Dietrich Bonhoeffer - Schöpfung und Fall

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In «Schöpfung und Fall» befragt Dietrich Bonhoeffer die Bibel nach Antworten für die drängenden Probleme seiner Zeit. Der Text entstand aus einer Vorlesung, die Bonhoeffer im Wintersemester 1932/33 in Berlin hielt. Er spricht die Machtergreifung der Nationalsozialisten nicht direkt an, doch ist das Thema im Hintergrund deutlich spürbar. Mit allgemein verständlichen Worten diskutiert Dietrich Bonhoeffer die zentrale Rolle Christi für die Bibelauslegung. Damit prägte er die Richtung der gesamten Bekennenden Kirche. «Schöpfung und Fall» wurde gut aufgenommen. Schon 1937 erschien eine zweite, unveränderte Auflage.

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Inhalt

Titelseite Dietrich Bonhoeffer Schöpfung und Fall Theologische Auslegung von Genesis 1 bis 3

Vorwort Vorwort Diese Vorlesung ist im Wintersemester 1932/33 in der Universität Berlin gehalten worden und wird auf Bitten aus dem Zuhörerkreis veröffentlicht. Der Text schließt sich so eng, wie es zulässig erschien, an Luther an; die Abweichungen sind im Anschluss an Kautzsch übernommen.

Einleitung

Das Wort (1,3)

Der Blick Gottes (1,4a)

Der Tag (1,4b-5)

Das Starre (1,6-10.14-19)

Das Lebendige (1,11-13.20-25)

Das Bild Gottes auf Erden (1,26f)

Segen und Vollendung (1,28-31; 2,1-4a)

Genesis 2

Der Mensch aus Erde und Geist (2,7)

Die Mitte der Erde (2,8-17)

Die Kraft des anderen (2,18-25)

Sicut deus (3,4-5)

Der Fall (3,6)

Das Neue (3,7)

Die Flucht (3,8-13)

Fluch und Verheißung (3,14-19)

Die Mutter alles Lebendigen (3,20)

Das neue Handeln Gottes (3,21)

Der Lebensbaum (3,22)

Impressum

Dietrich Bonhoeffer

Schöpfung und Fall

Theologische Auslegung von Genesis 1 bis 3

Vorwort

Diese Vorlesung ist im Wintersemester 1932/33 in der Universität Berlin gehalten worden und wird auf Bitten aus dem Zuhörerkreis veröffentlicht. Der Text schließt sich so eng, wie es zulässig erschien, an Luther an; die Abweichungen sind im Anschluss an Kautzsch übernommen.

Einleitung

Die Kirche Christi legt Zeugnis ab vom Ende aller Dinge. Sie lebt vom Ende her, sie denkt vom Ende her, sie handelt vom Ende her, sie verkündigt vom Ende her. „Gedenket nicht an das Alte und achtet nicht auf das Vorige! Denn siehe, ich will ein Neues machen“ Jes 43,18-19. Das Neue ist das wirkliche Ende des Alten; das Neue aber ist Christus. Christus ist das Ende des Alten. Nicht Fortführung, nicht Zielpunkt, Vollendung auf der Linie des Alten, sondern Ende und darum das Neue. Die Kirche redet in der alten Welt von der neuen Welt. Und weil ihr die neue Welt gewisser ist als alles andere, darum erkennt sie die alte Welt allein aus dem Lichte der neuen Welt. Die alte Welt kann an der Kirche keinen Gefallen finden, weil diese von ihrem Ende redet, als sei es schon geschehen, weil sie spricht, als sei die Welt schon gerichtet. Die alte Welt lässt sich nicht gern totsagen. Darüber hat sich die Kirche nie gewundert. Auch das wundert sie nicht, dass sich bei ihr immer wieder solche einstellen, die die Gedanken der alten Welt denken; und wer dächte diese Gedanken gar nicht mehr? Aber das andere muss die Kirche freilich in hellen Aufruhr bringen, dass diese Kinder der vergangenen Welt die Kirche, das Neue, für sich in Anspruch nehmen wollen. Sie wollen das Neue und kennen nur das Alte. Und sie verleugnen so Christus, den Herrn. Allein die Kirche, die vom Ende weiß, weiß auch vom Anfang, weiß dass zwischen Anfang und Jetzt derselbe Bruch liegt wie zwischen Jetzt und dem Ende, dass Anfang und Jetzt sich verhalten wie das Leben zum Tod, das Neue zum Alten. Die Kirche sieht darum den Anfang nur noch im Ende, vom Ende her. Sie sieht die Schöpfung von Christus her; besser, sie glaubt in der gefallenen, alten Welt an die neue Schöpfungswelt des Anfangs und des Endes, weil sie an Christus glaubt und sonst an nichts.

Das alles tut die Kirche, weil sie gegründet ist auf dem Zeugnis der Heiligen Schrift. Die Kirche der Heiligen Schrift – und es gibt keine andere „Kirche“ – lebt vom Ende her. Darum liest sie die ganze Heilige Schrift als das Buch vom Ende, vom Neuen, von Christus. Was kann die Heilige Schrift, auf der die Kirche Christi steht, dort wo sie von Schöpfung, vom Anfang redet, anderes sagen, als dass allein von Christus her wir wissen können, was der Anfang sei. Die Bibel ist doch eben nichts als das Buch der Kirche. Sie ist dies ihrem Wesen nach oder sie ist nichts. Darum will sie ganz vom Ende her gelesen und verkündigt sein. Darum ist die Schöpfungsgeschichte in der Kirche allein von Christus her zu lesen und erst dann auf ihn hin; auf Christus hin kann man ja nur lesen, wenn man weiß, dass Christus der Anfang, das Neue, das Ende unserer ganzen Welt ist. Theologische Auslegung nimmt die Bibel als das Buch der Kirche und legt es als solches aus. Ihre Methode ist diese ihre Voraussetzung, ist fortwährendes Zurücklaufen vom Text zu dieser Voraussetzung. Das ist die Sachlichkeit der Methode der theologischen Auslegung. Und in dieser Sachlichkeit allein ist ihr Anspruch auf die Wissenschaftlichkeit begründet. Wenn die Genesis „Jahwe“ sagt, so „meint“ sie historisch-psychologisch gesehen nichts als Jahwe, so redet sie aber theologisch, d. h. von der Kirche her gesehen, von Gott. Denn dass Gott der Eine Gott ist in der ganzen Heiligen Schrift, mit diesem Glauben steht und fällt die Kirche und die theologische Wissenschaft.

Genesis 1

Der Anfang (1,1-2)

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, und die Erde war wüst und leer; und es war finster auf der Tiefe. Und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.“

An dem Ort, an dem die leidenschaftlichsten Wellen unseres Denkens branden, in sich selbst zurückgeworfen werden und ihre Kraft verschäumen, setzt die Bibel ein. Kaum ist uns ihr erstes Wort für einen Augenblick sichtbar geworden, da rasen schon wieder die Wogen heran und umhüllen es mit Kronen von Schaum. Dass die Bibel vom Anfang redet, das bringt die Welt, das bringt uns auf. Denn wir können nicht vom Anfang reden, dort wo der Anfang anfängt, hört unser Denken auf, ist es am Ende. Und doch ist es die innerste Leidenschaft unseres Denkens, es ist das, was jeder echten Frage letzten Endes Existenz verleiht, dass wir nach dem Anfang fragen wollen. Wir wissen, dass wir dauernd nach dem Anfang fragen müssen und dass wir doch nie nach ihm fragen können. Warum nicht? Weil wir den Anfang nur als Unendliches, also gerade als das Anfanglose denken können. Weil der Anfang die Freiheit ist und wir die Freiheit immer nur in der Notwendigkeit denken können, also als das eine unter anderem, aber nie als das Eine schlechthin vor allem anderen. Fragen wir, warum dies so sei, dass wir immer vom Anfang her und in Bezug auf ihn hin denken und ihn doch nie denken, ja nicht einmal erfragen können, so ist dieses „Warum?“ wieder nur der Ausdruck für eine Reihe, die ins Endlose zurückgetrieben werden könnte und doch den Anfang nicht erreichte. Das Denken kann sein eigenes letztes „Warum“ nie beantworten, weil auch diese Antwort wieder ein „Warum“ gebären würde. Das „Warum“ ist vielmehr der Ausdruck für das anfanglose Denken κατ᾽ ἐξοχήν . Unser Denken, d. h. das Denken derer, die zu Christus müssen, um von Gott zu wissen, der gefallenen Menschen, ist anfanglos, weil es ein Ring ist. Wir denken im Ring. Wir fühlen und wollen aber auch im Ring. Wir existieren im Ring. Es besteht die Möglichkeit zu sagen, es sei dann eben überall Anfang; dem steht aber ebenso legitim der andere Satz gegenüber, es sei eben darum überhaupt kein Anfang. Das Entscheidende aber ist dies, dass das Denken diesen Ring für das Unendliche, Anfängliche selbst hält und sich doch damit in einen circulus vitiosus verwickelt. Denn dort, wo es sich auf sich selbst als das Anfängliche richtet, setzt es sich selbst als Objekt, als Gegenstand seiner selbst, zieht sich also selbst immer wieder hinter diesen Gegenstand zurück, bzw. ist jeweils vor dem Gegenstand, den es setzt. Es ist ihm also unmöglich, diese letzte Aussage über den Anfang zu machen. Am Anfang zerreibt sich das Denken. Weil das Denken auf den Anfang hin will und ihn doch nie wollen kann, darum ist alles Denken ein sich selbst Zerreiben, ein An-sich-selbst-Scheitern, Zerbrechen, Zergehen angesichts des Anfangs, den es will und nicht wollen kann. Darum ist die hegelsche Frage: „Wie gewinnen wir einen Anfang in der Philosophie?“ nur durch einen Gewaltstreich der Inthronisierung der Vernunft an Gottes statt zu beantworten. Darum ist kritische Philosophie die systematische Verzweiflung an ihrem eigenen, an jedem Anfang. Ob sie stolz auf das verzichtet, was sie nicht vermag oder ob ihre Resignation zu ihrer völligen Destruktion führt, es ist im Grund derselbe Hass des Menschen gegen den Anfang, den er nicht kennt. Der Mensch lebt nicht mehr im Anfang, sondern er hat den Anfang verloren – nun findet er sich vor in der Mitte, weder um das Ende noch um den Anfang wissend, und doch dies wissend, dass er in der Mitte ist, dass er also vom Anfang herkommt und aufs Ende hinmuss. Er sieht sein Leben bestimmt durch jenes beides, von dem er nur weiß, dass er es nicht kennt. Das Tier weiß nicht um Anfang und Ende. Darum kennt das Tier keinen Hass und keinen Stolz. Der Mensch, der sich seiner eigenen Bestimmung gänzlich beraubt weiß, weil er vom Anfang her und zum Ende hin ist, ohne zu wissen, was das heißt, hasst den Anfang und ist stolz gegen ihn.

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