Tomás de Torres S & M Dreams Inc. – Neufassung –
S & M Dreams Inc.
SM-Thriller – Neufassung –
von
Tomás de Torres
MARTERPFAHL VERLAG
Vom Autor überarbeitete und erweiterte E-Book-Ausgabe mit Bonus-Kurzgeschichte und Bibliografie
März 2014
© der papierenen Ausgabe 2009, der – komplett überarbeiteten –
Ebook-Ausgaben 2014 by Marterpfahl Verlag Rüdiger Happ,
Postfach 8, 72147 Nehren
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www.marterpfahlverlag.com marterpfahl-verlag@t-online.deUmschlaggestaltung: Domlupina ( domlupina@gmx.de) unter Verwendung eines Fotos von »Ironside« ( www.art-of-ironside.de) Model: »Sindalina« ( www.sindalina.com) Druck (Papierausgabe): PrintCom, Erlangen Produktion der Ebook-Ausgaben: Readbox, Dortmund ISBN (Paperback): 978-3-936708-63-9 ISBN (epub): 978-3-944145-32-7 ISBN (pdf): 978-3-944145-33-4
1
Die absolute Stille, die über der Landschaft lag, hatte etwas von der Ruhe vor dem Sturm an sich. Das Wasser des Ashokan Reservoirs schimmerte wie eine blaue Eisfläche in der Nachmittagssonne, nur hier und da breiteten sich kleine konzentrische Wellen aus und verrieten, dass der Speichersee nicht bar allen Lebens war.
Vicky starrte die Staubstraße entlang. Sie wusste nicht, wie der Wagen aussah, der sie an diesem gottverlassenen Treffpunkt abholen und an ihren Urlaubsort bringen sollte, ob es ein PKW, ein Pick-up oder ein Minibus sein würde. Sie wusste nur eines: dass er einer Firma mit dem Namen »S & M Dreams Incorporated« gehörte, die versprach, geheimste Unterwerfungsträume buchstabengetreu und diskret zu realisieren.
Das ferne Aufheulen eines Motors ließ Vicky herumfahren. Ihr schlanker Körper spannte sich und ihre Blicke suchten die blaugrauen Rücken der Catskill Mountains ab, die den Nordrand des Reservoirs säumten. Ein Vogel flog aus der Deckung eines Busches auf, strich in einem halben Meter Höhe über das Wasser und verschwand hinter einer Landzunge. Das Motorengeräusch ebbte ab, und Stille schloss sich wieder um Vicky. Sie stieß die angehaltene Luft aus und wischte die schweißnassen Handflächen an ihrer schwarzen Stretchhose ab.
Kaum zu glauben , dachte sie, dass es in unmittelbarer Nähe eines der beliebtesten New Yorker Ausflugsziele so ruhig sein kann!
Wenige Wochen zuvor hatte sie erstmals von der Firma mit dem seltsamen Namen und dem noch seltsameren Geschäftsmodell gehört, von Marcia, ihrer engsten Freundin. Marcia hatte einen zweiwöchigen Urlaub bei S & M Dreams Inc. gebucht, aus dem sie so entspannt und ausgelassen zurückgekehrt war, dass Vicky sie gefragt hatte, ob sie sich verliebt habe. Nach viel Kichern und Herumreden hatte Marcia ihr dann bei der zweiten Flasche Rotwein gestanden, dass sie ihren Urlaub nackt in einem Stahlkäfig verbracht hatte, aus dem sie nur einmal am Tag herausgeholt wurde, um – wie Marcia sich mit schwerer Zunge ausgedrückt hatte – »nach allen Regeln der Kunst durchgefickt zu werden.«
Erst da hatte Vicky erkannt, dass sie mehr mit Marcia verband als die gemeinsame Zeit in der High School und der Wohnort Chelsea in Manhattan: nämlich jene Unterwerfungsphantasien, zu denen die junge Anwältin Vicky vor allem in Zeiten beruflichen Stresses Zuflucht suchte und die zu realisieren S & M Dreams Inc. sich auf die Fahne geschrieben hatte.
Abermals drang das Geräusch eines Motors in Vickys Bewusstsein, nicht aufheulend diesmal, sondern langsam anschwellend. Wieder spannte sie sich. Ihr Blick glitt die Straße entlang, mehr ein Wirtschaftsweg, der durch grasbewachsenes Marschland führte. Staub schwebte plötzlich über der hundert Meter entfernten Kuppe, und während das Motorengeräusch lauter wurde, schoben sich die kantigen Umrisse eines schwarzen Lieferwagens in Vickys Sichtfeld.
Sie starrte dem Wagen entgegen, und tausend Gedanken mündeten in einen einzigen: Es ist so weit! Mit pulsierender Halsschlagader und unfähig, auch nur eine Hand zu heben, sah sie den Wagen näher kommen. Er hatte ein New Yorker Nummernschild, und zwei Männer mit verspiegelten Sonnenbrillen saßen im Führerhaus, reglos wie Roboter. Nichts wies darauf hin, dass sie Vicky gesehen oder gar anhand des Fotos erkannt hätten, das Vicky ihrem ausgefüllten Urlaubsantrag beigefügt hatte.
Kies knirschte und Sand stob auf, als der Wagen unmittelbar neben Vicky anhielt. Er trug keinerlei Aufschrift, nur die weiße Silhouette eines sich aufbäumenden Hengstes mit überproportionalem Geschlechtsteil prangte auf seiner Seite. Vicky holte tief Luft.
Ein Pferdetransporter?
Die Beifahrertür öffnete sich, eine Schockwelle kalter Luft traf Vicky und ließ sie frösteln. Ein Mann sprang heraus, gekleidet in eine schwarze Uniform mit silbernem Kragenspiegel und ebensolchen Knöpfen. Vicky erwartete unwillkürlich, dass er die Hacken zusammenschlagen und salutieren würde, doch er deutete lediglich eine steife Verbeugung an.
»Victoria Gayle Roberts?«
Vicky wollte »Ja« sagen, brachte jedoch keinen Ton heraus. Sie nickte. Ihre beiden verzerrten Spiegelbilder in den Brillengläsern des Mannes äfften die Bewegung nach, als wollten sie sich über Vicky lustig machen.
»Die Tatsache, dass wir Ihren Namen kennen und zu diesem Zeitpunkt hier sind, beweist Ihnen, dass wir diejenigen sind, die Sie erwarten: Firma S & M Dreams Inc. Wenn Sie mir bitte ins Innere folgen wollen, es gibt zunächst einige Formalitäten zu erledigen.«
Er ging um den Wagen herum. Vicky folgte ihm automatisch. Ihre Wahrnehmungsfähigkeit schien mit einem Mal drastisch gesteigert: Unerträglich laut knirschte der Sand unter ihren Tennisschuhen, der Hauch einer Brise spielte mit ihren halblangen schwarzen Haaren, und sogar die Farbe des Himmels schien sich verändert zu haben. Sie war nun von einem so intensiven, stählernen Blau, wie man es sonst nur viel weiter nördlich findet.
Der Schwarzuniformierte öffnete einen Flügel der Hecktür des Transporters, sprang hinein und streckte Vicky den Arm entgegen. Sie ergriff seine Hand und ließ sich hinaufziehen. Sie stand nun am Ende eines Ganges, von dem rechts eine Reihe von vergitterten Boxen abzweigten, deren Inneres Vicky nicht einsehen konnte. Tatsächlich ein Pferdetransporter?
Ein Knall ließ sie herumfahren. Der Schwarzuniformierte hatte die Hecktür geschlossen. Zwei Deckenlampen sorgten für Helligkeit in dem fensterlosen und klimatisierten Laderaum.
»Darf ich Ihre Papiere sehen?«
Vicky holte die Geldbörse aus der Gesäßtasche ihrer Hose und reichte ihm Führerschein und Sozialversicherungskarte. Die Firma hatte verlangt, dass sie kein Gepäck und somit auch keine Handtasche mitbrachte.
Der Mann warf einen Blick auf das Führerscheinfoto und musterte sie dann. Vicky starrte an ihm vorbei. Sie hasste dieses Bild. Wie alle derartigen Fotografien machte es sie älter; sie sah mindestens aus wie dreißig und nicht wie sechsundzwanzig. Außerdem entsprach das Blau des Bildhintergrunds genau der Farbe ihrer Augen, so dass ein Betrachter glauben konnte, durch ihren Kopf hindurchzusehen. Und zu allem Übel kam auch noch das Licht von oben und umgab ihr Kinn mit einem Schatten, der es kantiger erscheinen ließ, als es tatsächlich war, und der ihrem ansonsten hübschen Gesicht einen strengen, entschlossenen Zug verlieh.
Der Mann nickte und gab ihr die Papiere zurück. Dann zog er einige Blätter aus einer Tasche seiner Uniformjacke und entfaltete sie.
»Wenn Sie alles noch einmal kontrollieren wollen …«
Es war das mehrseitige Formular, das Vicky vor einer Woche zu Hause ausgefüllt hatte. Darin hatte sie ihre Phantasien ebenso offen wie detailliert niedergeschrieben. S & M Dreams Inc. würde, so hatte Marcia ihr versichert, diese Phantasien Punkt für Punkt in die Tat umsetzen, ohne die kleinste Abweichung. Zwei Wochen lang würde Vicky das an ihrem Leib verspüren, was bislang nur in ihrem Kopf vor sich gegangen war. Und es kostete kaum mehr als ein gleich langer Aufenthalt in einem Resort in Florida oder Colorado.
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