Pohrt meldete sich Ende der Neunziger nur noch sporadisch mit gelegentlichen Vorträgen zu Wort. Dann wurden ihm die Zigaretten zuviel, die er für das Schreiben eines Artikels brauchte. Er schwieg. Das mochte man zwar bedauerlich finden, aber zumindest verfiel er nicht der Versuchung vieler anderer Autoren, die zeitlebens einen originellen Gedanken, den sie mal hatten, variieren.
Nur einmal noch ließ er sich aus der Reserve locken, als er am 3. Oktober 2003 zusammen mit Henryk M. Broder einer Einladung eines »Bündnisses gegen Antisemitismus und Antizionismus« ins Berliner Tempodrom folgte, eine Veranstaltung, die Pohrt selbst als Fiasko wertete. Immerhin zeigte die lebhafte Reaktion auf seinen Auftritt, dass er immer noch als Feindbild in der Linken wahrgenommen wurde. In dem aus dieser Veranstaltung heraus entstandenen Buch »FAQ« ergriff Pohrt die Gelegenheit, die Positionen der sogenannten »Antideutschen« zu kritisieren, als deren Ikone und theoretischer Protagonist er galt, und zwar mit dem Hinweis, dass jede Wahrheit einen Zeitkern hat, also nur gültig ist unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen.
»Manche Leute freut es, wenn sie von sich behaupten können, sie hätten es schon immer gesagt. Mir geht es weniger um die Ewigkeit als den richtigen Zeitpunkt. Deshalb gefällt es mir, dass ein umfangreicher Teil meines 1992 erschienenen Buches ›Das Jahr danach‹ die Ausländerverfolgung anprangert. Und aus dem gleichen Grund wäre es mir nicht angenehm, wenn dieser Text unkommentiert jetzt wieder erschiene, wo sein Charakter der eines Mit-den-Wölfen-Heulens wäre.«
Als 1991 in Rostock-Lichtenhagen das Wohnheim für Ausländer in Brand gesteckt wurde, hatte der Staat auf der ganzen Linie versagt. Zehn Jahre danach sah die Sache anders aus:
»Antisemiten und Rassisten werden bekämpft, weil man sie benötigt. Sie werden gebraucht, weil sie so was wie der Dreck sind, an welchem der Saubermann zeigen kann, dass er einer ist. Sie werden gebraucht, damit Schröder die von ihm geführten Raubzüge der Elite als ›Aufstand der Anständigen‹ zelebrieren kann. Sie werden gebraucht, weil die Ächtung von Antisemitismus und Rassismus das moralische Korsett einer Clique sind, die sich sonst alles erlauben will, jede Abgreiferei, aber wie jeder Verein für ihren Bestand Verbote und Tabus benötigt.«
Damit hatte sich Pohrt wieder einmal der politischen Einvernahme durch die Linke, bzw. eine ihrer Fraktionen, entzogen. Er hatte die letzten Bewunderer vor den Kopf gestoßen und die letzten Drähte gekappt. Und er hat dies getan, ohne sich neue Freunde zu schaffen. Er hat sich von der Restlinken verabschiedet, ohne sich ins bürgerliche Lager zu retten. Er hat dies allein dadurch geschafft, indem er einfach nur die Zeichen der Zeit zu deuten versuchte und sich nie auf einer einmal gefundenen Wahrheit ausruhte. Er war über dreißig Jahre hinweg der vielleicht brillanteste Kopf der Linken. Sie hat ihn nie gemocht, weil er ihr den Spiegel vorgehalten hat, in dem sich ihr in der Regel kein schöner Anblick bot. Nachdem die Linke spätestens mit der Wiedervereinigung zum bloßen Gegenstand »anthropologischer Betrachtung« wurde, geben für Pohrt nun auch die Verhältnisse selbst nichts mehr her, das sich noch zu analysieren und zu kommentieren lohnte, jedenfalls nicht, um einen Verein oder eine Gemeinde damit zu erfreuen, die die Linke bestenfalls noch ist. Andere jedoch, die an seiner Meinung interessiert sind, gibt es nicht allzu viele, jedenfalls nicht in den Blättern, die bislang keine große Anstrengung unternommen haben, an der von Pohrt vor dreißig Jahren konstatierten freiwilligen Gleichschaltung wirklich etwas zu verändern.
Zumindest kann noch einmal daran erinnert werden, dass in Deutschland die Linke zwar auf der ganzen Linie versagt hat, aber dank Wolfgang Pohrt das Niveau der Kritik an ihr weit besser war, als sie es verdient hatte, ja man kann sogar sagen, dass ein realistisches Bild von ihr nur deshalb erhalten geblieben ist, weil Pohrt sich ihrer Macken, Fehler und Eigenarten angenommen und damit die Mythenbildung erschwert hat. Als Gesellschaftsanalytiker nicht weniger brillant und weitsichtig, war Pohrt in gewissem Sinne das beste Beispiel dafür, wie vergeblich das Anschreiben gegen Verhältnisse sein kann, wenn diese von der Mehrheit so gewollt werden und eine intellektuelle Opposition nicht mehr vorhanden ist, der Gewicht und Bedeutung zukäme.
2005
Some of my best friends are German
Eike Geisel
Der 1997 verstorbene Historiker und Journalist Eike Geisel gehörte zusammen mit Wolfgang Pohrt, Henryk M. Broder, Lothar Baier und Christian Schultz-Gerstein einer Generation von Kritikern an, die sich seit den siebziger Jahren radikal, scharfsinnig und originell mit dem ideologischen, politischen und kulturellen Zeitgeist auseinandersetzten, ohne einer institutionalisierten Opposition oder Gruppe anzugehören. Als Achtundsechziger hatte Geisel sein Denken wie viele andere an Adorno und Horkheimer geschult, im Unterschied zu vielen anderen aber auch an Hannah Arendts »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft« und an ihrem Eichmann-Buch. In einer Zeit, als die Literatur über den Nationalsozialismus noch sehr spärlich war, beschäftigte er sich u.a. mit H.G. Adlers Theresienstadt-Studie, las Eugen Kogons Standardwerk »Der SS-Staat« und Jean Améry, dessen rhetorische Vortragskunst er bewunderte.
Er promovierte über »Marx und die nationale Frage«, arbeitete zwischen 1973 und 1975 am Otto-Suhr-Institut, bevor er anschließend (von 1975 bis 1981) zusammen mit Wolfgang Pohrt als Dozent an der Pädagogischen Hochschule in Lüneburg lehrte, wo er u.a. Seminare über die Aktualität des Faschismus und über Marx abhielt. In dieser Zeit lernte er die kommunistische Jüdin, Partisanenkämpferin und KZ-Überlebende Hanna Lévy-Hass kennen und überredete sie, ihre Tagebücher »Vielleicht war das alles erst der Anfang« im Rotbuch Verlag (1979) zu veröffentlichen, denen ein langes Gespräch mit der Autorin beigefügt war.
1981 erschien das von ihm herausgegebene Buch »Im Scheunenviertel«, ein Bildband mit einem großen Essay, Fotos, zeitgenössischen Texten und Dokumenten über die während der Kriegs- und Revolutionswirren nach Berlin geflüchteten Ostjuden, ein Buch, das zahlreiche Auflagen erlebte. Weil die DDR in den 35 Jahren nach Kriegsende wenig getan hatte, um diese verrufene Gegend zu sanieren (was dem Westen innerhalb weniger Jahre dann vollständig gelang), erinnerten alte Reklameschriften an Wänden, Einschusslöcher und Elendsbehausungen noch rudimentär an den Krieg und das Leben armer Juden, das da einmal auf engstem Raum stattgefunden hatte.
Anfang der Achtziger lernte er auch Henryk Broder kennen, der sich schon seit den siebziger Jahren mit dem Antisemitismus in der Linken auseinandersetzte und mit linker Prominenz und Zeitschriften wie Emma und Konkret im Clinch lag, u.a. deshalb, weil Emma -Redakteurin Ingrid Strobl Israel das Existenzrecht absprach und Alice Schwarzer einer Angestellten Kontaktverbot zum »militanten Juden« Broder erteilte. Immerhin ein Vorfall, der zur Planung einer kleinen Anthologie über das Verhältnis der Linken zum Antisemitismus führte, die dann allerdings nicht zustande kam.
Mit Broder verband Geisel eine enge Freundschaft. Gemeinsam suchten sie in den USA und Israel Überlebende des Jüdischen Kulturbunds auf, sammelten Dokumente und drehten den Film »Es waren wirklich Sternstunden«, der 1988 ausgestrahlt wurde. Geisel erstellte das Konzept für eine dann 1992 an der Akademie der Künste gezeigten großen Ausstellung mit einem umfangreichen Katalog (»Geschlossene Vorstellung«). Zudem erschien im gleichen Jahr ein Buch von ihm und Broder zu diesem Thema mit dem Titel »Premiere und Pogrom«.
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