Vicky befand sich in einer mittelalterlichen Kerkerzelle.
Während sie noch dabei war, den Raum zu mustern, in dem sie den größten Teil der nächsten beiden Wochen zubringen würde, hörte sie das Zuschlagen der Gittertür, dann das Knarren eines Schlüssels. Sie sah sich um. Schweigend entfernten sich der Mann und die Sklavin, die Vickys zusammengefaltete Kleider trug. Vicky brauchte sie nicht mehr. Vierzehn Tage lang würde sie nackt sein. Nackt und eingeschlossen in eine winzige Zelle.
Alles, bis ins kleinste Detail, war genauso, wie sie es sich vorgestellt hatte – wie sie es auf dem Formular beschrieben hatte.
Sie kauerte sich in eine der hinteren Ecken und atmete tief durch.
Alles unter Kontrolle! , sagte sie sich beruhigt.
Das Licht erlosch.
5
Julie Hurt weinte immer noch, oder vielleicht auch schon wieder. Nichts war, wie es sein sollte. Erst das Benehmen des Mannes im Lieferwagen, dann die endlose Fahrt. Vier oder fünf Stunden musste sie in dem Gefährt verbracht haben. Nun stand sie seit mindestens einer Stunde hier, blind, halb nackt und mit auf den Rücken gefesselten Händen. Überdies waren die Handschellen an der Wand hinter ihr befestigt, so dass sie nicht einmal einen Schritt zur Seite machen konnte, geschweige denn sich setzen.
Am schlimmsten jedoch waren die Augenbinde, die verhinderte, dass sie auch nur das Geringste sehen konnte, und der grässliche Knebel, der immer stärkere Schmerzen in ihren Kiefern verursachte. Wann kam endlich jemand, um ihr beides abzunehmen? Wann kümmerte sich endlich jemand um sie?
Dazu kamen die sich ständig steigernden Schmerzen in ihrer Blase, die bereits während der Fahrt begonnen hatten. Die Leute, die Julie ab und zu vorbeigehen hörte und die sie ignorierten, als wäre sie durchsichtig, konnten sich doch denken, dass sie irgendwann zur Toilette musste!
Julie versuchte verzweifelt, sich bemerkbar zu machen. Sie zerrte an ihren Fesseln und schrie in den Knebel. Aber dieser erstickte ihre Schreie, so dass kaum mehr als ein Stöhnen oder allenfalls ein lautes Wimmern zu vernehmen war.
Schließlich wurde der Schmerz in ihrer Blase so stark, dass ihr Körper reagierte, bevor es ihr Gehirn tun konnte. Heiße Flüssigkeit durchnässte ihre engen Jeans und rann an den Innenseiten der Beine hinab. Verzweiflung und Scham überwältigten Julie, doch mehr als ein ersticktes Schluchzen, das ihren Oberkörper durchschüttelte, brachte sie nicht mehr zustande.
Noch immer ignorierte man sie.
Endlich hörte sie wieder Schritte. Eine männliche Stimme sagte in barschem Tonfall: »Noch nicht! Die Haube wieder aufsetzen!«
Der Sprecher konnte nur wenige Meter entfernt sein. Aus seinen Worten ging hervor, dass sie an jemand anderen gerichtet waren. Julie versuchte erneut, sich bemerkbar zu machen, doch ebenso erfolglos wie zuvor.
Kurz darauf sagte dieselbe Stimme mit drohendem Unterton: »Das wird dir noch leid tun!« Julie hörte, wie sich mehrere Menschen entfernten. Es wurde still um sie herum, und der Aufruhr in ihren Gedanken legte sich allmählich.
Was war geschehen? Eine Verwechslung? Hatte irgendjemand einen Fehler gemacht und ihre Papiere mit denen einer anderen Urlauberin vertauscht – einer, die sich etwas völlig anderes gewünscht hatte als sie? Etwas Brutales, Demütigendes? Es musste einfach eine Verwechslung sein, oder …
Aber an das Oder wollte sie lieber nicht denken.
Julie versuchte, die schmerzenden Kiefer zu bewegen, doch der aufgeblasene Knebel ließ dazu keinen Spielraum. Sie versank in dumpfes Brüten, aus dem sie eine barsche Stimme riss.
»Ist es das?«
Der Sprecher musste unmittelbar neben ihr stehen. Es schien der gleiche Mann zu sein, der vor einiger Zeit jemand anderen angefahren hatte.
Die Stimme einer Frau antwortete ruhig und sachlich: »Ja, das muss es sein.« Papier raschelte. »Nummer 4279.«
Irgendein Gefühl sagte Julie, dass diesmal sie gemeint war. Sie zerrte an den Handschellen und versuchte, etwas zu sagen. »Ich bin nicht Nummer 4279!«, wollte sie schreien. »Ich bin kein ›es‹, keine Nummer! Ich habe einen Namen, Julie Hurt! All dies ist ein schreckliches Missverständnis!«
Doch aus ihrem geknebelten Mund drangen nur unartikulierte Laute.
Wieder die Stimme des Mannes: »Wurde es schon untersucht?«
»Noch nicht.«
»Dann holen wir das gleich nach.«
Jemand packte Julies Arm und löste die Handschellen von der Wand. Dennoch blieben ihre Hände weiter auf den Rücken gefesselt. Grobe Finger schlossen sich um ihren nackten Oberarm und zogen sie mit sich.
Julie folgte mehr stolpernd als gehend. Ihre Gedanken waren ein einziges Chaos. Wieso sprach man von ihr wie von einer Sache? Weshalb wollte man sie untersuchen? Und was würde das für eine Art von Untersuchung sein? Sie wusste nur eines: Sie wollte nach Hause, auf dem schnellsten Weg!
Sie riss sich aus dem Griff des Mannes los, den diese Handlung offensichtlich überraschte. Sie rannte zwei oder drei Schritte, dann knallte sie mit der Stirn gegen eine Wand. Der Anprall war so stark, dass sie schwankte und beinahe zu Boden gegangen wäre.
Im nächsten Moment war der Mann bei ihr und packte sie an den Armen, so schmerzhaft, dass Julie in den Knebel schrie.
»Das war sehr dumm von dir!«, zischte er und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Julies Kopf flog herum. Wie betäubt blieb sie stehen. Das Schlimmste war nicht der Schmerz, sondern die Tatsache, dass man sie, Julie Hurt, geschlagen hatte. Ins Gesicht geschlagen! Niemals in ihrem bisherigen Leben war sie geohrfeigt worden, nicht einmal als Kind.
Sie spürte, wie sich der restliche Inhalt ihrer Blase in ihre Jeans entleerte, ohne ihr Zutun. Und ohne, dass sie so etwas wie Scham empfand.
Sie empfand überhaupt nichts mehr.
Der Unsichtbare ergriff erneut ihren Oberarm und führte sie weiter. Diesmal folgte Julie willenlos. Der unerwartete Schlag hatte ihren Widerstand gebrochen. Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den anderen. Die Jeans klebten an ihren Beinen.
Sie mussten mindestens hundert Meter zurückgelegt haben, als sie endlich anhielten. Julie hörte eine weibliche Stimme: »Die übliche Untersuchung?«
Es erfolgte keine Antwort, wahrscheinlich nickte der Mann nur.
Die Frau sprach erneut: »Ziehen wir ihm erst mal die nasse Hose aus, dann schnallen wir es auf den Stuhl.«
Fremde Hände öffneten den Reißverschluss ihrer Jeans und zogen diese mitsamt dem Slip nach unten. Dann kamen Schuhe und Strümpfe an die Reihe. Gehorsam stieg Julie aus der Hose, als die Frau sie dazu aufforderte. Sie war nun vollständig nackt, doch seltsamerweise berührte sie das gar nicht mehr. Immer noch spürte sie ihre eigene Nässe auf ihren Schenkeln, doch auch dies war ihr mittlerweile gleichgültig.
Jemand schloss ihre Handschellen auf und zerrte sie rückwärts, bis sie etwas Glattes, Kühles an ihren Oberschenkeln spürte – die mit Plastik überzogene Sitzfläche eines Stuhls? Eine zierliche Hand, wärmer als Julies eigener Körper, presste sich auf ihren Bauch und drängte sie auf die Sitzfläche. Ihr Oberkörper sackte nach hinten weg auf eine Lehne, die in flachem Winkel von der Sitzfläche abstand. Ihre Arme wurden auseinandergezogen und mit Lederriemen an die Seiten des Stuhls gefesselt. Ihre Füße wurden in gespreizter Stellung hochgebunden.
Julie hörte das Rascheln von Papieren, dann wieder die Stimme des Mannes: »Es liegt noch keine Bestellung vor, wie ich hieraus ersehe. Also die übliche Prozedur.«
»Keine Verwandten?«, fragte die Frau mit, wie es Julie schien, gelangweilter Stimme.
»Keine. Und keine aktuelle Beziehung. Alles doppelt überprüft, nach Vorschrift. Es wird nicht vielen abgehen.«
Keine Verwandten …
Das Echo dieser Worte dröhnte durch Julies Gehirn. Ihr Vater war ein erfolgreicher Architekt gewesen, doch Julie kam eher nach ihrer Mutter. Den erzwungenen Collegebesuch hatte sie abgebrochen, halb aus eigenem Antrieb und halb gedrängt von ihren Lehrern. Kaum hatte sich der dadurch entfesselte Sturm in ihrem Elternhaus gelegt, traf sie eine Katastrophe in Form eines Autounfalls, dem beide Eltern zum Opfer fielen.
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