Bittere Tränen schossen dem Prinzen in die Augen, als die Innenseiten seines Halses beim Schlucken aneinander kleben zu blieben schienen. Dem heiseren Röcheln folgten einige Brocken blutigen Auswurfs und zusehends schlimmer werdende Atemnot. Nichtsdestotrotz verharrte er kniend auf der Brust des unter ihm begraben liegenden Alben und drückte ihm mit schraubstockartiger Härte das Handgelenk immer tiefer in den lehmigen Boden. Auf das schmerzhafte Stöhnen des Kriegers reagierte er nicht.
»Nubrax, bist du es wirklich?« Wieder ertönte die zittrige Stimme der Zwergin, die nun unmittelbar an ihn herangetreten war und vorsichtig die Hand ausstreckte. Für einen Außenstehenden mochte es wirken, als könne sie erst an die Existenz ihres Artverwandten glauben, wenn ihre Finger sein bärtiges Gesicht berührten. Doch obwohl ein sanftes Lächeln ihre leicht geröteten Wangen umspielte, zuckte sie im letzten Augenblick vor ihm zurück. Wie bei einem Fisch, der auf dem Trockenen lag, öffnete und schloss sich der Mund der stämmigen Frau einige Male in rascher Folge, ohne dass sie dabei auch nur einen Ton herausbrachte.
Nubrax schwieg. Trotz seines hämmernden Pulsschlages und dem unentwegten Schnauben des Schwarzäugigen war die Stille unglaublich drückend. Fast hatte er das Gefühl, der gesamte Wald würde gespannt den Atem anhalten, nur um Joas Wortkargheit zu lauschen. Selbst die Kampfgeräusche zwischen Ephialtes und dem jüngeren Alben waren verstummt. Dafür konnte er nun förmlich spüren, wie sich die Blicke der beiden stechend in seinen Rücken bohrten.
Brüskiert und in ehrlicher Anteilnahme über sein Schicksal sah die Zwergin, welche in eine leichte Lederrüstung gekleidet war, zu dem unter Nubrax liegenden Mann hinab. Sein Gesicht war bereits purpur angelaufen und die schwarz glänzenden Augen ein Stück weit aus ihren Höhlen getreten. Seine bis eben noch aristokratisch erhabenen Züge wirkten seltsam verschroben und entsprachen keinesfalls mehr dem Bildnis seiner Rasse.
»Geh runter von ihm.« Joas Worte waren sanft und betont sachlich. Nicht eine Spur von Vorwurf klang in ihnen mit. Es wirkte beinahe so, als spräche sie über einen bloßen Gegenstand. Doch als Nubrax nicht sofort tat, wie ihm geheißen, sondern im Gegenteil noch immer das kurze Kampfmesser angriffsbereit umklammert hielt, machte sie erneut Anstalten, ihn berühren zu wollen. Diesmal allerdings, um ihn mit sanfter Gewalt von dem Alben herunterzubugsieren. Der wagte aus Angst vor Konsequenzen nicht sich zu bewegen.
»Das ist alles nur ein Missverständnis. Du brauchst keine Angst zu haben. Ehlasco wird dir nichts tun, solange ich dabei bin, das kannst du mir glauben«, versicherte die Zwergin nun etwas eindringlicher und machte eine bedeutungsvolle Geste in Richtung des Spitzohrigen. Während sie das tat, schaute sie Nubrax jedoch ununterbrochen in die Augen. Fast so, als hoffte sie, etwas in seinem Innersten zu entdecken, wenn sie ihn nur lang genug anstarren würde. Der Königssohn erwiderte die Geste einen Moment lang, bis er schließlich resignierend mit dem Kopf nickte.
Mit einem letzten warnenden Blick auf den Alben lockerte er den Griff um dessen Handgelenk. Langsam, dafür aber doppelt so aufmerksam wie zuvor, ließ der stumme Zwerg das Messer ein Stück weit sinken. Viel länger hätte er es sowieso nicht mehr in die Höhe halten können, denn seine Lungen wurden inzwischen nur noch von so wenig Luft erreicht, dass sie bereits zu brennen begonnen hatten. Auch der Schwindel in seinem Kopf wurde zusehends schlimmer und wahrscheinlich konnte man ihm bereits ansehen, wie schwer es ihm fiel, sich auf der Brust des Mannes aufrecht zu halten.
»Nein, Majestät, tut das nicht!«, erhob sich die ungewöhnlich laute Stimme von Ephialtes so urplötzlich hinter ihm, dass er erschrocken zusammenzuckte. Nubrax’ benebelte Sinne vermittelten ihm gar das Gefühl, als würden sich die Worte schallend, wie in einem Bergwerksstollen, an den Baumstämmen brechen und von allen Seiten her auf ihn eindringen. »Tötet den Alben, mein Gebieter! Tötet ihn!«, bellte er wie ein Besessener.
»Hör nicht auf ihn, Nubrax«, entgegnete Joa jetzt mit zusehends forderndem Unterton und versuchte vergeblich, den einstigen Leibwächter mit ihrer mädchenhaften Stimme zu übertönen.
»Wo ist Euer Misstrauen geblieben? Mich haltet Ihr nach wie vor für einen Verräter, während Ihr einer Frau Glauben schenkt, die mit den Alben gemeinsame Sache macht.« Die Worte kamen nun so hastig aus Ephialtes’ Mund, dass sie sich beinahe überschlugen.
»Nubrax, ich bin es, Joa. Du kennst mich. Du weißt, dass du mir vertrauen kannst. Ich verspreche, dass weder dir noch Paro oder eurem Begleiter etwas geschehen wird. Aber du musst uns auch entgegenkommen ... Du musst Vertrauen haben.« Aus dem Augenwinkel heraus konnte die Zwergin sehen, wie ihr Landsmann mit der tiefen Stimme auf dem Boden liegend zu ihr herübersah und das Gesicht vor Abneigung und Qualen deutlich verzog.
Die eine Hand hatte er sich fest gegen den rechten Oberarm gedrückt. Sein dunkelrotes Blut lief ihm dennoch zwischen den Fingern hinab auf den Waldboden, wo es sich mit der Erde vermischte und beinahe schon albschwarz wirkte. Mit der anderen klammerte er sich krampfhaft an einen bereits entzweigeschlagenen Ast. Wie ein Schwert hielt er das Holz, welches kaum mehr eine Armlänge maß, vor seinen Rumpf und versuchte damit, selbst im Liegen seinen Gegner noch auf Distanz zu halten.
Dass ihm sein Vorhaben bisher geglückt war, lag einzig und allein daran, dass Joas Kampfgefährte sich auf ihren stummen Befehl hin zurückhielt, anstatt ihm den Todesstoß zu versetzen. Allerdings schaute der Jüngling inzwischen zunehmend angespannter zu der Zwergin herüber. In seinem Blick lag die unausgesprochene Frage, ob er den Störenfried zum Wohle ihres Kameraden nicht doch lieber zum Schweigen bringen sollte. Als seine Muskeln sich plötzlich spannten und er unaufgefordert mit dem Breitschwert in der Rechten zum Schlag ausholen wollte, schüttelte Joa jedoch augenblicklich den Kopf. Eindringlich zog sie die Brauen hoch und gebot ihrem Begleiter damit gerade noch rechtzeitig innezuhalten.
»Nubrax, bitte. Du kennst mich doch, ich bürge dafür, dass euch nichts geschehen wird«, wiederholte sie an den argwöhnischen Prinzen gewandt. Der hatte die Klinge zwar bereits gesenkt, verharrte allerdings noch immer halb auf seinem am Boden liegenden Kontrahenten. Die Unsicherheit stand ihm deutlich ins blasse Gesicht geschrieben und ein leises Röcheln drang aus seiner Kehle. Es war eindeutig, dass er nichts lieber getan hätte, als einen Blick auf einen seiner beiden Weggefährten zu werfen.
Joa konnte dem imaginären Weg, den sein Kopf zu beschreiben im Zuge war, ohne Weiteres folgen. Es schmerzte sie in der Seele, den alten Paro zu sehen, wie er bäuchlings neben einem moosüberzogenen Baumstamm lag und sich nicht mehr rührte. Das Gesicht des einstigen Kriegsministers von Mittelberg war zur Hälfte im weichen Schlamm versunken und beide Arme lagen auf Höhe der Brust unter seinem reglosen Körper begraben.
Der andere Zwerg, den sie nicht kannte und der sich selbst in der Niederlage noch heroisch gab, war nach wie vor gewillt, mit seinem kurzen Knüppel um sein Leben zu fechten. Allerdings war auch er aufgrund schwerster Verletzungen bereits mehr tot als lebendig. Doch daran sollte Nubrax im Augenblick nicht denken. Deshalb sprach Joa mit beruhigender und gleichermaßen eindringlicher Stimme weiterhin auf ihn ein, wobei sie sich inständig bemühte, den Blickkontakt nicht abbrechen zu lassen.
»Wenn du von Ehlasco herunterkommst, können wir euch helfen. Wir versorgen eure Wunden und ich werde dir erklären, was hier vor sich geht. Es ... es ist alles nicht so, wie es aussieht.« Eine Strähne ihrer langen, haselnussbraunen Haare löste sich von ihrem Ohr und fiel ihr neckisch ins Gesicht. Sanft und zuversichtlich lächelte sie Nubrax an. »Vertrau mir.«
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