Ausgerechnet das von dem bekannten Komiker (und Katholiken) Hape Kerkeling 2006 veröffentlichte Buch Ich bin dann mal weg , das seinen Pilgerweg in den traditionsreichen spanischen Wallfahrtsort Santiago de Compostela beschreibt, erreichte in Deutschland erstaunlich hohe Verkaufszahlen. Bereits Mitte 2008 – also zwei Jahre nach Erscheinen – hatte es sich mehr als drei Millionen Mal verkauft. Mittlerweile ist die Marke von vier Millionen verkaufter Exemplare bereits überschritten. Länger als hundert Wochen behauptete sich das Buch auf Platz eins der SPIEGEL-Bestsellerliste. Und nun steht auch noch seine Verfilmung an. Jedenfalls hat sich der Produzent Nico Hofmann die Rechte für die „Ufa Cinema“ gesichert; die ARD ist als Fernsehpartner mit dabei: „Hape Kerkeling ist nicht weg, sondern immer noch da – und zwar in den Bestsellerlisten. Seine Reisebeschreibung ,Ich bin dann mal weg‘ ist das erfolgreichste deutsche Sachbuch“, wie „Welt Online Kultur“ bilanziert. 10
Der Titel des Kerkeling-Buches ist inzwischen zu einem „geflügelten Wort“ geworden, das man auf alle möglichen Zusammenhänge des Alltags anwenden oder auf diese hin umdeuten kann. So überschreibt Der Spiegel seinen Beitrag zum Wechsel des Fußballtrainers José Mourinho vom italienischen Erstligaverein Inter Mailand – dem italienischen Fußballmeister und Pokalsieger 2010 und Champions-League-Gewinner 2010 – zum spanischen Klub Real Madrid mit den Worten „Ich bin dann mal weg“. 11Unter dem Titel „Kurz-mal-weg.de“ bieten Reiseveranstalter kostengünstige Kurzreisen an. 12Mit dem Slogan „Ich bin dann mal weg“ stellt das Zweite Deutsche Fernsehen in einer Internet-Präsentation die bedeutendsten Rücktritte von deutschen Prominenten im Jahre 2010 vor. 13Berufsberatende Hinweise für Menschen, die von einer Stellenkündigung betroffen sind, werden unter der Schlagzeile präsentiert: „Ich bin dann mal weg. So nehmen Profis ihren Hut“ 14. Der Tagesspiegel diskutiert unter der Überschrift „Ich bin dann mal weg“ die Frage der Urlaubsregelung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in deutschen Firmen. 15Die SZ überschreibt im Jahr 2012 einen Artikel mit Vorschlägen, wie man „Brückentage“ verwenden soll, so: „Wir sind dann mal weg. Die außergewöhnlich vielen Brückentage dieses Jahres sind prima – wenn man weiß, wohin mit ihnen. Die Tipps von SZ-Autoren.“ 16Jenas führende Hochschulzeitung lädt Studierende mit dem Slogan „Ich bin dann mal weg. Wenn Studenten der Uni den Rücken kehren“ zu einem „Freisemester“ für die eigene Selbstfindung ein. 17Also: Immer wieder greifen Menschen auf den Buchtitel von Hape Kerkeling zurück, weil sie den kernigen Spruch attraktiv finden, und verknüpfen ihn mit individuellen Aus-Zeiten oder mit der Abkehr von beruflichen Verpflichtungen. Insgesamt verbinden sie den Slogan „Ich bin dann mal weg“ mit der Einladung zu einem individuellen, selbstbestimmten und ganzheitlichen Lebensstil, der auf innere und äußere Mobilität ausgerichtet ist.
a) Hape Kerkeling und andere Pilgerberichte
Heutige Pilger bezweifeln vieles, was früher selbstverständlich geglaubt wurde: die Echtheit der Heiligenknochen, die Möglichkeit eines Wunders am heiligen Zielort oder den „Heilsnutzen“ einer solchen Strapaze auch für ein jenseitiges Fortleben. Stattdessen verbinden sie mit dem „Ausgeliefertsein“ auf dem Pilgerweg erstrangig neue Impulse für die möglichst entschiedene, individuelle und selbstbestimmte Fortsetzung des eigenen Lebensweges. 18Die vier Santiago-Pilger Hape Kerkeling, Lee Hoinacki, Carmen Rohrbach und Paulo Coelho, die sich den Mühen des weiten Weges ausgesetzt haben, veranschaulichen diese Feststellung in ihren Pilgerberichten auch durch die Art, wie sie sich – abgrenzend oder anknüpfend – auf die Geschichte der christlichen Pilgerschaft beziehen.
Kaum jemand hätte von dem bekannten Unterhaltungskünstler Hape Kerkeling erwartet, dass er, der erfolgsverwöhnte Showmaster, in eine Sinnkrise gerät und im Anschluss erst einmal nach Santiago de Compostela pilgert. Doch genau das tat er: „Da ich gerade einen Hörsturz und die Entfernung meiner Gallenblase hinter mir habe, zwei Krankheiten, die meiner Einschätzung nach großartig zu einem Komiker passen, ist es für mich allerhöchste Zeit zum Umdenken – Zeit für eine Pilgerreise. […] Wütend darüber, dass ich es so weit habe kommen lassen, bin ich immer noch! Aber ich habe auch endlich wieder meiner inneren Stimme Beachtung geschenkt, und siehe da: Ich beschließe, während der diesjährigen Sommermonate keinerlei vertragliche Verpflichtungen einzugehen und mir eine Auszeit zu spendieren.“ 19
Die Suche nach sich selbst ist tatsächlich Hape Kerkelings Hauptmotivation für sein Wandern auf dem Jakobsweg: „Als ich mit einer Fahrkarte den Bahnhof verlasse und mich gerade wieder frage, was ich hier eigentlich tue […], ob das alles denn auch vernünftig ist […], und überhaupt […] sehe ich vor mir ein Riesenwerbeplakat für eine neue Telekommunikationserrungenschaft mit dem Slogan: ,Wissen Sie, wer Sie wirklich sind?‘ Meine Antwort ist spontan und unumwunden: ,Nein, pas-du-tout!‘“ 20
Umso mehr quält ihn die Frage, wer er selbst ist, weil er sie auch für seine Gottesbeziehung als entscheidend ansieht: „Anscheinend weiß ich ja nicht mal so genau, wer ich selbst bin. Wie soll ich da herausfinden, wer Gott ist? Meine Frage muss also erst mal ganz bescheiden lauten: Wer bin ich? Damit wollte ich mich ursprünglich zwar nicht beschäftigen, aber da ich ständig von Werbeplakaten dazu aufgefordert werde, bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Also gut – als Erstes suche ich nach mir; dann sehe ich weiter. Vielleicht habe ich Glück und Gott wohnt gar nicht so weit weg von mir. Sollte er jedoch in Wattenscheid leben, wäre ich hier allerdings ganz falsch!“ 21In schonungsloser Ehrlichkeit hält er als Fazit des ersten Tages in seinem Pilgertagebuch fest: „Erkenntnis des Tages – Erst mal herausfinden, wer ich selbst bin.“ 22
Die Suche nach sich selbst erweist sich für den Pilger Hape Kerkeling als das tragende Motiv seiner gesamten Tour. Sein Pilgerbericht ist durchzogen von entsprechenden Tagesrückblicken: „Erkenntnis des Tages – Ich bin in mir zu Hause.“ Oder: „Erkenntnis des Tages – Keep on running. Ich halte mehr aus, als ich denke!“ Oder: „Erkenntnis des Tages – Es ist keine Frage der Zeit, wo man sich zu Hause fühlt.“ Oder: „Erkenntnis des Tages – Es ist die Leere, die vollends glücklich macht.“ Er sieht sich in einer großen inneren Nähe zu den vielen Pilgern, die gleichfalls mit der Frage nach sich selbst unterwegs waren: „Mit all den Menschen, die diesen Weg gegangen sind, fühle ich mich hier mit einem Male verbunden, mit ihren Wünschen, Sehnsüchten, Träumen, Ängsten, und ich spüre, dass ich diesen Weg nicht allein gehe.“ 23
Das Unterwegssein auf dem Jakobsweg hilft Hape Kerkeling, seine Suche nach sich selbst mit anderen religiösen Themen und Traditionen in Verbindung zu bringen. So fragt er sich, was eigentlich eine Erleuchtung sei und in welcher Weise sie einem am ehesten widerfahren könnte: „In meinem allwissenden Reiseführer steht, dass dieser Weg ein Erleuchtungsweg ist. Ich glaube allerdings, es ist ein Weg ohne Erleuchtungsgarantie. So wie Urlaub keine Erholungsgarantie bietet. Gut, ich will nicht zu viel erhoffen, aber Erleuchtung wäre schon nicht schlecht! Was immer das auch ist! Ich stelle mir die Erleuchtung wie ein Tor vor, durch das man schreiten muss. Wahrscheinlich darf man keine Angst haben, durch das Tor zu treten, und man darf es sich andererseits auch nicht zu sehr wünschen, hindurchzugehen. Je gleichgültiger man durch das Tor der Erleuchtung zieht, desto schneller und einfacher passiert es vielleicht? Man darf sich nicht nach dem sehnen, was hinter dem Tor ist, und nicht das hassen, was vor dem Tor ist. Es ist gleichgültig. Vielleicht ist Gleichgültigkeit ja Lebensfreude? Keine Erwartungen, keine Befürchtungen.“ 24
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