Serrig. Das ausladende trierische Einhaus macht sich als Gebäudetyp breit. Bei der fümmenden Luxemburgerin kommt Unruhe auf, Freude bei mir. Auf der Gegenstrecke der Interregio. Schreckliches Ding, dieser Zug stand mir nie, den pastellfarbenen Interregiowaggons mangelte es erheblich an Würde. Stadt-Express ist Klein-Klein, wie man früher im Fußball sagte, man fährt geradewegs durch die kalte Küche. Kein uninteressanter Name übrigens: Express scheint übertrieben, außer man orientiert sich an den Paketlaufzeiten der Deutschen Post. Auch das Städteaufkommen ist übersichtlich. Trotz des üppigen Frühlingsgeblühs ist das Wetter draußen schwer einzuschätzen. Manche kommen im T-Shirt daher, manche in Sweats, auch Mäntel werden gesichtet und Windjacken. Drinnen sieht man gelegentlich Menschen schwitzen, mitunter ziehen sie eine Duftspur hinter sich her, um es mal freundlich auszudrücken. In Nordkalifornien verkehrt zwischen Fort Bragg und Willits der sog. Skunk-Train, alles eine Frage der Vermarktung. Im ICE wird das nicht geduldet, da hat es hygienisch zuzugehen, angestrebt wird der abwaschbare Passagier, der seine Schuhe anbehält. Je weiter wir nach Norden fahren, desto südlicher wird die Landschaft, Triers Werbekonzept vom „südlichsten Norden“ fällt mir ein, wenn es nicht sogar der „nördlichste Süden“ war – ja, wohl doch eher letzteres. So lieblich wie die früheren Tropfen, die aus den Trauben gewonnen werden. Hier zählen keine Ortsnamen, sondern Weinlagen.
In schwindelerregender Höhe, ganz oben am Berg, baggert ein Bagger an neuen Hanglagen herum. Dann das Kontrastprogramm: Konz. Nullstadt. Straßendorf. Ein gelbes Warndreieck mit roter Lok, vor der eine Person in Fallbewegung abgebildet ist. Was soll das sein? Warnung vor Selbstmördern? Oder wird lediglich die optimale Absprungposition für selbige markiert? Wäre bei diesem Kaff nicht unpassend. Bei Konz kommt tatsächlich der Schaffner vorbei, Typ dicklicher Onkel. Bisher habe ich ihn nur von hinten gesehen und trotzdem unter Schnurrbartverdacht gestellt. Er gleicht Gerhard Klarner von den Spätnachrichten im ZDF der 70er und 80er Jahre aufs Haar, dem ich auf diesem Weg ein verspätetes Denkmal setzen möchte. Klaglos hat er über Jahre hinweg den eher freudlosen Mitternachtsdienst versehen und dabei nie den Eindruck erweckt, als hätte er ein Problem damit, im Gegenteil. Allerdings war ich auch zu keinem Zeitpunkt davon überzeugt, er würde seine Meldungen im Zustand vollständiger Nüchternheit verlesen. Zugestiegen? Ich? Tschuldigung, wie unser Exkanzler sagen würde, ich sitze hier seit 44 Haltestellen! Nix da! Ich lächele souverän. Morgen werde ich die Karte zurückgeben. In Trier, droht der Schaffner dafür wenig später über die Hausanlage, könnte ich noch den Interregio nach Bremerhaven-Lehe erreichen. Lehe? Wehe! Die Saar hat sich soeben in die Mosel verfügt und selbige entsprechend verbreitert. Wir passieren das Uranus Gastronomieschiff mit der Bullaugentaverne. Um Himmels Willen, Riverboatshuffle und Partykeller in einem.
1980 bin ich von Trier weggezogen, weil es für einen Dauerreisenden einfach zu weit vom Schuss liegt. Trotzdem kommen bei jedem Besuch Heimatgefühle auf, selbst wenn in der Stadt kaum ein Stein auf dem anderen geblieben ist. Nur das römische Zeugs haben sie unbehelligt gelassen, allerdings nicht immer. Sie haben einfach zuviel davon. Es gibt, wenn auch spärlich, immer noch alte Bande, die Trierer sind treu, wenn sie sich einmal dazu entschlossen haben, einen zu mögen. Viele sind natürlich weggezogen, aufgestiegen, heruntergekommen, verschollen oder haben ihre leibliche Hülle verlassen.
Der Stadt-Express war ein banaler Zug. Der vollständigen Abwesenheit von Glorie, Glitz und Glamour wohnt allerdings häufig etwas Erfrischendes inne, jedenfalls wenn sie einen nicht unerwartet heimsucht. Meine persönliche Beziehung hat sich verändert, ich kenne jetzt eine Menge kleiner Geheimnisse am Rande. Frühlingshalber präsentiert sich die Strecke als eine langgezogene Kleingartenanlage – genau genommen zieht sich das über alle 45 Stationen hinweg, ob Baden-Württemberg, Saarland oder Rheinland-Pfalz, Schrebergärtner steigen ein und aus und Söhne und Töchter von Schrebergärtnern, die diese unvergleichliche Mischung aus Saumseligkeit und Hemdsärmeligkeit schaffen, die auch der Stadt-Express Nr. SE 23034 atmet, der jetzt mit nur acht Minuten Verspätung in Trier einläuft. Acht Minuten waren damals eine Menge, heute ist das kaum der Rede wert.
Ansagencharts
Manchmal ist der Zug, der heute überraschend pünktlich zu verkehren scheint, ledglich der von gestern. Die Züge halten meist nach der vorgesehenen Zeit – womit sich glücklicherweise sämtliche Wortspiele zum Thema Nachhaltigkeit erschöpfen. Für manche Panne entschädigt uns die Bahn mit einem nie versiegenden Quell von Erklärungen, Durchsagen, Dramoletten, ja: Kurzhörspielen bisweilen, von denen einige, nicht mal wenige nun in zwangloser Reihenfolge zu finden sind, sprachliche Kleinode, die dem Autor zu Gehör kamen bzw. ihm von absolut verlässlichen Gewährsleuten zugetragen wurden, für Sie heute in der kommentierten Fassung.
„Ihr Anschlusszug konnte leider nicht warten.“ (Ach was – das klingt, als würden die Züge das persönlich entscheiden.)
„Ihr Anschluss nach Basel kann offiziell nicht warten!“
„In diesem Zug giltet das Schönes-Wochenende-Ticket nicht.“
„Bitte achten Sie darauf, einen Fahrschein mit sich zu führen, wenn Sie sich im Zug bewegen.“ (Bei wirklich jeder Bewegung?)
„Unser Zug wird in Kürze abfahren. Wir bitten alle, die sich auf dem Bahnsteig befinden, einzusteigen!“ (Moment – das war eine Ansage im Zug!)
„Meine Damen und Herren, wir bitten Sie um Ihr Verständnis, dass wir wegen des in Karlsruhe durchgeführten Personalwechsels noch einmal einen Blick in Ihre Reisedokumente vornehmen möchten.“ (Frisch zurück vom Höflichkeits-Crashkurs.)
„Wegen eines vorausfahrenden S-Bahn-Zuges ist die Strecke ein bisschen blockiert!“ (Alles eine Frage der Dosis.)
„Wir werden circa planmäßig eintreffen.“
„In Rottweil erreichen Sie alle vorhergesehenen Anschlusszüge.“
Analog dazu: „Dieser Halt ist im Plan ... äh: eingeplant.“
Bzw.: „Liebe Fahrgäste, nicht aussteigen, die Weiterfahrt des Zuges geht gleich ... weiter.“
Weiter im Takt: Überhaupt ein Klassiker: Wenn der ICE mitten in der Pampa hält, inmitten von Feldern, Äckern, Wäldern, Wiesen oder Brachlandschaften, ertönt unweigerlich die Stimme im Lautsprecher: „Meine Damen und Herren, das ist noch nicht der Bahnhof Ulm, bitte die Türen geschlossen halten.“ Getoppt wurde das einmal mit: „Unser nächster planmäßiger Halt ist in wenigen Minuten der Hauptbahnhof Hanau.“ Der Zug fuhr noch eine Weile, bremste ab, stand. Stand. Stand. Rechts Wiese, links Wiese. Pause. Lange Pause. Durchsage: „Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben soeben den Hauptbahnhof Hanau ... verpasst!“
Die Ansagen des Zugpersonals sind grundsätzlich mit Vorsicht zu genießen. Häufig hört man: Der Anschluss wird leider nicht erreicht. Häufiger aber stehen diese Züge noch am Gleis. Generell ist die Statistik der Gegner – deshalb wird bei den Transportleitungen so oft entschieden, Anschlusszüge losfahren zu lassen, damit wenigstens die im Zeitplan bleiben.
Kommen wir jetzt zum gastronomischen Service, immer wieder für eine Überraschung gut, auch wenn nicht mehr die Mitropa (oder Misanthropa?) für das leibliche Wohl zuständig ist.
„In München ist die Minibar zugestiegen.“ (Das tönt sportlich. Hüpft aus dem Stand vom Bahnsteig in den Zug. Die Bahn sollte in den mittlerweile geräuschlos daher kommenden Servicewägelchen Beruhigungspillen ins Sortiment aufnehmen für all die, deren Anschlusszug mal wieder leider nicht warten konnte.)
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