Peter Spans - Von Herzen

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Eckerd von Herzen hat eine Mission. In seiner Bar soll jeder Zuflucht finden, der nicht mehr weiterweis, sich nach einem offenen Ohr, einem gemeinsamen Drink, nach jemandem wie Eckerd sehnt. Denn der empathische Gastgeber weiß, was seine Gäste brauchen. Und wie er sie von ihren Sorgen befreien kann. Den besonders hoffnungslosen Fallen hilft er auf ganz spezielle Art: indem er sie mit der Keule seines Großvaters erlöst. Eines Abends verschlagt es den maßlos gescheiterten Polizisten Paul ins ›Von Herzen‹. Eigentlich hat er vor, sich das Leben zu nehmen, aber Eckerd sieht etwas in ihm und macht ihn zu seinem Kellner. Paul findet neue Freunde – und neuen Mut. Doch dann bekommt er mit, was in der Bar vor sich geht …

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Peter Spans

Von Herzen

Thriller

Von Herzen - изображение 1

© Atrium Verlag AG, Zürich, 2020

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: Atrium Verlag unter Verwendung einer Illustration von Peter Spans

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

ISBN 978-3-03792-163-0

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Am schlimmsten wird es, wenn es jemand besonders gut meint.

TEIL EINS

Eckerd

EIN HUND

Lolita sah hinaus in den roten Regen.

Abgefischt.

So spät würde niemand mehr suchen. Weil niemand mehr davon ausgehen konnte, dass es noch was zu finden gab.

Weit hinten im peitschenden Regen bewegte sich etwas. Tatsächlich war da jemand, er hastete von Hauseingang zu Hauseingang, rein und raus durch die Wasservorhänge, die von überfluteten Dachrinnen fielen. Ein dürrer Mann. Er hielt etwas über dem Kopf, das zu schmal war, um Schutz zu bieten.

Der Mann verschwand durch den Wasserfall des nächsten Eingangs. Lolita lehnte unter dem muschelförmigen Vordach an der tagwarmen Wand und sog die feuchte Luft ein.

Stadtpatina. Bordstein, Asphalt, Gummi, Pisse, Spucke, Eisen, vielleicht Blut. Von irgendwoher frischer Beton. Der Regen wusch es aus, spülte es heran. So musste es sein, wenn man ein Hund war.

Lolita stellte sich gern vor, etwas anderes zu sein.

DAMALS : PORCS DE LA MORT

Eckerd reckte seine Haselgerte in den Himmel.

»Verehrtes Publikum, heute werden sie Zeuge einer nie da gewesenen Darbietung! Porcs de la mort!«

Elmar, der Großvater, hatte sich nicht setzen wollen. Nur widerstrebend ließ er sich von Eckerds Vater Bernhard auf den Baumstamm ziehen, der seit Jahren auf der Wiese lag.

»Was redet der so geschwollen?«

»So redet ein Zirkusdirektor nun mal.«

»Du redest auch geschwollen.«

»Schau’s dir an. Ist doch mal was anderes.«

Elmar machte ein Gesicht, als ob was anderes übel riechen würde.

Eckerd beobachtete die beiden aus dem Augenwinkel.

Bernhard staunte über das Hindernis aus alten Brettern. Mit sieben hätte er so was nicht hinbekommen. Zwei rosa Schweine dösten neben Eckerd einige Meter entfernt von dem Hindernis, während auf der anderen Seite in gleicher Entfernung ein weißes bei Marthe wartete, Eckerds kleiner Schwester.

Eckerds roter Schopf leuchtete vor der tief stehenden Sonne. Sein gemalter Zwirbelbart bog sich unter erhabener Miene.

»Maria, Josef! H.G!« Eckerd ließ seine Gerte sirren.

Maria und Josef galoppierten mit atemberaubender Geschwindigkeit auf das Hindernis zu.

H.G. war Albino, weswegen er schlecht hörte, aber nach einem scharfen Stupser der spitzen Füßchen von Marthes kopfloser Barbie sprintete er auf Maria, Josef und das Hindernis zu.

Bernhard spürte seinen Puls, als alle drei Schweine zugleich absprangen und es aussah, als ob sie in vollem Galopp über dem Hindernis kollidieren müssten. Für einen Sekundenbruchteil schienen sie übereinander in der Luft zu schweben, ein rosa-weiß-rosa Banner. Sie flogen haarscharf aneinander vorbei, um dann wie grotesk kurzbeinige Springpferde auf dem versteppten Gras in effektvollen Staubwolken zu landen.

»Padaaaah!« Eckerd ahmte eine Fanfare nach.

Bernhard sprang auf und applaudierte, dass seine schwieligen Hände brannten und ihn die Traurigkeit, die ihn sonst umfing, für einen kleinen Moment losließ. Er stupste Elmar an.

»Hast du Schweine schon mal so was machen sehen?«

»Sie verlieren Gewicht dabei.«

»Damit kann er zum Zirkus!«

»Er nennt sie Maria und Josef.«

Eckerd kam, um sich lang und breit loben zu lassen.

»Und H.G.«

Bernhard klopfte Eckerd auf die Schulter. »Toll. Wofür steht denn H.G. eigentlich?«

»Heiliger Geist.«

Elmar stand auf. »Das reicht.«

»Das ist, weil er so weiß ist. Wie ein Geist.«

Elmar versuchte, dem heiligen Geist einen Strick überzuwerfen, aber der drehte ihm mit einem Grunzen das Hinterteil zu. Er packte Josef am Nacken und legte ihn an die Leine. Der quiekte verwundert, dann trottete er Elmar hinterher.

»Sag Opa, er soll Josef wieder herbringen!«

Bernhard applaudierte noch einmal besonders laut. »Das war eine unglaubliche Vorstellung, mein Sohn!«

Eckerd sonnte sich im Stolz seines Vaters und machte einen Kratzfuß wie vor einem sehr großen Publikum.

Das dumpfe Knacken aus dem Schuppen war kaum bis zur Wiese zu hören, aber es ließ Eckerd stocken, denn er kannte es, seit er denken konnte. Dann verbeugte er sich tiefer und ausladender als zuvor, während Bernhards Miene zu ihrem schwermütigen Ausdruck zurückfand.

RICHTUNG ROT

Frank keuchte. Normalerweise rannte er nicht. Warum auch? Bis vorhin war es ein guter Tag gewesen, viele Leute hatten sich in der Herbstsonne treiben lassen, mit reichlich Wechselgeld von Bier-, Eis- oder Würstchenkäufen in den Taschen, und er hatte gearbeitet. Irgendwann war er auf einer Parkbank eingenickt, bis ihn der Wolkenbruch aufgeschreckt hatte. Er musste lange weggetreten gewesen sein, einige Meter entfernt glomm eine einzelne Straßenlaterne in dem dichten Regen. Froh, dass ihm niemand seinen Koffer geklaut hatte, hastete er zum nächsten Hauseingang und sprang durch die Wasserwand, die von einer überfluteten Regenrinne niederging, um sich im Trockenen zu vergewissern, dass seine Tageseinnahmen noch da waren. Und sein Werkzeug.

Danach hatte er sich Richtung Stadtmitte bewegt, indem er sich von Haus zu Haus gearbeitet hatte. Er war ohnehin schon durchnässt gewesen, als ihn das Unwetter geweckt hatte, und in den Eingängen war es deutlich wärmer.

Hinter der Haustür, vor der er gerade nach Luft rang, ging Licht an. Jemand würde kommen, er würde ihn für einen Penner halten, er würde miese Laune haben und Ärger machen, weil er bestimmt Lust auf Ärger hatte. Frank rappelte sich auf und zwang sich wieder durch das Wasser hinaus in den Regen.

Er hatte eine neue Gegend ausprobiert. Viele kleine Cafés mit Tischen auf den Straßen. Einträglich, aber weit draußen. So spät fuhren hier offensichtlich keine Öffentlichen mehr, und bisher war nicht ein Taxi an ihm vorbeigefahren. Eigentlich überhaupt kein Auto. Sein Handy lag zu Hause, normalerweise wüsste Frank auch nicht, wen er damit anrufen sollte. Erneut durchtränkt, erreichte er den nächsten Eingang. Er fror.

Langsam hört der Spaß auf.

Frank hatte ein Ziel, ein entferntes rotes Leuchten. Es war lange kaum näher gekommen, aber jetzt trennte ihn nur noch eine breite Kreuzung davon.

Zivilisation .

Frank steckte seine Hand durch den Vorhang aus Wasser, der vom Dach auf die Straße fiel, und spähte darunter hinaus auf die andere Straßenseite.

Rotes Neon. Ein Schriftzug.

Von Herzen.

Im Schutz eines geschwungenen Vordachs lehnte eine ranke Silhouette in einem hautengen Dress lasziv rauchend an einer bunt bemalten Wand. Vielleicht ein Puff. Oder ein Varieté, so verrückt, wie der Eingang bemalt war.

Frank fror, aber er zögerte, dorthin zu gehen. Seine letzte Prozedur lag schon einige Stunden zurück, und es könnte Probleme geben, wenn er so in den Laden ging. Er könnte es jetzt machen, aber es wäre bizarr, wenn ihn jemand währenddessen im Hauseingang antraf.

Frank holte tief Luft, hob seinen Koffer über den Kopf und rannte Richtung Rot.

DER MANN

Paul brachte keine Gegenwehr mehr zustande.

Das infernalische Dröhnen drang in sein Innerstes und zerquetschte seine Seele zu einem pechschwarzen Brei.

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