Ich denke, mal gucken, wie es in Berlin mit der deutschen ... äh, deutlichen Absage an den Terrorismus aussieht. Nadja und ich fahren mit dem Auto zum Spandauer Damm, wo die Hells Angels wohnen. Seit ein Anführer ein Messer in den Rücken bekommen hat und einem anderen fast ein Bein abgehackt wurde, sind die Hells Angels wieder zum Staatsfeind Nr. 1 aufgestiegen.
Vor dem Charlottenburger Schloss großer Empfang. Die Straße wird einspurig. Das Empfangskomitee trägt MP, guckt irgendwie gelangweilt, ist olivgrün und für die hochsommerlichen Temperaturen viel zu warm gekleidet. Autofahrer mit Glatze oder sonstwie gefährlich aussehend werden herausgewunken und erschossen. Obwohl ich meine gefährlich aussehende Sonnenbrille aufhabe, darf ich weiterfahren. 200 Meter weiter wieder Kontrolle mit Nagelbett, das aber nur ausgerollt wird für den Fall, dass jemand ausbüchsen will. Einen Hells Angel kann ich nicht entdecken, und das liegt nicht an meiner Sonnenbrille, wie mir Nadja bestätigt.
Wir fahren zurück nach Kreuzberg. Da ist mehr los. Auf der Admiralbrücke schreit ein Admiralbrückendjango »Ich fick deine Mutter!« und tritt einen harmlosen Hippie, der sich aufs Pflaster langgelegt hat. Ein paar Leute zerren ihn weg. »Den sollte man nach Mallorca abschieben«, schlage ich vor. Nadja hat eine bessere Idee: »Zwei Hells Angels engagieren. Einfach nur zum Rumlungern und zum Einschüchtern.«
Geburtstagsparty
Luggi Lugmeier hat im »Froschkönig« zu seinem 60. Geburtstag geladen. Und wenn ein ehemaliger Geldtransportüberfaller einlädt, dann kommt man besser. Ich überlege, ob ich ihm eine aus Seife geschnitzte und mit schwarzer Schuhcreme eingeriebene Pumpgun schenken soll, denn eine Zeit lang war das ja der Hit bei Ausbrechern. Aber damit käme ich jetzt ein bisschen zu spät, denn Luggis letzter Geldtransport liegt schon über dreißig Jahre zurück. Außerdem geht schwarze Schuhcreme ganz schlecht wieder ab. Da kann man dann gleich seine Fingerabdrücke bei der Polizei hinterlassen.
Dann fiel mir noch ein, dass es juristisch gesehen keinen Unterschied macht, ob man mit einem Stück Seife eine Bank überfällt oder mit einer echten Knarre. Das wusste ich von einem Freund, der das auch nicht wusste und sich vorher auch nicht informiert hatte, und dann war es zu spät und das Gericht verknackte ihn zu sechs Jahren für einmal in die Bank gehen und »Zaster her!«-Rufen. Weil aber niemand auf seine Spielzeugpistole reinfiel, wurde er auf der Stelle eingesackt. Nadja findet das total ungerecht.
Ich schenke dem Ex-Geldtransportüberfaller eine Flasche Wein, ein Buch und eine CD. Darauf schreibe ich jeweils: »Guter Wein«, »Gutes Buch« und »Gute Musik«. Ich denke, es wäre vielleicht nicht schlecht, dies extra zu erwähnen, weil die anderen wahrscheinlich auch Wein, Musik und Bücher schenken. Und da will man sich ja schon ein bisschen von abheben.
Er kriegt dann aber einen Freisprung aus 4000 Metern Höhe. Ich glaube mit Fallschirm, obwohl das nicht extra erwähnt wurde. Schließlich wird noch eine Arie und ein sehr ergreifendes norddeutsches Heimatlied gesungen und die anarchistische Besäufniskomödie »Der Firmling« mit Karl Valentin gezeigt, der innerhalb von fünf Minuten in einer Gaststätte ein totales Chaos anzettelt. Das bleibt dann aber aus.
Baumpatenschaft
Jeden sonnigen Sommermorgen fahre ich auf dem Weg ins Prinzenbad beim Urbanhafen an einem alten Baum mit mächtiger Krone vorbei, der am leicht abschüssigen Hang hin zum Kanal sich dagegen zu stemmen scheint, ins Wasser zu kippen. Das ist jetzt noch nicht so interessant, höchstens für © TOMs Naturtante, die hingebungsvoll Bäume umarmt.
Um diesen Baum herum tut sich jedoch Seltsames. Es sieht ein wenig aus wie eine Kunstinstallation, könnte aber auch einfach nur liebevoll arrangierter Müll sein.
Sobald in einem öffentlichen Raum private Gegenstände herumliegen, habe ich eine instinktive Scheu nahezutreten, aber dann wage ich es doch. Auf den aus dem Boden ragenden Wurzeln liegen Plastikplanen, ich entdecke eine Kronkorkensammlung, eine rote Paprikaschote, verwelkte Blumen, Einkaufstüten von Plus, Plastikschachteln, Besteck, Lametta und andere Dinge, die man an diesem Ort nicht unbedingt vermuten würde.
»Interessierste dich für dette hier?«, fragt ein Mann mit verwuschelten Haaren, der sich unbemerkt genähert hat. Er sieht nicht wie jemand aus, der einem unbedingt ein Ohr abkauen will. Er erklärt mir, dass der Baum unter seinem besonderen Schutz stehe. Er hätte viel zu leiden gehabt, weil sich »Palästinenser oder Araber, det weeß ich jetzt nicht so genau«, an seinen Wurzeln gerieben hätten, und deshalb würde er sie mit einer Plane schützen, damit sie sich wieder erholen könnten, denn sonst würde der Baum seine Orientierung verlieren. Ich nicke andächtig.
Er sagt das ohne missionarischen Eifer, eher professionell. Am Ende der Führung sagt er: »Siehst ja nicht aus wie diese abgestandenen Leute sonst hier, wa. Biste von der Presse? Artikel sind mir egal, aber wenn du Mercedes für ne Patenschaft gewinnen könntest, da würde ich nicht nein sagen.«
Notaufnahme
Manche sitzen in der Notaufnahme, um Kasse oder Privat zu raten und eine Ferndiagnose zu stellen. Wie z.B. der zu einem Mann umgebaute Schriftsteller Simon Borowiak. Eigenartiges Hobby, aber auch nicht eigenartiger als inmitten nackter Menschenmassen in der Sonne zu braten. Borowiak hat große Erfahrungen in der Elendsforschung gesammelt und ist ein Fachmann. Aber manchmal ist das selbst für einen Laien wie mich gar nicht schwer.
Kasse, wenn überhaupt, und gaga vermute ich, als ein Mann in leicht verwahrlostem Zustand und flatternden Hosenbeinen durchs Wartezimmer der Notaufnahme des Urban-Krankenhauses schlurft und mir als einzig Anwesendem mit finsterem Gesicht und wie eine aufgebrachte Furie zuzischt, wer alles ein »verfickter Arsch« sei, dabei kenne ich gar keinen von den verfickten Ärschen.
Und das liegt nicht an den 40 Grad Fieber, mit denen ich mich in die Notaufnahme geschleppt habe, wo ich im Gang abgestellt werde. »Keine Papiere?«, fragt ein Pfleger. Er meint nicht mich, sondern eine Samariterin, die einen Delirium Tremens angeliefert hat. »Kannste gleich wieder mitnehmen. Wir haben hier schon einen polnischen Alkoholkranken.« Dann gerate ich in sein Blickfeld. Er guckt kurz in mein schmales Krankendossier. Theatralisch ruft er aus: »Warum bringt ihr mir nicht mal so einen vorbildlichen Kranken?«
Ich bin viel zu sehr mit Schwitzen und Zähneklappern beschäftigt, als mich geschmeichelt zu fühlen. Immerhin werde ich in ein Behandlungszimmer abgeschoben, dort allerdings vergessen. »Wie heißen Sie? Ihr Name? Machen Sie die Augen auf? Hören Sie mich?«, höre ich eine Schwester laut auf den polnischen Alkoholkranken einteufeln. Keine Reaktion. Sie gibt auf. Ich sehe die Füße des polnischen Alkoholkranken. Sie zucken.
Schön wie das Zittern der Füße eines Alkoholikers, rauscht mir ein leicht abgewandeltes Zitat vom Comte de Lautréamont durch den Kopf. Dann lasse ich die Rollos runter.
Jugendbanden
In der Umkleidekabine des Spreewaldbades treffe ich auf fünfzehn Halbstarke mit arabischem Migrationshintergrund und mit Oberwasser. Auf einem Haufen sind Pubertierende nie ein schöner Anblick, in diesem Fall ist die Sache besonders haarig, denn nach dem Prinzip »Gemeinsam sind wir unausstehlich« brüllen sie, was ihre Kehlen hergeben, was nicht wenig ist, und schlagen mit den flachen Händen rhythmisch auf die dünnen Pressspanzwischenwände der Umkleidekabinen. Kein Bademeister lässt sich blicken. Ich allein gegen eine halbnackte, randalierende Meute, die skandiert: »Tod den Juden! Tod den Juden!«
Schöne Scheiße. Ich tue so, als ob ich gar nicht da wäre, nichts höre und sehe schon gar nicht, was mir sogar gelingt, denn ich werde nicht belästigt, aber ich wünschte, mein alter Kumpel Eddy wäre hier. Ein Brocken von einem Mann. Nicht ganz so groß wie das Empire State Building, hätte er alle in eine Flasche gestopft und sie der Strömung eines reißenden Gebirgsflusses überlassen. Jedenfalls, wenn ich ihm gut zugeredet hätte.
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