatte sich um ein paar Freunde vergrößert: Tary Owens gehörte dazu, Johnny Moyer und die Brüder Wally und Tommy Stopher. Janis war von dessen künstlerischem Talent so beeindruckt, dass sie bald darauf die Malerei völlig aufgab. Tary Owens: »Wenn sie bei irgendetwas nicht die Beste der Welt sein konnte, dann ließ sie es ganz bleiben.« Die Eltern waren erleichtert, Janis zwar in ihrer Nähe zu wissen, das Problemkind aber aus dem Haus zu haben. Ihrer Schwester Laura nach feierte Janis in Lamar vor allem wüste Partys. Ihr Hauptfach war Kunst und ihr Interesse galt insbesondere dem Maler Amadeo Modigliani. _9
Doch auch an diesem Provinz-College war das Klima kunstfeindlich, hier wurden zukünftige Ingenieure ausgebildet, Janis abermals angefeindet und verspottet. Beaumont war nur eine Fortsetzung von Port Arthur. Oder, um mit Dave Moriaty zu sprechen, der an der Universität in Austin studierte - am Lamar war man Port Arthur noch längst nicht entkommen, im Gegenteil, man nahm es mit. Vielleicht brach Janis deshalb zu Ende des Wintersemesters ihr Studium ab und kehrte nach Port Arthur zurück. Damit begann ihr fünfjähriger Zickzackkurs zwischen der bürgerlichen Welt von Port Arthur und einem Boheme-Leben in den Großstädten Amerikas.
Anfang 1961 schrieb sie sich am Port Arthur Business College ein, einer Art höheren Wirtschaftsschule, um eine Ausbildung als Datenerfasserin und Sekretärin zu machen. Pikanterweise unterrichtete dort auch ihre Mutter seit zwei Jahren. Die viermonatige Ausbildung absolvierte Janis ohne aufzufallen, wenn auch nur halbherzig - allein an 20 Tagen hatte sie sich krankgemeldet. Patti Skaff stellte ihr manchmal das teure Tonbandgerät ihres Vaters für Gesangsaufnahmen zur Verfügung, ansonsten zog Janis weiterhin mit ihrer alten Clique herum. Einer dieser alkoholreichen Ausflüge nach Houston endete mit einer Niereninfektion in einem Krankenhaus in Beaumont. Anschließend konsultierte Janis für kurze Zeit einen Psychiater in Port Arthur und später einen Psychologen in Beaumont. Freunde meinten, dass sie damals vielleicht einen Insulinschock erlitten hätte, sie selbst deutete später an, es habe sich um einen »Nervenzusammenbruch« gehandelt. Dr. Edmund Rothschild, den sie später in New York wegen ihrer Suchtkrankheiten aufsuchte, erzählte sie, sie sei damals bereits wegen Alkoholismus behandelt worden. »Sie schwänzte ihren Unterricht und hatte ein schlechtes Gewissen«, war alles, was Janis Mutter dazu einfiel.
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