Es folgte eine Auflistung aller Bands, die sich innerhalb der vergangenen vier Wochen in unserem Ort formiert hatten. Ich stellte ihre Mitglieder vor und welche Stilrichtung sie spielten. Fra Mauro, Dreamlight, Storm und Electric Junk (Falko und Bab hatten inzwischen mit Nick aus der Unterprima einen Schlagzeuger gefunden) waren die Ersten. Außerdem gab es noch Alpha Centaurus, Inri, Fragile Age, Pharos und Beyond. Da sich einige Bands noch unschlüssig waren, in welche musikalische Richtung ihre Reise gehen sollte, dachte ich mir einfach etwas aus.
Ich beschrieb ihre Musik als Progressiven Rock und Underground. Keine der Bands, die es betraf, traute sich zu widersprechen, denn das wäre das Eingeständnis gewesen, von nichts, aber auch von gar nichts eine Ahnung zu haben. In einer Band zu spielen, die nicht wusste, was für eine Musik sie machte, war nur peinlich.
Alpha Centaurus und Inri waren im Grunde ein und dieselben Musiker. Das funktionierte so: Wenn Fränki Lust hatte, Bass zu spielen, hießen sie Inri. Fränki, in dem anscheinend ein kleiner Multiinstrumentalist steckte, konnte noch ein bisschen was auf der Orgel. Dann daddelte er auf einem alten Elektroklavier herum, der Gitarrist wechselte kurzfristig auf den Bass, und schon hieß der Verein Alpha Centaurus.
Sonny und Moses mischten auch mit. Sie nannten sich Waisel-Villwock, nach einem Namen auf dem Klingelschild in dem Haus, in dem sie in Kürze das Müsli eröffnen wollten. Sie spielten akustische Versionen von Frank-Zappa-Songs und standen auf diese ironischen Texte, die immer mit sexuellen Anspielungen garniert waren. Da sie im Moment nur zu zweit waren, erinnerte ihr Sound eher an Schobert & Black.
Weitere spontan gegründete Bands hießen Occulta, Oxygen Factory, Staffelbruch (mit einem Schlagzeuger, so urig wie Buddy Miles), Stiebel Eltron (getauft nach den Elektrogeräten) und Zoon Politikon (stammte von Aristoteles: der Mensch als Gemeinschaftswesen).
Fünfzehn Bands waren für den Anfang nicht schlecht.
Nicht schlecht? Das war sensationell!
Die Story endete mit einem neuerlichen Aufruf, sich fürs Festival anzumelden. Die Frist lief noch. Nach dem fünften Durchlesen ließ ich mich mit einem Seufzer der Zufriedenheit ins Kissen fallen. Mein erster richtiger Aufmacher war ein Volltreffer.
»Holst du dir jetzt einen runter? Ich meine geistig«, fragte Mark.
Er saß im Schneidersitz vor dem Bett, ein Exemplar von Das Auge mit dem Rock-Power-Artikel aufgeschlagen in den Händen. Durch das offene Fenster in der Dachschräge kam ein angenehmer Luftzug, die Sonne warf ein gleißendes, unwirkliches Licht ins Zimmer, die Sommerhitze ließ unsere T-Shirts am Rücken kleben.
Statt zu antworten, erhob ich mich und legte Embryo auf.
»Dass du immer diesen Krautrock-Mist hören musst«, knurrte Mark.
»Klappe, kannst ja gehen, wenn dir der Sound nicht passt«, antwortete ich. Das war ein Spiel zwischen uns, wir stritten uns nicht wirklich. Es ging darum, wer als Erster aufgab und wer seine Musik durchsetzte.
»Mal ehrlich, schreiben kannst du ja, aber mit einigem, was du da verzapft hast, bin ich nicht einverstanden.«
»Und was, bitte, gefällt dir an meinem Artikel nicht?«
»Die Passage, wo es um Erfolg geht. Zu pathetisch: Ihre Seele ist für Geld nicht zu haben. So ein Quatsch. Alter, da liegst du völlig falsch. Don hat schon recht. Natürlich geht es um Kohle. Ich will Musik machen und damit mein Geld verdienen. Davon leben zu können, das ist mein Traum.«
Ich verspürte Lust auf einen kleinen Diskurs. »Zwischen Musik machen und davon leben können und Musik machen, um damit Geld zu verdienen, liegen doch Welten. Oder willst du so enden wie Led Zeppelin?«
»Was hast du gegen die? Machen geile Mucke, fliegen im Privatjet um die Welt, spielen in riesigen Hallen und verkaufen Millionen von Platten. Die sind reich, können sich alles leisten. Und haben alle künstlerische Freiheit, die sie brauchen«, antwortete er.
Freiheit, das war mein Stichwort. Jetzt kam ich richtig in Fahrt.
»Der Rock ’n’ Roll ist eine Industrie, eine riesige Geldmachmaschine. Rockstars sind ein Teil davon. Die Fans haben nur als Konsumenten herzuhalten. Du musst einen Hit landen, sonst lässt dich die Plattenfirma fallen. Ohne Hit geht niemand auf deine Konzerte. Und dann die Tourneen. Was soll das für ein Leben sein? Jeden Tag ein anderes Hotel, eine andere Stadt. Da verlierst du den Bezug zur Realität, das macht Freundschaften und Beziehungen kaputt. Rockstars wissen gar nicht mehr, wie das wirkliche Leben funktioniert. Frag Robert Plant und Jimmy Page, wann sie das letzte Mal im Supermarkt einkaufen waren. Die haben keine Ahnung vom normalen Leben. Kriegen alles umsonst hinten reingeschoben.«
»Hey, das mit dem Hit ist gar nicht so verkehrt. Reich, berühmt und sexy werden. Und dann raus hier aus dem langweiligen Kaff. Einen richtig guten Song müsste man haben. Einen, der dich groß rausbringt«, sinnierte er.
Ich ignorierte ihn. »Nicht zu vergessen die Drogen, die Groupies, der Alkohol und was weiß ich noch alles. Dafür geben die ihr Geld aus. Irgendwann macht es peng, und die ganze Chose fliegt ihnen um die Ohren. Brian Jones bekifft im Pool ertrunken, Jimi Hendrix an seiner Kotze erstickt, Janis Joplin zu Tode gefixt. Wer verdient am Tod von Rockstars? Die Plattenbosse und die Manager. Und so ein Leben willst du führen?«
»Vielen Dank für die Belehrung, du Spaßverderber.«
Mark schien genervt zu sein. Er sprang auf und lief im Zimmer umher, während er zur Replik ansetzte.
»Kennst du dieses Lied von Ton Steine Scherben? ›Ich will nicht werden, was mein Alter ist‹. Genau so fühle ich mich. Wenn ich nach Hause komme, sitzt da mein Alter und erzählt mir was davon, dass ich was Anständiges lernen soll. Und dass ich, solange ich die Füße unter seinen Tisch stecke, nix zu melden hab. Ich ertrag das alles nicht mehr. Ich muss da raus. Wenn ich Musik mache, die Geld einbringt, komm ich da raus. Auf eigenen Füßen stehen, nicht mehr auf meinen Alten angewiesen sein.«
Er war noch nicht fertig. »Und das geht nur, wenn ich dorthin gehe, wo die echte Szene ist, wo Plattenlabels sind und Studios, wo es Clubs gibt zum Auftreten. Warum, glaubst du, klopfe ich nur auf Bongos herum? Weil ich einen Alten habe, der mir das Schlagzeugspielen verbieten und mir ein Leben aufzwingen will, so ein kleinbürgerliches Spießerleben, wie er es führt. Weißt du, was das Arschloch gesagt hat?«
»Keine Ahnung. Verrat’s mir«, antwortete ich.
»Dass ich so enden würde wie Onkel Rudi«, platzte es aus ihm heraus.
Er stampfte dabei so heftig mit dem Fuß auf, dass die Nadel des Mister Hit zu hüpfen begann und Embryo ein abruptes Ende fanden.
Jetzt war ich es, der genervt war. »Wer zum Teufel ist Onkel Rudi?«
»Er ist der Bruder meiner Mutter.«
»Und?«
»Früher war er der Stolz der Familie. Sein Klavierlehrer bescheinigte ihm eine glänzende Zukunft. Aber irgendwie hat er es vergeigt. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war ich zehn Jahre alt. Er trug eine Schuhplattleruniform.«
»Eine was?«
»So bayerische Lederhosen, Kniestrümpfe, Trachtenjanker und Tirolerhut. Er haust in einem Wohnwagen und tritt als Alleinunterhalter in Münchener Biergärten auf. Für meinen Alten sind Musiker Versager. Wie Onkel Rudi. Musiker, das ist kein Beruf, sagt er.«
»Warte mal ab, wenn er dich Schlagzeug spielen sieht. Da kann er nicht mehr dran vorbei, dass du gut bist. Du hast eine natürliche Begabung. Es wäre eine Schande, die einfach brachliegen zu lassen. Okay, die Sprüche von deinem Alten sind ziemlich daneben. Aber deswegen würde ich mich nicht verrückt machen.«
»Ich habe noch nicht mal ein eigenes Schlagzeug. Ich will mit Dreamlight am Festival teilnehmen. Aber ohne Drumset kann ich das vergessen.«
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