Hubertus Lutterbach
Vom Jakobsweg zum Tierfriedhof
Hubertus Lutterbach
Vom Jakobsweg zum Tierfriedhof
Wie Religion heute lebendig ist
Butzon & Bercker
„Orientierung durch Diskurs“Die Sachbuchsparte bei Butzon & Bercker, in der dieser Band erscheint, wird beratend begleitet von Michael Albus, Christine Hober, Bruno Kern, Tobias Licht, Cornelia Möres, Susanne Sandherr und Marc Witzenbacher.
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Gesamtprogramm von Butzon & Bercker finden Sie im Internet unter www.bube.de
ISBN 978-3-7666-1862-7
E-Book (Mobi): ISBN 978-3-7666-4261-5
E-Book (PDF): ISBN 978-3-7666-4262-2
E-Pub: ISBN 978-3-7666-4263-9
© 2014 Butzon & Bercker GmbH, Hoogeweg 100, 47623 Kevelaer, Deutschland, www.bube.de
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Christoph M. Kemkes, Geldern
Satz: Schröder Media GbR, Dernbach
Printed in Germany
Einleitung
1. Religion – Ein gesellschaftliches Thema?
2. Aktuelle Trends: Individualität, Ganzheitlichkeit, Institutionenferne
3. Ziel: Das Aufspüren von religiösem Leben in unserer Gesellschaft
I. „… mitten im Leben“
1. Zwischen Selbstfindung und Gebeinverehrung – Pilgerschaft heute
a) Hape Kerkeling und andere Pilgerberichte
b) Das Christentum – Eine Religion des Weges
c) Fazit
2. Aktuelle partnerschaftliche Selbstinszenierungen – Liebesschlösser
a) „Irrste Hochzeiten“ – Private Events
b) Liebesschlösser – Individualität in der Öffentlichkeit
c) Fazit
3. Amtsverzicht – Warum zwei Bischöfe zurücktraten
a) Der Fall Margot Käßmann
b) Glaubwürdigkeit als Amtsideal
c) Walter Mixas Ende als Bischof von Augsburg
d) Menschenfreundlichkeit als Bischofsideal
e) Fazit
4. Einfach leben! – Anselm Grün
a) Das Credo von Anselm Grün – Tradition braucht Übersetzung
b) „Einfach leben“ – Bewährte Botschaft, neues Format
c) Anselm Grüns Impulse aus der Christentumsgeschichte
d) Fazit
5. Leben bis zum letzten Augenblick – Das Hospiz
a) Ein kurzer und steiniger Weg – Hospizarbeit in Deutschland
b) Cicely Saunders († 2005) – Wegbereiterin der Hospizbewegung
c) Christentumsgeschichtliche Wurzeln der modernen Hospizbewegung
d) Fazit
II. „vom Tod umfangen …“
1. Medizinisch tot, religiös fortlebend – Johannes Paul II. († 2005)
a) Johannes Paul II. – Ein Gottesmensch
b) Drei Gründe für das religiöse Fortleben eines Toten
c) Der Tote lebt – Nur wie lange?
d) Fazit
2. Respekt für einen Suizidenten – Robert Enke († 2009)
a) Selbsttötung – Aktuelle Verwirrung und historische Orientierung
b) Enkes Tod – Zwischen irdischer Depression und göttlicher Zusage
c) Fazit
3. Zeichen der Gemeinschaft – Unfallkreuze am Straßenrand
a) Vom ältesten menschlichen Zeichen zum Unfallkreuz
b) Das Unfallkreuz als Ort der Präsenz
c) Fazit
4. Trauer um die Opfer – Das Loveparade-Drama von Duisburg
a) Die Trauerfeier am 31. Juli 2010 in der Salvatorkirche
b) Die Trauerfeier im Pressespiegel
c) Öffentliche und private Trauer außerhalb des Gottesdienstes
d) Christentumsgeschichtliche Räume der Trauer
e) Fazit
5. Verstorbene Haustiere – Was sie mit verstorbenen Menschen teilen
a) Hundeluxus von Menschenhand – Die Vermenschlichung von Tieren
b) Das Tierkrematorium
c) Der virtuelle Tierfriedhof
d) Der herkömmliche Tierfriedhof
e) Bilder für das religiöse Fortleben verstorbener Tiere und Menschen
f) Fazit
Epilog
1. Subjektivierende Akzente
2. Streben nach Ganzheitlichkeit
3. Distanzierung von den kirchlichen Institutionen
4. Fazit
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Danksagung
Über Jahre hinweg habe ich als ehrenamtlicher Sterbebegleiter in einem Hospiz gearbeitet und Menschen in ihrer letzten Lebensphase unterstützt. Ich habe Schwerkranke erlebt, die von sich sagten, dass sie jahrzehntelang ihr Leben gemäß den kirchlichen Vorgaben gestaltet hätten. Doch in ihren letzten Wochen und Tagen hatten sie kein Verlangen mehr nach den ihnen vertrauten äußeren Zeichen. Stattdessen zogen sie sich in ihre eigene Stille zurück, waren wach für den Augenblick, öffneten sich für musiktherapeutische Angebote oder richteten ihre Blicke auf schöne Fotos. Umgekehrt traf ich auf Menschen, die mit ihrer grundsätzlichen Offenheit für Spiritualität keinen Kontakt zu einer verfassten Kirchlichkeit gepflegt hatten, allerdings in der Situation ihrer schweren Krankheit das Gespräch mit dem Pfarrer suchten, das Gebet guter Freunde erbaten oder sogar die Spendung des Krankensakramentes wünschten.
Während meiner Jahre im ehrenamtlichen Dienst der Telefonseelsorge habe ich immer wieder erlebt, wie überraschend sich „Religion“ in der Vielfalt der Lebensgestaltung zeigen kann – sowohl unter den ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch bei den anonymen Anruferinnen und Anrufern. Ehrenamtliche, die sich schon vor Jahren vom kirchengemeindlichen Leben abgewandt hatten, schildern ihre Arbeit in der Telefonseelsorge als ihre eigentliche christliche Praxis. „Mein Gottesdienst ist die Nächstenliebe“, formulieren einige. Vom menschenfreundlichen Klima unter den Ehrenamtlichen inspiriert, fragen sie: „Kann es mehr Religion geben, als wenn Menschen sich in einem Geist der Aufmerksamkeit und der Gastfreundschaft miteinander verbunden fühlen und für Ratsuchende oder Einsame da sind?“ – Wie oft habe ich es erlebt, dass Anruferinnen und Anrufer zu Beginn eines Telefonates bei der Telefonseelsorge fragen: „Sind Sie Priester?“, und auf meine verneinende Antwort spontan reagieren mit den Worten: „Das macht auch nichts, Hauptsache Sie sind ein Seelsorger.“
Im Bereich der ehrenamtlichen Gefangenenbetreuung sagt mir ein Gefangener: „Ob ich Christ bin, weiß ich nicht. Ich gehöre jedenfalls keiner Kirche an. Aber den Rosenkranz, den habe ich in meiner Zelle über dem Bett hängen und bete ihn täglich. Das brauche ich einfach.“ Ein anderer Gefangener betätigt sich bei der sonntäglichen Messe als Ministrant: „Das ist für mich die einzige Möglichkeit, mal aus der grauen Unscheinbarkeit aufzutauchen und mich meinen Mitgefangenen gegenüberzustellen, auch wenn ich von denen für diesen Dienst eher mit Verachtung als mit Bewunderung angeschaut werde.“
Zuletzt denke ich an eine kürzlich verstorbene, akademisch gebildete und hochbetagte langjährige Nachbarin, die sich selbst als Anhängerin sowohl des Anthroposophen Rudolf Steiner († 1925) als auch des Dalai Lama bezeichnete. Von beiden Vorbildern hatte sie beinahe das gesamte Schrifttum gelesen. Mit Blick auf ihre Nachbarschaft vor Ort sagte sie oft mit einem Schmunzeln: „Dass ein katholischer Theologe und ein evangelischer Allgemeinmediziner neben mir wohnen und ich mit beiden befreundet bin, betrachte ich als das Glück meines Alters. Was soll mir denn da noch passieren?!“
Die vorgetragenen Schlaglichter zur aktuellen Gestaltung religiös beeinflussten Lebens zeigen individuelle Zugangswege und persönliche Ausdrucksweisen. Über ihre Suche nach Authentizität hinaus stimmen sie im Bemühen um eine ganzheitliche Alltagsgestaltung und in der Überzeugung einer gewissen Institutionenskepsis überein.
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