Das ist natürlich Wasser auf die Mühlen der Kreationisten, die sich in ihrer Behauptung der Unvereinbarkeit von Evolutionstheorie und religiösem Glauben bestätigt sehen. In einem veröffentlichten Brief an Dawkins bedankt sich denn auch der amerikanische Kreationist William Demski: Dawkins sei eines der größten Geschenke Gottes an die Intelligent-Design-Bewegung. Viele Darwinisten distanzieren sich. McGrath bemerkt: „Einer der größten Schäden, die Dawkins den Naturwissenschaften zugefügt hat, besteht darin, sie als schonungslos und unerbittlich atheistisch hinzustellen. Das ist völlig falsch. Dennoch hat Dawkins’ Kreuzzug dazu geführt, dass ein großer Teil des konservativen Protestantismus Nordamerikas diese verfremdete Auffassung übernimmt“ und der Wissenschaft feindlich gesonnen ist (59). McGrath fügt hinzu: „Vielleicht ist es an der Zeit, dass die gesamte Fachwelt gegen den Missbrauch ihrer Ideen im Dienste eines atheistischen Fundamentalismus protestiert.“ (63)
2) In Deutschland betreibt der Kasseler Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera, von dem eine weit verbreitete Einführung in die Evolutionsbiologie stammt (Kutschera 2001), in seinem Buch Streitpunkt Evolution. Darwinismus und Intelligentes Design (2004) seine persönliche Abrechnung mit dem Kreationismus. Aber zugleich macht er daraus eine vehemente Kampagne gegen den christlichen Glauben überhaupt, dessen Inhalte er (aus evangelikalen Kinderbibeln und kreationistischen Elaboraten entnimmt und) durchweg verzerrt darstellt. Für ihn „ist offensichtlich, dass der biblische Schöpfungsglaube nur eine Form des Kreationismus darstellt“ (Kutschera 2004, 115; vgl. 110 f; 116 f; 192 u. ö.). Mit Recht erwartet Kutschera, dass man sich über die Erkenntnisse der Evolutionsbiologie bei seriösen Naturwissenschaftlern informiert; er selbst aber macht sich nicht die geringste Mühe, auch nur einen seriösen Bibelwissenschaftler oder einen anerkannten heutigen Theologen zu befragen, wie denn die biblischen Aussagen und der Schöpfungsglaube zu verstehen seien. Dabei hätte ihm ein Wort von Carl Friedrich von Weizsäcker, das er (256 f) zitiert, zu denken geben können: „Die Bibel kann man entweder Ernst nehmen oder wörtlich.“ Wiederum mit Recht besteht Kutschera gegen die Kreationisten darauf, dass die Wissensebene und die Glaubensebene zu unterscheiden sind und nicht vermischt werden dürfen (51; 165, 180, 200 f; 294); er selbst aber unterlässt es nicht, Naturwissenschaft und Glaube zu vermischen. So kritisiert er z. B. an der Bibel: „Beschreibungen molekularer Prozesse und Strukturen sind in den niedergeschriebenen ,Worten des christlichen Gottes‘ nicht zu finden“ (286); und er bemängelt, dass die Anerkennung der Evolution durch die katholische Kirche „keineswegs eine Übernahme der nüchtern-rationalen Denkweise des Naturwissenschaftlers mit sich gebracht hat“ (294), sie vielmehr immer noch „einen von Gott initiierten und begleiteten Evolutionsprozess postuliert“ (117). 5Hier wird der naturwissenschaftliche Erklärungsanspruch in völlig unberechtigter Weise zur alleinigen und Totaldeutung der Wirklichkeit ausgeweitet. 6
Kutscheras Streit-Buch gipfelt in folgendem Schlussabschnitt (297): „Diese Betrachtungen zeigen, dass der konsequent verfolgte (fundamentalistische) christliche Glaube mit dem evolutionären (naturalistischen) Denken unvereinbar ist. Obwohl manche Evolutionsbiologen, wie z. B. der große Theoretiker T. Dobzhansky, liberale Christen waren, ist die Mehrheit der Naturforscher ungläubig: Nahezu 95 % der bedeutenden Biowissenschaftler der USA sind reine Verstandesmenschen (Atheisten), für die eine mystisch-magische supranaturalistische ,Glaubenswelt‘ entbehrlich ist.“
Nun, abgesehen von manchem, was hier zu korrigieren wäre: Wer „Wissenschaft“ und „Verstand“ derart kurzschlüssig gleichsetzt mit seiner eigenen Weltsicht „Atheismus“, begeht den gleichen methodischen Fehler, den er den Kreationisten und ID-Vertretern vorwirft. Neodarwinisten wie Dawkins und Kutschera behaupten mit einer überheblichen Sicherheit einen Atheismus, der sich aus empirisch-naturwissenschaftlicher Forschung ebenso wenig ergibt wie die spiegelbildlich umgekehrte Sicherheit der ID-Vertreter.
Ein wenig allerdings scheint Kutschera sich neuerdings zu bewegen, wenn er (2007b, 362) schreibt: „... wir Evolutionsforscher (können) lediglich die wissenschaftlichen Fakten präsentieren. Wo moderne Christen dann ihre ,Glaubenswelt‘ unterbringen, ist ... nicht unser Problem.“ 7
Gewiss, Naturwissenschaftler sind nicht auf eine Auseinandersetzung mit umfassenden (philosophischen und religiösen) Deutungsmodellen angewiesen, solange sie bei ihrer eigentümlichen Aufgabe bleiben: der empirischen Forschung. Wenn sie sich aber in kulturelle Debatten hineinbegeben, bei denen es – über die naturwissenschaftliche Arbeits- und Erkenntnisebene hinaus – um ein umfassendes Verstehen der Welt, des Lebens, des Menschen geht, dann muss man von ihnen schon erwarten, dass sie sich mit den vorhandenen großen und respektablen Wirklichkeitsdeutungen ernsthaft auseinandersetzen. Hier aber demonstrieren manche von ihnen eine bodenlose Desinformiertheit und eine durch nichts begründete Arroganz.
Kurz muss hier auch die Giordano-Bruno-Stiftung zur „Förderung des evolutionären Humanismus“ erwähnt werden, in deren Beirat namhafte Atheisten wie Hans Albert, Norbert Hoerster, Bernulf Kanitscheider, Wolf Singer, Eckart Volandt, Ulrich Kutschera oder Franz Wuketits sitzen. Vorstandssprecher ist der Journalist Michael Schmidt-Salomon. Die von ihm verfasste Homepage der Vereinigung („Manifest des Evolutionären Humanismus. Plädoyer für eine zeitgemäße Leitkultur“) erklärt: „Ziel der Stiftung ist es, die Grundzüge eines naturalistischen Weltbildes sowie einer säkularen, evolutionär-humanistischen Ethik/Politik zu entwickeln“ und in der Öffentlichkeit, in einem „Werte-Unterricht für alle Schüler“, bei der „Besetzung von Rundfunk-, Ethikräten etc.“ zur Geltung zu bringen. Der Stiftung geht es nicht nur um Verteidigung von Evolutionsdenken, sondern um die Durchsetzung eines bestimmten partikularen Weltbildes, nämlich des atheistischen Naturalismus, der ausdrücklich dem biblisch-christlichen Weltbild den Platz in unserer Kultur streitig machen will. Das wird überdeutlich in den kulturkämpferischen Entgleisungen gegen religiösen Glauben, die sich Schmidt-Salomon auf der Homepage leistet. Rücksichtnahme auf religiöse Gefühle hält er für falsch: „Wer auf ,religiöse Gefühle‘ Rücksicht nimmt, der stellt damit weltanschauliche Borniertheit unter ,Denkmal-Schutz‘.“ Wer hier wohl borniert ist? – Von Schmidt-Salomon stammt übrigens auch ein Bilderbuch „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel“, das bereits Sechsjährige in „amüsanter Weise über den Gotteswahn“ aufklären will, indem es die drei monotheistischen Religionen allesamt als bedrohlich und Angst einflößend darstellt und lächerlich macht.
Im Sinne der allgemeinen Stoßrichtung der Stiftung schreibt ihr Beiratsmitglied Thomas Junker, Mitstreiter von Kutschera: „Als wissenschaftliche Theorie gewährt sie [die Evolutionstheorie] der religiösen Wundergläubigkeit und damit [!] dem christlichen Gott keinen Raum. Er ist schlichtweg überflüssig, ein phantastischer Fremdkörper ohne Relevanz.“ (T. Junker 2007, 81) Für Junker ist offenbar Darwinismus unvereinbar mit Glauben an Gott, weil er Gott nur als den begrenzten Lückenbüßer zu denken vermag, der noch vorhandene Lücken in evolutionstheoretischer Erklärung schließen soll und mit deren Verschwinden natürlich überflüssig wird.
c) Kein Atheist: Wie Darwin zu Religion und Schöpfungsglauben stand
Charles Darwin (1809 – 1882) war fasziniert von der Vielfalt der Lebewesen auf unserer Erde. Und er war ein großer Naturforscher, der eine riesige Fülle von Beobachtungsmaterial gesammelt und viele Bücher dazu geschrieben hat. Weltberühmt aber wurde er durch die Theorie, die er in dem Buch Über die Entstehung der Arten (1859) darlegt und begründet: Die Deszendenztheorie oder Abstammungslehre (Darwin sprach nicht von Evolution, sondern von Transmutation, Abwandlung, Abstammung u. ä.). Den Kerngedanken dieser Theorie kann man kurz so zusammenfassen:
Читать дальше