»Sie lügt! Tötet das Schwarzauge und dann tötet diese verdammte Hure!«, schrie Ephialtes wie am Spieß und versuchte, seiner Verletzung zum Trotz, mit aller Macht wieder auf die Beine zu kommen. »Ich halte Euch den Rücken frei, Majestät, nur fallt nicht auf die falschen Worte dieser Albenfreundin herein.«
Die Hetzworte erreichten Nubrax’ Ohren zwar noch, aber es war bereits zu spät. Er hatte schon damit begonnen, den Druck vom Körper des unter ihm Liegenden zu nehmen. Das Bein des Schwarzäugigen bebte und zuckte vom durchbohrten Fuß an aufwärts unkontrolliert, sodass er fast wie ein regennasser Hund wirkte, der sich trockenschütteln wollte.
Obwohl sein Verstand ihm sagte, dass es keinen logischen Grund gab, Joas Worten mehr zu trauen als denen von Ephialtes, entschloss der Königssohn sich dazu, auf sein Herz hören.
»Nein!«, brüllte der ehemalige Leibwächter von Neuem, als er endlich auf den Füßen war. »Tut das nicht.« Doch noch bevor er sich Nubrax, der fremden Zwergin oder einem der beiden Alben nähern konnte, gab sein verwundetes Bein wieder nach. Dank der Schnittwunde, welche der junge Angreifer ihm zugefügt hatte und die seinen rechten Oberarm der Länge nach zierte, war er noch nicht einmal in der Lage, sich richtig abzufangen.
Wieder ließ Nubrax die mahnenden Worte von sich abprallen. Von Atemnot gepeinigt und des Kämpfens müde, wollte er einfach nur glauben, was seine Freundin von früher ihm sagte. Alles, was er wollte, war, dass die ständige gegenseitige Gewalt endlich ein Ende nahm. Doch wie ihm seine schwindenden Sinne schon einen Lidschlag später vermittelten, hatte er mit seiner Gutgläubigkeit einen verhängnisvollen Fehler begangen.
Noch bevor sich seine Kniespitze gänzlich vom eingedrückten Brustkorb des Alben gelöst hatte, sah dieser seine Chance gekommen. Auch wenn er aufgrund seines durchbohrten Fußes ebenso große Schmerzen haben musste wie der Sohne Boringars’, schoss sein Oberkörper urplötzlich in die Höhe.
Schneller als es ihm zuzutrauen war, griff er nach seinem Säbel, der zuvor nur wenige Handbreit neben ihm auf den Boden gefallen war. Gleichzeitig versuchte er mit der Linken das Messer seines Feindes zu packen. Die kurzen und sonst so kraftvollen Finger des Zwergenprinzen versuchten zwar dagegen zu halten, aber er war zu überrumpelt, um angemessen reagieren zu können.
Er hatte Joa, die er aus seinem früheren Leben, einem Leben vor dem Kampf gegen Loës, zu kennen geglaubt hatte, vertraut. Doch in dem Moment, als der wutentbrannte Alb seinen ersten befreiten Atemzug tat und gleichzeitig das Schwert emporriss, erkannte Nubrax, dass dieses Vertrauen fehlangebracht war. Das einst so anmutige Gesicht des Mannes hatte sich vor lauter Hass zu einer dämonischen Fratze verzogen. Fingerdicke Furchen durchliefen seine Gesichtszüge und es klang, als würde er fauchen. Dem Königssohn war nun klar, dass er besser auf Ephialtes gehört und seinen Vorteil ausgespielt hätte, solange wie er noch dazu in der Lage gewesen war.
»Grüß Barmbas von mir, wenn du ihn siehst!«, giftete der Alb zynisch und ließ die Klinge in einer fließenden Bewegung auf den Hals seines Feindes zuschnellen. »Dein selbst ernannter Heerführer wird dir nämlich schon bald ins Jenseitige Reich folgen!«
Ein panisch grunzender Aufschrei fuhr durch den Kerker, direkt gefolgt von einem kaltblütigen Lachen.
Noch immer hatte Drug sein Bein drohend erhoben, um sich mit seinem gesamten Körpergewicht auf den verhassten Menschen fallen zu lassen. Für einen Augenblick nahm die Vorstellung in seinem Kopf Gestalt an, wie Varinez und Baaludor dem Elfengeneral die Haut abzogen. Und obwohl er die beiden nicht leiden konnte, legte sich ein zufriedenes Lächeln auf seine Lippen.
Einen Wimpernschlag später hielt Drug jedoch mitten in der Bewegung inne, als ihm klar wurde, dass es ein Ork war, der da nach wie vor hinter ihm schrie und dass eine viel hellere Stimme darüber in Gelächter ausgebrochen war. Noch im gleichen Moment erfüllte das markerschütternd laute Kriegsgebrüll Baaludors die unterirdischen Kerkerräume ein zweites Mal.
»Was zum ...«, grunzte Drug verärgert, als er mit einer bösen Vorahnung den Kopf nach hinten wandte. Aber kaum hatten seine an die Dunkelheit bestens angepassten Augen das Geschehen erfasst, stockte ihm der Atem. Varinez von dem zuvor stets eine so erhabene Ruhe ausgegangen war, dass es selbst ihm Respekt eingeflößt hatte, rollte quer über den Boden und presste sich dabei den Stumpf seines linken Unterarmes fest gegen den Brustkorb. Grünes Blut schoss einer Fontäne gleich aus der Wunde hervor, während der Vorugnaï-Gosh wie ein verwundetes Schwein um sein Leben quiekte.
Baaludor ließ indessen seine kurzen Arme windmühlenartig durch die Luft kreisen. Doch all seine Kraft nützte dem Koloss nichts, da es der Gestalt, auf die er immer wieder einschlug und die fast zur Gänze von seinem fetten Wanst verdeckt wurde, scheinbar mit Leichtigkeit gelang, ihm auszuweichen.
»Ich hab euch gewarnt, was passiert, wenn ihr den Elfen nicht ruhigstellen könnt!«, donnerte Drug, setzte seinen Fuß neben Darius’ Kopf auf den Boden und drehte sich nun gänzlich um.
Obwohl es ihm im ersten Augenblick widerstrebte, sich aus dem Handgemenge herauszuhalten, wartete er lieber noch kurz ab, anstatt seinen Landsleuten sofort zu Hilfe zu eilen, so wie sie es zuvor bei ihm getan hatten.
Wie jeder Ork, der etwas auf sich hielt, hatte Drug sich in seinem Leben noch nie der Feigheit schuldig gemacht. Aber im Gegensatz zu den meisten seiner Artverwandten auch noch nie der Dummheit. Klug genug, um nachzudenken, bevor er handelte, rührte er sich nicht von der Stelle, sondern verfolgte interessiert das Geschehen. Irgendetwas sagte ihm, dass sie es hier nicht mit dem elfischen General zu tun hatten, der bis eben noch vor ihnen auf dem Boden gekniet und ihr Gelächter auf sich gezogen hatte.
»Hilf mir, Drug! Mach ihn nieder, der Elf ist wahnsinnig geworden!«, schnaubte Baaludor schweratmig und schlug noch immer mit seinen massigen Armen um sich, als wolle er eine Fliege verscheuchen. Drug dachte allerdings gar nicht daran, auch nur eine Kralle krumm zu machen, solange er sich nicht selbst in unmittelbarer Gefahr befand.
Einer weniger, um den ich mich sonst später kümmern müsste , dachte er nur und schaute mit misstrauischem Blick auf Varinez, der sich nach wie vor wild grunzend auf den Steinfliesen wälzte. Verzweifelt versuchte der sich den Armstumpf mit Hilfe seines sackartigen Obergewandes abzubinden, während die Blutlache um ihn herum stetig größer wurde.
»Aber ich kann weder seine Hand sehen, noch die Waffe, mit der sie ihm abgeschlagen wurde«, murmelte Drug nachdenklich an sich selbst gewandt, während er umsichtig versuchte, einen Blick auf die Gestalt zu werfen, die seinen Mitgefangenen so übel zugerichtet hatte. Die Qualen, welche der Verblutende unterdessen erleiden musste, störten ihn nicht. Im Gegenteil.
»Drug, du elender Hundesohn, wo bist du? Warum hilfst du mir nicht?«, rief Baaludor erneut und drehte den wulstigen Hals ein Stück weit, um sich nach seinem vermeintlichen Unterstützer umzusehen. Doch diese kleine Ablenkung war es, auf die sein Gegner gewartet zu haben schien. Schneller als Drug oder er selbst es für möglich gehalten hätte, fand das Leben des dickbäuchigen Vorugnaï-Gosh jäh ein gewaltsames Ende.
Die Gestalt, die bisher nur im Schatten seines gewaltigen Körpers den unkoordinierten Schlägen ausgewichen war, von denen jeder einzelne einen ausgewachsenen Kanima zu Boden geworfen hätte, hatte sich nun kurzerhand zum ersten Gegenangriff entschlossen. Ein einzelner, aufwärtsgeführter Fauststoß auf das Kinn des Kolosses genügte, um ihn gut zwei Manneslängen weit durch die Luft zu schleudern. Mit dem Geräusch eines nassen Sackes schlug er auf dem Boden auf und erhob sich nicht mehr.
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