Sehen wir uns die Fakten an. Seit Hitzfeld wieder an der Säbener Straße regiert, ist Oliver Kahns Torquote dramatisch gesunken. Insgesamt gleicht der Quotient aus erzielten Toren und Zuschauerdurchschnitt einem Offenbarungseid. Bei geschätzten 67.000 Zuschauern pro Bundesligaspiel in der Allianz-Arena und elf Begegnungen trafen die Roten vor in toto 737.000 Fans bis dato ganze einundzwanzigmal, woraus ein Quotient von 2,85 mal zehn hoch minus 5 resultiert. Auf jeden Zuschauer kommen mithin bloß 0,0000285 Tore – der schlechteste Wert seit 1933!
Das liegt auch daran, daß Hitzfeld in seiner zweiten Amtsperiode an der Isar Giovane Elber kein Vertrauen mehr schenkt. Der Brasilianer hat heuer kein einziges Tor geschossen! Zu schweigen von der kläglichen Korrelation zwischen Abseitspositionen und einsilbigen Spielernamen. Ottl, Lahm, Lell und Kroos – allesamt Deutsche! – tappten dreiundachtzigmal in die Falle, obwohl sie es zusammen auf lediglich siebzehn Buchstaben bringen. Berechnen Sie, lieber Leser, den beschämenden Wert selber! Wir sagen (und leiten diese Worte insbesondere an Karl-Heinz Rummelbummel weiter): Herr Hitzfeld, Sie haben keine Ausreden mehr!
Was dito gerne vergessen wird: Ottmar Hitzfeld ist ja seit jeher vom Habitus her ein Fluch, handelt er doch im heute so bedeutsamen medialen Umfeld nach einem Motto des gleichermaßen unsäglichen Journalistenverächters Ernst Happel, der mal bekannte: »Ich bin nicht auf Sensationen aufgebaut.« Deshalb stimmt uns wenigstens froh, daß auf den Schwarzwälder Hitzfeld im Sommer ein Schwabe vom glamourösen Kaliber eines Hegel folgen wird – Jürgen Klinsmann, der mit einem Salär von acht Millionen Euro pro Jahr und einem Betreuerstab in Bataillonsstärke in den nächsten zwei Jahren seinen Ruf als »Modernisierer« ( www.spiegel.de) untermauern und »ein Energiefeld aufbauen« will, »das den Spielern ziemlich Spaß machen wird«.
Energiefeld statt Hitzfeld – na endlich. Hitzfeld, dieses Relikt aus einer Epoche, die von Rauchfeldern oder -meldern wie Menotti und Minetti und Ornella Muti und eben auch dem Zigarrenjongleur Heizfeld oder Heidfeld oder halt Hitzfeld geprägt wurde, Hitzfeld, dessen Fähigkeiten, die vergangenen Wochen haben es gezeigt, vielleicht reichen, um Energie Cottbus in die zweite Liga zu geleiten, hat abgewirtschaftet, hat den großen FC Bayern zum Gespött der Fußballwelt gemacht. Schluß damit! Werft ihn raus! Und holt, bis Klinsmann in München landet, meinethalben Lattek! Oder Olm. Oder Zebec.
Und dann laßt uns mit Franz Beckenbauer in die Zukunft schauen. Der nämlich äußerte Ende Januar auf dem sechzigsten Niedersächsischen Landespresseball in Hannover: »Ich kann nur hoffen, daß Jürgen Klinsmann die zwei Jahre durchhält.« Andernfalls kehrt wer zurück?
Hitzfeld. Hossa!
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
was sagen Ihnen die Namen Loy – Eigenbrodt, Höfer – Stinka, Lutz, Weilbächer – Kreß, Sztani, Goethe, Lindner, Pfaff?
Eben.
Und wer pfiff?
Klar. Schiedsrichter Asmussen aus Flensburg pfiff. Mit Ernst Huberty zu raunen: »Asmussen, ein Name, den man sich merken muß.«
Und Asmussen pfiff hervorragend an jenem 28. Juni 1959 im Berliner Olympiastadion, denn er pfiff, weil er langsam mal nach Hause wollte und es deshalb höchste Zeit für eine Vorentscheidung wurde, in der ersten Minute der Verlängerung Elfmeter, und zwar einwandfrei für die richtige Mannschaft.
Dort drüben, jenseits des Mains, in einer Stadt called Offe’bach, hat man sich mit der historischen Wahrheit bis heute nicht anfreunden mögen, aber es war unbestreitbar so, daß ein Spieler namens Lichtl den großen Richard Kreß – übrigens der älteste Akteur beim Start der Bundesliga 1963 – im Strafraum zu Fall gebracht hatte, und Asmussen zeigte auf den, mit Manni Breuckmann zu reden, »ominösen Punkt«.
Wie wir alle wissen, verwandelte Goethe den Strafstoß zum psychologisch äußerst wichtigen 3:2, und … Halt! Stop!
Ich fange noch mal von vorne an.
Sagt Ihnen der Name Peter Handke etwas? Handke? Nicht Mike Hanke! Peter Handke hat die später zu allem Überfluß auch noch von Wim Wenders verfilmte Erzählung Die Angst des Tormanns beim Elfmeter zu verantworten, ein ziemlich dubioses Opus, für das der Torwächterpartisan Petar Radenković die lobenden Worte gefunden haben soll: »So ein Unsinn!« Beziehungsweise: »Nix viel über Fußball.« Beziehungsweise war ihm, überlieferte Hellmuth Karasek, dazumal Kulturredakteur beim Spiegel , das Buch von der Redaktion zur Rezension geschickt worden. Radenković lehnte brieflich ab: »Titel ist Bledsinn! Torwart hat nicht Angst beim Elfmeter. Hält er, ist er Held. Hält er nicht, ist Schütze Idiot.«
Hält er, ist er Held. Dito ein Satz, den man sich merken muß.
Handke indes hatte exakt zehn Jahre nach dem besten Endspiel um die Deutsche Fußballmeisterschaft aller Zeiten überdies den Lyrikband Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt veröffentlicht, in dem das Gedicht »Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968« zu lesen war:
Wabra
Leupold – Popp
L. Müller – Wenauer – Blankenburg
Starek – Strehl – Brungs – H. Müller – Volkert
Tja. Das heißt: Auch hier war Handke ein gravierender Fehler unterlaufen. Nicht Leupold hatte neben Popp als linker Verteidiger agiert, sondern Hilpert. Leupold wiederum hatte in der 76. Minute Blankenburg ersetzt. Verstehe einer diesen Dichter!
Ich allerdings verstehe meine Entscheidung recht gut, Feigenspan, der dazumal die Eintracht auf die Sie-gesstraße führte, durch Goethe substituiert zu haben. Vom f zum g ist es im Alphabet nur ein winziger Schritt, und beide sind große Frankfurter. Im Verbund mit einem dritten, dem Volksgenie Anton Hübler, bilden sie eine strahlende Trinität, vollkommen stimmig und einträchtig im Alphabet neben- oder hintereinander aufgereiht: f – g – h. Feigenspan – Goethe – Hübler. Die Umbenennung der SGE in FGH Frankfurt – Freunde Großer Helden Frankfurt –, sie sei hiermit bei der Stadt beantragt, wenn die denn für so was zuständig sein sollte.
Anton Hübler, den wir hier nochmals mit großer Freude und großem Applaus begrüßen –, Anton Hübler ist wahrscheinlich der einzige Zeugwart der Welt mit Legendenstatus. Ein Eintracht-Fanklub trägt seinen Namen – das »Kommando Anton Hübler« – und ehrt dergestalt das Wirken eines Mannes, der 1954 auf dem Arbeitsamt in Langen auf eine Anzeige gestoßen war. Die Eintracht suchte einen Gärtner, Anton Hübler bewarb sich, bekam die Stelle, und fünf Jahre später legte er geraume Zeit vor dem Finale im Riederwald ein Geranienbeet an, auf dem die von Fans und Händlern aus der Großmarkthalle spendierten Blumen den Schriftzug »Deutscher Meister Eintracht Frankfurt« bildeten. So gewinnt man Titel, werte Offenbacher!
Völlig einleuchtend lebt Anton Hübler heute in Urberach einen Steinwurf entfernt vom dortigen: Waldstadion – und hält als jemand, der vierzig Jahre lang treu und integer der Diva diente, die Erinnerung an Zeiten wach, in denen Stadionsponsoring und ähnliche Krämpfe nicht zum dieser Tage oft mühsalbeladenen Fußballalltag gehörten.
Der Name »Waldstadion«, er gemahnt zudem an die lauschigen, idyllischen Passagen in Goethes lyrischem Œuvre, etwa an das Gedicht »Ich ging im Walde so vor mich hin«, in dem das lyrische Ich auf eine Blume stößt, deren Schönheit es beinahe dahinschmelzen läßt: »Ich wollt’ es brechen, / Da sagt’ es fein: / Soll ich zum Welken / Gebrochen sein? // Mit allen Wurzeln / Hob ich es aus / Und trug’s zum Garten / Am hübschen Haus. // Ich pflanzt’ es wieder / Am kühlen Ort; / Nun zweigt und blüht es / Mir immer fort.«
Berücksichtigen wir obendrein, daß der Goethe-Forscher und -Herausgeber und, notabene, Eintracht-Fan F. W. Bernstein die Hüblersche Geranienepisode zu seinem »schönsten Eintracht-Erlebnis« erkor – noch vor Hölzenbeins Auftritten, Holz »ging«, sagt Fritz, immer »wie Kaltwasser durch die Verteidigung« –, dann ist vollends verständlich, warum der heute einzuweihende Anton-Hübler-Pfad, mit dem die sogenannte Landschaftslücke des GrünGürtels zwischen Ostpark und Mainufer vorläufig geschlossen wird, dem bedeutenden Bundesligabotaniker und Zeus unter den Zeugwarten gewidmet ist. Wir verneigen uns!
Читать дальше