Am Ende der Stunde, er hatte seine Sachen schon zusammengepackt und unter dem Arm, sagte er noch ganz ruhig: „Sie brauchen nicht zu meinen, dass Sie das jetzt voll verstanden hätten, dahinter steht das göttliche ,Es werde‘.“ Es war das einzige Mal, dass er durchblicken ließ, wo er selber stand. Für manchen von uns war das ein Bildungserlebnis. – Ein paar Jahre zuvor hatte unser damaliger Religionslehrer, der dann an die PH wegberufen wurde, uns in die geschichtlich-theologische Sicht der Bibel und ihrer Schöpfungstexte eingeführt und sie mit heutiger Erfahrung so überzeugend und eindrucksvoll vermittelt, dass beides nicht in zwei unverbundene Welten auseinanderfiel. – Mittlerweile hat sich meine Sicht der Dinge erheblich erweitert und vertieft, nicht allein durch Studium und Lehre der Theologie, sondern auch durch ein mehr als zwanzig Jahre andauerndes Gespräch mit Physikern, Biologen, Philosophen und Theologen in einer interdisziplinären Arbeitsgruppe an der Frankfurter Goethe-Universität, die ich bis Ende 2005 geleitet habe. – Der Prozess meines Nachdenkens geht weiter, herausgefordert durch immer neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse und religiös-theologische Impulse.
In diesem Buch möchte ich eine Zwischenbilanz vorlegen. Ich möchte zur Aufklärung, zur Versachlichung, zu einer nüchternen Betrachtung und zum Gespräch beitragen. Deshalb setze ich auf Information und auf das Argument. Es wird nichts vorausgesetzt, was nicht hinterfragt werden dürfte.
Ich werde einerseits in Auseinandersetzung mit den Kreationisten den originären Sinn der Schöpfungstexte am Anfang der Bibel herausarbeiten, andererseits in Auseinandersetzung mit atheistischen Evolutionisten die Defizite eines harten, weltanschaulichen Naturalismus aufzeigen, eine Schichtentheorie der Wirklichkeit entwickeln und deutlich machen, inwiefern naturwissenschaftliche Erkenntnisse offen sind für unterschiedliche Deutungen und weder zu Atheismus noch zu Gottesglauben zwingen, wobei Letzterer aber gute Gründe für sich hat. Dann werde ich – unter Bezugnahme auf die kosmische und die biologische Evolution und auf die damit gegebenen Probleme – den recht verstandenen Schöpfungsgedanken begründen und die entscheidenden Grundzüge einer Schöpfungstheologie darstellen. Schließlich lege ich dar, dass der Schöpfungsglaube – mit der Annahme Gottes und der Einbeziehung des existenziell sinndeutenden Menschen – einen erweiterten Sinnhorizont auftut, in welchem sich die Evolution, ohne ihre naturwissenschaftlich geltenden Gesetzmäßigkeiten zu verlieren, in einem neuen Licht darstellt. Es geht dann nicht so sehr darum, wie man den Schöpfungsglauben in der Evolutionstheorie „unterbringen“ könnte, als vielmehr umgekehrt darum, den Schöpfungsvorgang als das Grundlegende und Umfassende in den Blick zu bringen, in dessen Rahmen die Evolution ihren unverzichtbaren Platz hat. So können sowohl die Anschlussfähigkeit des Schöpfungsglaubens an die Erkenntnisse der Naturwissenschaften und der Evolutionstheorie als auch sein Überschuss über diese sichtbar werden.
Ich danke dem Bielefelder Physiker Reinhart Kögerler für anregende Gespräche, dem Frankfurter Biologen Stefan Peters für hilfreiche Hinweise, meiner Frau Heidrun als meiner ersten Leserin für ihre kritischen Rückfragen, sowie Herrn Dr. Berthold Weckmann und Herrn Dr. Bruno Kern für die verlegerische Betreuung.
Frankfurt/M. und Werther/Westf., im Februar 2009
Hans Kessler
Einleitung
1. Zu Fragestellung und Aufgabe
Der Glaube an einen Schöpfer und das Verständnis der Welt als Schöpfung (der Dinge, Lebewesen und Menschen als Geschöpfe) sind grundlegend für Bibel und Christentum. Alles baut darauf auf.
Sind dieser Glaube und dieses Verständnis nicht mehr haltbar oder mit der Vernunft nicht mehr vollziehbar, so rutscht das Fundament des Christlichen weg. Wie soll man dann noch an ein Heil von Gott her glauben, an ein göttliches Wirken, an Versöhnung und Erlösung, an Rettung auch der Toten, an eine Gerechtigkeit und an Vollendung, wenn man redlich keine Instanz mehr annehmen kann, die das Ganze der Welt und unseres Daseins begründet, die Ur-Grund, Halt und Ziel von allem ist? Mit schlechtem Gewissen weiterglauben, schizophren in zwei Welten leben, die Fragen einfach wegschieben und ausblenden: Das ist auf Dauer nicht durchzuhalten. – Ein missverstandener und nicht mehr mit unserem heutigen Naturwissen vermittelbarer Gottes- und Schöpfungsglaube ist eine der Hauptursachen für die schwindende Akzeptanz der christlichen Botschaft, für Verunsicherung, für neuen Atheismus oder auch für die Suche nach scheinbar plausibleren religiösen Alternativen.
Denn genau in diesem Grundlegenden, dem Gottes- und Schöpfungsglauben, gibt es massive Missverständnisse, die alles verstellen, verfälschen und blockieren. Missverständnisse einerseits bei ganz normalen Gläubigen und insbesondere bei religiösen Fundamentalisten (Kreationisten), die in der Evolutionslehre einen Widerspruch und eine Konkurrenz zur biblischen Schöpfungsgeschichte, wie sie diese verstehen, sehen. Missverständnisse andererseits bei anti-religiösen szientistischen 1Fundamentalisten (fanatisch-atheistischen Naturalisten), welche die Schöpfungsvorstellung der Kreationisten gleichsetzen mit dem authentischen biblisch-christlichen Schöpfungsglauben, den sie dann ebenfalls – nur mit umgekehrter Stoßrichtung – für unvereinbar mit der Evolutionstheorie halten.
Kreationismus und atheistischer Naturalismus sind feindliche Zwillinge. Sie schaukeln sich gegenseitig hoch. Dazwischen bleibt oft kaum noch Platz für eine sachgerechte Darlegung des originären Schöpfungsgedankens. Dieser erfordert ja auch viel mehr und differenziertere gedankliche Anstrengung als die einfachen, griffigen und meist platten Formeln von Kreationisten wie von Naturalisten, die oft auch deswegen so ankommen, weil sie vielfältigen Frust (an ärgerlicher Kirche oder an kalter Wissenschaft) bedienen. So wundert es nicht, wenn sich neuerdings in manchen Medien vermehrt Beiträge finden, die nur das kreationistisch-fundamentalistische Zerrbild von Schöpfungsglauben bieten, es mit Bibel, Christentum, Schöpfungsglauben überhaupt gleichsetzen und diese dann für unvereinbar erklären mit evolutivem Denken (das für sie identisch ist mit rein naturalistisch-atheistischem Denken).
Da fehlt es schlicht an der nötigen Basisinformation, die für ein rationales Urteil erforderlich ist. Um beides, um nötige Information und um argumentativ begründetes, rationales Urteil, soll es hier gehen.
Im Folgenden werde ich deshalb zuerst (I.) die Positionen der Kreationisten einerseits und ihrer evolutionsbiologisch-naturalistischen Kontrahenten andererseits darstellen sowie die daraus sich ergebenden Probleme skizzieren. Darwin, so wird sich zeigen, war viel umsichtiger als manche seiner atheistischen Epigonen bis heute.
Sodann soll (II.) gezeigt werden, wie die biblischen Schöpfungstexte – nicht nach der naiven Wahrnehmung des unkundigen Lesers, sondern – nach den Erkenntnissen der bibelwissenschaftlichen Forschung ursprünglich zu verstehen sind und wie sie sich zum Evolutionsdenken verhalten, das es, wie wir sehen werden und was man meist nicht weiß, schon bei frühen christlichen Theologen gibt.
Ferner soll (III.) herausgearbeitet werden, inwiefern seriöse Naturwissenschaft und Evolutionsbiologie auf einen methodischen Naturalismus verpflichtet sind, sich daraus aber keineswegs ein harter weltanschaulicher oder metaphysischer Naturalismus (d. h. Atheismus) ergibt, die Wirklichkeit vielmehr mehrdimensional ist und eine Schichtentheorie der Wirklichkeit nahelegt, die für unterschiedliche Weltdeutungen oder Metaphysiken offen ist. Dabei ist auch zu bedenken, was die Wissenschaft eigentlich erklärt und warum sich die Frage nach Gott und Schöpfung nicht erübrigt.
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