1 ...8 9 10 12 13 14 ...21 Der schon wieder. John Coltrane war Gott. Für Andi.
A Love Supreme war Andis Hymne.
Eine dreiunddreißigminütige Suite in vier eigenständigen Teilen. McCoy Tyner, Piano, Jimmy Garrison, Kontrabass, Elvin Jones, Schlagzeug, und Coltrane am Saxophon. Aufgenommen im Dezember 1964. Coltrane, oder Trane, wie er genannt wurde, war am 17. Juli 1967, zwei Monate vor seinem einundvierzigsten Geburtstag, an Leberkrebs gestorben.
A Love Supreme lief dreimal am Abend. Auf der Platte ging es irgendwie um Glauben, auf dem Cover war ein Poem abgedruckt, in dem Coltrane den Herrn pries. Ich hatte es nicht so mit Religion und all dem, aber die Musik, die Coltrane auf A Love Supreme spielte, hatte was. Ja, sie war phantastisch.
Ich brauchte nicht zu fragen, Andi fing von selbst an. »Ich muss schon sagen, die Einlage von Mark bei Guru Guru, die hätte ich ihm nicht zugetraut. Er spielt zwar sehr rockig, aber trommeln kann er.«
»Er hat eine Band gegründet. Dreamlight.« Ich sagte es so beiläufig wie möglich. Ich wollte der Erste sein, von dem er es erfuhr.
»Ich werde auch eine Band aufmachen. Fra Mauro wird sie heißen.«
»Fra Mauro, was soll denn das sein?«
»Das ist ein Krater auf dem Mond, benannt nach einem Kartographen aus dem Mittelalter. Fra Mauro war ein Mönch, als einer der Ersten fertigte er eine brauchbare Weltkarte an. Fra Mauro, ich finde, das passt, ich will unbekannte musikalische Landschaften entdecken.«
»Darf man wissen, wer deine Mitspieler sind?«
»Die kennst du nicht. Sind nicht von hier. Ich habe einen Saxophonisten gefunden, der spielen kann wie Gato Barbieri.«
Ich ließ mir nicht anmerken, dass ich beeindruckt war. »Dann haben wir jetzt zwei Bands in unserem Kaff.«
»Ich denke, da wird sich noch mehr tun«, sagte er.
»Wie kommst du darauf?«
»Ich habe hier und da was aufgeschnappt. Seit Marks Trommeleinlage gehen Gerüchte um. Du bist doch hier der Schreiber, der alles in seinem kleinen Notizheft festhält. Recherchier doch mal.«
Dreamlight und Fra Mauro.
Zwei Bandgründungen innerhalb weniger Tage. Das hatte es in unserem Kaff noch nie gegeben. Vor meinen Augen war etwas im Gange. Mit einem Mal musste ich an Dons Worte denken. Etwas ganz Großes, hatte er gesagt.
Auf dem Weg zur Toilette lief ich Falko und Bab in die Arme. Falko war ein Hüne mit langen blonden Haaren. Bab war kompakt und muskulös, seine Locken hatten sich zu einem beeindruckenden Afro formiert.
Automatisch zupfte ich an meinen Haaren. Die waren vor einer Woche auf dem Hemdkragen angekommen. Zwei Jahre hatte das gedauert. Ich kannte im Rats niemanden, der keine Matte hatte.
Babs Afro wackelte beim Reden. »Alter, wir machen eine Band auf.«
Falko schob sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Was meinst du, Electric Junk, klingt doch gut, ist doch ein abgefahrener Name, oder?«
Electric Junk, das kam mir bekannt vor. Ja, so hieß doch ein Stück von Hinten, der neuen Guru-Guru-Scheibe, den Song hatten sie beim Auftritt im Wilhelm-Leuschner-Haus vorgestellt.
Himmel und Hölle, das war die dritte Bandgründung. Das konnte ja noch heiter werden.
»Und wer spielt was? Ihr seid doch nur zu zweit?«, fragte ich.
»Falko spielt Gitarre, ich übernehme den Bass. Und als Schlagzeuger hatten wir an Mark gedacht. Sein Solo war phänomenal«, sagte Bab.
Sieh an, sie waren auch dort gewesen und hatten ihn auf der Bühne erlebt.
»Da kommt ihr zu spät. Mark hat mit Skip, Gero und Paul gerade Dreamlight gegründet«, sagte ich.
Falko runzelte die Stirn. »Dreamlight, was ist das denn für ein Name? Egal. Alter, weißt du nicht jemanden, den wir fragen könnten?«
»Da kann ich euch nicht helfen. Bin ja selbst überrascht, dass jetzt anscheinend jeder in einer Band spielen will. Aber ich halte Augen und Ohren offen. Ich höre mich mal um, versprochen.«
Auf dem Klo pinkelte Rössel wie ein Gaul ins Becken. Ein nicht enden wollender Riesenstrahl. Ich stellte mich daneben und ließ es ebenfalls laufen.
Rössel war Bastler. Früher hatte er Radios gebaut, er war der Einzige, von dem ich wusste, dass er ein Teleskop besaß.
»Satti, hast du von Marks Auftritt gehört?«
»Klar, Mann, bin doch selbst dabei gewesen.«
»Stark, Alter, das finde ich richtig gut.«
»Was findest du gut?«
»Selbst Musik machen«, antwortete er.
»Ich dachte, du glotzt die Sterne an. Mehr nicht.«
»Ich habe mir eine Gitarre gebaut.«
»Rössel, sag mir, dass das nicht wahr ist. Du nicht auch noch.«
Ich beendete mein Geschäft und ging zum Waschbecken. Rössel kam mir hinterher.
»Ich weiß gar nicht, was du hast«, sagte er, »das Ding, das ich mir gebaut habe, funktioniert. Es ist sogar bundrein. Und jetzt gründe ich eine Band. Ich habe auch schon einen Namen.«
Er machte eine kleine Pause. »Storm.«
»Storm wie Sturm, oder was?«
»Genau, Alter. Unsere Musik wird alles hinwegfegen. Ein rockender Sturm. Wie Rory Gallagher.«
Rössel blickte siegessicher drein. Ich wusste, dass er den ehemaligen Gitarristen von Taste grandios fand.
»Rocken wie Gallagher«, wiederholte ich.
»Ja, genau. Du kennst doch noch Werner und Gerd, die machen mit. Gerd am Schlagzeug, Werner am Bass.« Und ob ich Werner und Gerd kannte. Von der Schule her, doch ich hatte sie länger nicht mehr gesehen.
Das war dann Band Nummer vier. Ich fasste noch einmal zusammen.
Dreamlight, Fra Mauro, Electric Junk und Storm.
Jetzt hatte ich keine Zweifel mehr. Eine Art Virus war ausgebrochen. Eindeutig grassierte ein Fieber. Das Musikfieber.
*
Enttäuscht versetzte Karen dem Flipper einen leichten Stoß. Tilt.
Das Gerät blinkte, die roten und gelben Birnen setzten eine Lightshow in Gang wie beim Auftritt von Heads Hands & Feet neulich im Beat-Club.
Sonny und Moses kicherten wie kleine Jungs, die sich über einen gelungenen Streich freuen. Karen zeigte ihnen die Zunge.
»Was geht ab, Mann?« Moses spreizte zwei Finger. Peace. Hatten die Hippies immer gemacht.
Karen trat zur Seite.
Sonny begann ein neues Spiel, schoss die silberne Kugel ab. Pling.
»Eigentlich wollte ich euch was erzählen. Aber ihr seid bekifft wie Weltmeister, stimmt doch?«, sagte ich.
»Wenn du deiner Alten nichts sagst«, brummte Sonny und haute auf einen der Flipperhebel.
Sein Kommentar war eine Anspielung darauf, dass meine Mutter vor ein paar Tagen in der Zeitung zitiert worden war. In dem Bericht wurde mal wieder behauptet, dass Haschisch der Einstieg in die Drogenabhängigkeit sei. Doch Karrieremama als gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Partei hatte dagegengehalten.
Huguette hatte dem Reporter gesagt, der Konsum von weichen Drogen sei zwar auf dem Vormarsch, doch statt mit Verboten sollte man mit Aufklärungskampagnen antworten. In den Niederlanden etwa gäbe es Überlegungen, Haschisch für den privaten Gebrauch freizugeben, staatlich kontrolliert, versteht sich, um ein Abrutschen der Kiffer in die Kriminalität zu verhindern. Meine Politikmama lehnte sich damit weit aus dem Fenster.
Manchmal konnte sie wirklich etwas Brauchbares von sich geben. Der Artikel aber hatte ihr ziemlichen Ärger eingebracht.
Sie hatte das Sitzungsprotokoll einer ihrer Versammlungen auf dem Küchentisch liegen lassen. Ich las es heimlich, und mir wurde klar, dass sie mit ihrer Meinung in der Partei allein dastand. Der Artikel könne Wählerstimmen kosten und damit Huguettes Einzug in den Landtag, für den sie sich aufstellen lassen wollte, zunichte machen, hatten die Genossen ihr vorgeworfen. Der Politverein, dem sie angehörte, hat ja schon immer Schiss gehabt, wirklich revolutionäre Sachen zu machen, dachte ich.
Huguette wusste noch nicht, dass ich in meinem Dachzimmer manchmal einen durchzog. Wie denn auch – erstens konnte ich Räucherstäbchen vorschieben, und zweitens war sie, ständig in irgendetwas eingespannt, kaum zu Hause.
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