Limburg an der Lahn, zum 20. Januar 2012
+ Dr. Franz-Peter Tebartz-van Elst
Bischof von Limburg
Erstes Kapitel KonturenFundament und Fügung
I. Werte wahren
In seinem viel beachteten Roman „Das amerikanische Hospital“ schildert Michael Kleeberg die Begegnung zweier Menschen, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein können. Die dreißigjährige Pariserin Hélène wartet in einem amerikanischen Militärkrankenhaus in Paris auf einen Untersuchungstermin, um, zusammen mit ihrem Mann, mittels künstlicher Befruchtung doch noch zur Erfüllung ihres sehnlichen Kinderwunsches zu kommen. Vor der Rezeption des Hospitals begegnet sie dem Literaturwissenschaftler David Cote, der vor ihren Augen zusammenbricht.
Als Veteran kehrte er aus dem Golfkrieg des Jahres 1991 zurück, nun, Jahre später, bricht sich bei ihm eine Art posttraumatische Belastungsstörung bahn. Immer wieder begegnen sich beide. Ein Mann, der Leben nahm, und eine Frau, die es nicht schafft, Leben zu schenken. Sie werden, obwohl ihre Situationen so gegensätzlich sind, einander zur Stütze. Er ist lange davongelaufen; vor der Auseinandersetzung mit seiner Kriegsvergangenheit, aus Angst vor der Konfrontation mit persönlicher Schuld. Wie sollte er damit umgehen, dass er auch am Tod von Kindern schuldig wurde, denen zu helfen er doch eigentlich aufgebrochen war.
Sie muss erleben, wie die immer wieder vorgenommenen Befruchtungen immer aufs Neue fehlschlagen; erlebt ihren Körper als etwas zunehmend Fremdes, ihrem tiefen Wunsch Widerstrebendes. Er gibt ihr Trost und Hoffnung, wenn sie immer mehr von dem durch verschiedenste Behandlungen vorgegebenen ,Takt' bestimmt wird: „Down-Regulierung, Stimulation, Auslösung, Follikelpunktion, Transfer, Wartezeit, Enttäuschung, Erholung und Neubeginn.“ 1Mit zunehmender äußerlicher Routine, ja, mit der „Selbstverständlichkeit einer Pendlerin“ , passiert Hélène die Grenze zwischen ihrem Leben, das von dem so starken Kinderwunsch geprägt ist, und den beschriebenen, beinahe mechanischen Abläufen in der Klinik.
Ergreifend und empfindlich präzise beschreibt Michael Kleeberg die Situation des modernen Menschen und konfrontiert mit der kalten medizinisch-technisierten reinen Möglichkeit. Es bleibt der fahle Geschmack eines über alles andere erhobenen ,Denkens der Machbarkeit', das Vorgaben und Grenzen nicht akzeptieren will. Kleebergs Roman führt durch die beiden so persönlich geschilderten Biografien zu den grundsätzlichen Fragen, die sich unserer Gesellschaft heute stellen. Dazu gehört vor allem die Frage der Verhältnisbestimmung zwischen Sollen und können, zwischen Dürfen und Vermögen des Menschen. Es steht zu befürchten, dass die Antwort darauf – das zeigen die zuweilen heftig geführten Kontroversen und Debatten unserer Zeit – nicht selbstverständlich zugunsten des christlichen Menschenbildes ausfallen wird.
1. Menschenbild und Gottesbild
Deutschland ist ein Land, das man im positiven Sinne als ,Teil Europas in der so genannten westlichen Welt' bezeichnen kann. Oft beschworen werden dabei von den unterschiedlichsten Vertretern und Meinungen ,unsere Werte' bzw. ,unser Menschenbild'. Wie selbstverständlich verstehen wir uns – und auch jeden anderen Menschen – als frei, gleich an Rechten und Würde; wir betrachten unsere Verfassung als eine, die dieser Auffassung am ehesten gerecht wird, und geben ihr ,grund-sätzlichen'Rang.
Allzu schnell übersehen wird jedoch, dass das damit gemeinhin verbundene und transportierte Bild vom Menschen in unserem Kulturraum nicht ohne Herkunft bzw. Bezugsgröße ist, es ist nicht im ,luftleeren Raum' entstanden. Immer stärker ist in unserer Gesellschaft die Tendenz zu einer regelrechten ,Selbstsäkularisierung' aller Lebensbereiche zu spüren. Es erscheint geradezu verpönt, sich mit seinem Wertebezug festzulegen, besonders da, wo dieser sich auf originär christliche Wurzeln stützt. Die Rückbindung an den eigentlichen Grund unseres Wertesystems droht uns immer mehr abhandenzukommen. Die Debatte um die Frage einer ,christlichen Leitkultur' zeigt das eindrücklich. Es gibt in unserem Land durchaus eine christliche Leitkultur. All unsere Rede vom Menschen, von seinen gesellschaftlichen Bezügen und Bindungen, ist geprägt vom (jüdisch-)christlichen Erbe unseres Kulturraumes. Immer weniger haben wir jedoch das Bewusstsein für diesen Ursprung und damit auch für die Plausibilität unserer Grundwerte. Es gerät uns zunehmend aus dem Blick, dass sich unser Menschenbild dem jüdischchristlichen Gottesbild verdankt. Ausführlich widmen sich die Kapitel 3/I.; 3/II. und 7 des vorliegenden Buches der Frage nach der Herkunft unserer Werte (vgl. auch Kapitel 1/II.1.).
2. ,imago' und ,similitudo'
Unsere kirchliche Rede vom ,Menschenbild' nimmt ihren Anfangin den ersten Kapiteln der Genesis. Hier ist von der Gottebenbildlichkeit des Menschen die Rede und von der Schöpfungsabsicht Gottes: „Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild (imago), uns ähnlich (similitudo). Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh und über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild;als Abbild Gottes schuf er ihn.Als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1,26 f.).
In der nachfolgenden Paradiesgeschichte wird in den bekannten Bildern beschrieben, wie der Schöpfer Adams, gleichsam als bildender Künstler, den Menschen („Adam“) wie auch die Tiere aus der Erde formt. Adam ist es, dem er den Odem, den göttlichen Geist, einhaucht, dem er damit allein gewissermaßen Anteil gibt an seiner Schöpfung. Diese „Sonderstellung im Kosmos“ (Max Scheeler) – das Alleinstellungsmerkmal des Menschen – ist es, was Psalm 8 in seiner so wunderbaren Sprache noch einmal hervorhebt: Die einzigartige Würde des Menschen kommt darin zum Ausdruck, dass der Schöpfer ihn mit „Herrlichkeit und Ehre gekrönt“ hat; ihn nur „wenig geringer gemacht hat, als Gott“ (vgl. Ps 8,6). Adam, obwohl er selbst Teil der Schöpfung ist, darf neben den Schöpfer treten und den Tieren Namen geben.
Die hier kurz angesprochenen Texte bilden Quelle und Grund des biblischen Menschenbildes. Gerhard Lohfink hat darauf hingewiesen, dass der hebräische Begriff ,Selem' (Ebenbild) sprachlich auch in anderen Kontexten vorkommt bzw. vorkam. Interessant und aufschlussreich ist beispielsweise der Hinweis, dass im Ägypten der Pharaonen der Begriff ,Selem' das ,Bild des Pharao' bezeichnete, was ihm in seinem Reich eine ,ubiquitäre Präsenz' verschaffte. Überträgt nun der biblische Sprachgebrauch diesen Zusammenhang auf die Beziehung zwischen Schöpfer und (menschlichem) Geschöpf, bleibt die Rede vom Menschen als ,Bild Gottes' nicht nur Sinnbild, sondern wird zu Realität und Anspruch der Schöpfung. Der Mensch hat nicht nur die Möglichkeit, sondern den Auftrag, überall und in jeder Situation die Gottespräsenz zu verkörpern und – andersherum – die Gottespräsenz im anderen anzuerkennen. (Vgl. dazu Kapitel 3/II.3)
Dieser Grundgedanke setzt sich im Zeugnis des Neuen Testamentes fort. In und durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus kommt uns der Schöpfer auf einmalige Weise unüberbietbar entgegen. Mit ihm ist die Fülle der Zeiten angebrochen. Wir sind hineingenommen in die Liebes-und Lebensgemeinschaft des dreifaltigen Gottes. Daraus resultiert unsere Auffassung von Werten im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Miteinander. Es ist das christliche Menschenbild, das diese Grundhaltung bedingungslos auf alle Menschen übertragen hat.
Das christliche Bild vom Menschen weiß auch um die Schwäche des Einzelnen. Wir sind nicht frei von der Gefahr der Selbstüberschätzung. Zu sehr neigt der Mensch dazu,sich selbst in den Mittelpunkt zu setzen und den Bezugspunkt seines Handelns letztlich im eigenen Wollen zu suchen. Der Glaubende hingegen hat ein ,Korrektiv'. Ohne einer gesellschaftlichen Funktionalisierung der Religion das Wort zu reden, soll doch auf diesen entscheidenden Punkt hingewiesen werden. Wir sehen uns als Christen immer schon auf die in Jesu Christi Person gewordene Wahrheit bezogen, zu der uns zu verhalten wir stetig gefordert sind. Der Mensch muss sich damit nicht dem geradezu unmenschlichen Druck ausgesetzt sehen, sein Heil aus eigener Kraft, im Hier und Jetzt, selbst bewerkstelligen zu müssen.
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