„Ich beeile mich, hast du mir die Adresse vom Bürgerhaus?“
„Ja, das ist die ...“ Tut. Tut. Tut. Verbindung weg, Handy tot.
19:05 Uhr. Holger fährt mit dem Leichenwagen seines Onkels vor. Als ich auf dem Beifahrersitz Platz nehme, sehe ich, dass er ein Karnevalskostüm trägt. Was folgt, ist eine hoffnungslose Odyssee. Sämtliche Bürgerhäuser, die wir mit Hilfe des Navis anfahren, sind falsch. Je länger wir unterwegs sind, desto mehr gerate ich ins Schwitzen.
19:30 Uhr. Bürgerhaus Kalk.
20:05. Bürgerzentrum Deutz
20:27. Bürgerschaftshaus Bocklemünd
21:00. Showbeginn und wir stehen vor dem Bürgerzentrum Engelshof. Holger tippt auf dem Navi herum.
„Tja, jetzt gibt es nur noch das Bürgerhaus Stollwerck.“
„Das ist es“, brülle ich erleichtert und hämmere mit meinen Händen auf dem Armaturenbrett.
Nach 20 Minuten biegen wir in die Dreikönigenstraße ein.
Just in dem Augenblick, als das Navi den Satz „In drei Minuten haben Sie ihren Bestimmungsort erreicht“ beendet hat, flackern im Rückspiegel Blaulichter auf.
Ein Leichenwagen wird aus Pietätsgründen eigentlich nicht kontrolliert, aber wenn am Steuer Fred Feuerstein sitzt und mit Affenkaracho durch Köln flitzt, werden selbst altgediente Schutzmänner stutzig.
Holger hält am Bordstein, ich steige aus und renne los.
„Halt, stehen bleiben! Polizei! “, bellen die Beamten mir hinterher.
Werde von zwei Pfoten kläffend auf den Gehweg geworfen. Wusste nicht, dass Verkehrspolizisten Schutzhunde mitführen.
Bemerke den Dildo aus Arielles Schatzkammer in meiner Sakkotasche. Schalte ihn ein und halte ihn dem Köter vor die Schnauze. „Jetzt such’ das Stöckchen“, rufe ich und werfe das Spielzeug in ein Gebüsch auf der anderen Straßenseite. Der Hund schießt wie ein Pfeil über die Straße, um das pinke Stöckchen zu apportieren. Was heißt hier apportieren, er hat es adoptiert und ich sehe beim Losrennen, wie es die beiden Beamten nicht schaffen, ihm sein neues Spielzeug wieder abzunehmen.
21:40 Uhr. Ich komme außer Atem, aber erleichtert am Bürgerhaus an. Enttäuschte Gäste rauchen vor dem Eingang. Schuldbewusst und mit hängenden Schultern betrete ich den Saal. Jemand tippt mir auf die Schulter. Drehe mich um. Marc Elton, der Produzent, stiert mich wütend an. Er trägt rot. Brille, Sakko und Schuhe gehen eine optische Symbiose mit der Farbe seines Gesichts ein.
„Ha, Ben. Auch hier. Schöne Scheiße. Ohne Dirigent und Noten keine Show. Du hast Glück, dass sich die neue Freundin des Sponsors verspätet hat und eben erst angekommen ist.“
Ich könnte im Boden versinken. „Tut mir leid, ich ...“
„Papperlapapp, ich möchte nichts hören. Das ist ein Desaster.“
Ein massiger Mann Anfang 50 kommt im edlen Smoking auf uns zu. Marc zieht meinen Kopf unsanft zu seinem Mund. „Das ist der Baulöwe Roland Specht. Unser Sponsor. War unser Sponsor. Er ist stinksauer.“
„Sind Sie der Dirigent?“, lispelt mich der Unternehmer mit einer fipsigen Stimme an, die so gar nicht zu dem schwergewichtigen Restkörper passen will.
„Ja, das ist er!“, schallt es uns nasal vom Eingang entgegen. Helge Schneider erscheint im Saal.
„Der Schelm hat die Noten in der Philharmonie liegen lassen. Gestatten Schneider, ich hatte eben eine Show und dachte, bevor ich in mein Hotel hier um die Ecke gehe, bringe ich mal die Noten vorbei.“
Ein Stapel Orchesternoten fällt in meine Arme. Ich falle aus allen Wolken. Sponsor Specht gleich mit.
„Ui, Herr Schneider. Ich darf Ihnen sagen, dass ich ein richtig, richtig großer Bewunderer von Ihnen bin“, ziept der Baulöwe und möchte gleich ein Selfie.
Wir haben Glück, denn Helge hat gute Laune. Er holt sich ein kühles Kölsch und möchte sich nach der Musical-Show an den Flügel setzen. Für umsonst. Und so wird es nicht nur Musicalmelodien geben, sondern als Zugabe Helge-Hits gratis dazu.
In der Pause stürzt sich Marc begeistert auf mich.
„Stell dir vor, Specht ist sowas von begeistert, dass er die doppelte Summe rausrückt. Statt 200.000 Euro haben wir 400.000 Euro. Hahaha. Respekt Ben, das hast du brillant hinbekommen. Und weißt du was: Wir brauchen in dieser Branche Menschen, die auch mal auf Karneval verzichten können. Ich sage dem Aufsichtsrat, dass du nach „Hairspray“ unser erster Kapellmeister wirst.“
Leihe mir ein Handy und rufe Esther an. Sie fällt aus allen Wolken. Nicht wegen der frohen Botschaft, sondern weil es schon so spät ist.
Gehe zurück auf die Bühne. Die Pause ist gleich vorbei. Ich öffne den Bühnenvorhang einen Spalt und spicke in den Saal. Roland Specht, unser großzügiger Sponsor, turtelt mit seiner Freundin, die zum zweiten Teil erschienen ist. Sie ist locker zwei Köpfe größer als ihr Freund. Als sie den Mund aufmacht, höre ich sofort, dass ihre Stimme eine Oktave tiefer als die ihres Baulöwen ist. Helge Schneider tritt zu dem Paar.
„Oh, was für eine schöne Überraschung. Da hat uns der Dirigent Helge Schneider hergezaubert“, raunt sie und streckt Helge grazil ihren Handrücken entgegen, den der Humorist sanft ergreift und nach einem flüchtig angedeuteten Kuss wieder freigibt. Es riecht bis hierher nach Fisch. Ich fasse es nicht. Tatsache. Transen-Triton. Der Baulöwe ist mit Gerda zusammen. Der Meerjungmann von heute Mittag. Ohne rote Perücke zwar, aber Stimme und Duft stimmen überein. Der Rosettenrochen. Prinz Dildo, Herrscher der geilen Gezeiten. Ich zwicke mich in den Arm, um nicht lauthals loskrähen zu müssen.
„Wie lange sind Roland Specht und seine Freundin Gerda zusammen?“, frage ich Marc, der eben von der Seitentreppe kommend die Bühne betritt.
„Erst zwei Tage, geht uns aber nichts an“, antwortet er, öffnet den Vorhang und wendet sich den Gästen zu. „Hahaha. Also, alle einmal zuhören. Wie angekündigt als große Zugabe eine große Überraschung: Eben war er noch in der Philharmonie, jetzt ist er auf unserer Bühne. Begrüßen Sie bitte Helge Schneider!“
Helge schreitet winkend auf die Bühne, nimmt umständlich „am Geflügel“ Platz, greift in die Tasten und klimpert sein unverwüstliches „Katzeklo“. In meinem Kopf höre ich ihn schon zur selben Melodie singen: „Fischpopo, Fischpopo, ja das macht die Gerda froh ...“
Fest steht, unser Sponsor mag Überraschungen und wirkt unendlich glücklich. Und das wird er auch bleiben wollen. Ob er heute Nacht immer noch so begeistert sein wird, wenn er endlich feststellen darf, dass seine Gerda eigentlich ein Gerd ist, sei dahingestellt. Obwohl. Wie der große Friedrich Nietzsche schon sagte: Wer ein Warum hat, dem ist kein Wie zu schwer.
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