Sterne tanzten vor den Augen des Generals, nachdem er hart auf die Knie gefallen war und erneut grunzendes Gelächter um ihn herum laut wurde. Hastig versuchte er mit Hilfe seiner frei gewordenen Hände wieder auf die Beine zu kommen. Allerdings hinderte ihn die Nachwirkung des überraschend schnellen Angriffs, welcher den enormen Körperumfang seines Peinigers Lügen strafte, das Gleichgewicht zu halten.
»Warte, ich helf dir auf«, grölte Varinez. Lachend verpasste er Isolandòr, der es inzwischen geschafft hatte, sich zur Hälfte zu erheben, einen Aufwärtshaken gegen die Brust, sodass er in die Luft gehoben wurde, eine halbe Drehung vollführte und zu Baaludors Füßen wieder auf dem Rücken landete. Obwohl der Angriff absichtlich nicht mit voller Kraft ausgeführt worden war, gelang dem Elfen nun nicht einmal mehr, der Versuch, sich aus eigener Kraft wieder zu erheben. Hilflos lag er auf dem Boden und spürte, wie er von vier mächtigen Pranken emporgehievt wurde.
»Ich glaub inzwischen nicht mehr, dass die Alben uns noch was Vernünftiges zu Essen bringen. Es lohnt sich nicht, die Elfen weiter aufzusparen«, bellte Varinez, während er sich bereits daran machte, Isolandòr an den Haaren in den hinteren Teil ihrer Zelle zu ziehen.
»Ja, erst recht nicht, wenn sie anfangen so widerspenstig zu werden«, bestätigte Baaludor, schaute ein letztes Mal in Drugs Richtung und deutete vielsagend auf Darius. »Du hast ja auch noch dein Spielzeug ...«
Vertrauen
Einen kurzen Augenblick lang sah Drug seinen zwei Artgenossen nach, wie sie sich mit Isolandòr hinüber in die dunkle Ecke zu dem schweigsamen Elfen begaben und ihn dabei ordentlich malträtierten. Schon als die Alben ihn und die beiden anderen Vorugnaï-Gosh am Abend in den Kerker geworfen hatten, saß der schmächtige Blumenfresser zusammengekauert auf dem Boden neben der Pritsche und hatte bisher noch kein einziges Wort gesprochen. In der Hoffnung, dass seine Zellengenossen ihm keine Beachtung schenken würden, hatte er sich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und seither nur auf den Boden gestarrt. Das perfekte Opfer.
Drug hasste Varinez und Baaludor. Erst in den letzten Tagen seiner mittlerweile fast sechs Wochen andauernden Gefangenschaft in der Gewalt der Alben hatte er sich die Mühe gemacht, ihre Namen zu behalten. Bisher war das auch kaum nötig gewesen, da sie sich die meiste Zeit über ohnehin in getrennten Gitterwagen befunden hatten, in denen sie von den Schwarzaugen wie Vieh durch die Landschaft gekarrt wurden. Nun hatten ihre Knechter jedoch ein elfisches Gefängnis erobert – zumindest war es das, was er dem Gespräch von Saparin und Nemesta entnehmen konnte, welches die beiden beim Durchqueren des Kerkers vor seiner Zellentür geführt hatten.
Warum die Alben ihn einsperrten, anstatt seinem Dasein ein würdiges Ende zu bereiten, wusste er nicht. Ebenso wenig, wie lang er diesen Keller sein Zuhause nennen und die Gesellschaft seiner Artgenossen ertragen musste. Aber eines war klar: Er war es gewohnt, Befehle zu erteilen und nicht sich mit anderen zu einigen. Lange würde er sich die beiden nicht mehr gefallen lassen, so viel war klar.
Doch da die zwei sich untereinander so gut verstanden, dass sie ihre beiden Elfen sogar gemeinsam zu Tode quälen wollten, konnte er es nicht wagen, offen gegen sie aufzubegehren. Trotzdem würde er sie töten. Entweder, wenn sie schliefen oder aber spätestens nachdem ihnen der Ausbruch aus diesem Rattenloch gelungen war. Allerdings konnte er sich für den Moment auch erst einmal damit begnügen, ein anderes Leben auszulöschen.
Langsam fuhr Drug herum und ein breites Grinsen legte sich auf sein echsenartiges Antlitz, als er Darius in die Augen sah. »Schön, du lebst noch«, grunzte er zufrieden und ging gemächlich auf ihn zu. »Wir beide haben schließlich noch eine Rechnung miteinander zu begleichen.«
Nach wie vor lag der junge Krieger auf dem Rücken und hatte den Kopf in den Armen seiner Gefährtin gebettet. Durch die Zwischenräume der Gitterstäbe hindurch hielten sie einander in tiefer Verbundenheit an den Händen, was Drug mit einem abschätzigen Schnauben quittierte.
»Wie niedlich, der Mörder meiner Männer und die Mörderin meines Bruders werden im Angesicht ihrer gerechten Strafe sentimental«, schnarrte er hämisch und fletschte die Zähne. Doch weder zu Darius noch zu Therry drangen seine Worte richtig durch.
Kalter Schweiß lief den beiden Iatas aus jeder Pore und ihre Herzen schienen im gleichen Takt immer schneller zu schlagen. Noch immer bestand für Darius keine Chance sich zu erheben, geschweige denn den Kampf mit dem riesigen Ungeheuer aufzunehmen. Obwohl er angespannt und hilfebedürftig war wie noch nie zuvor in seinem Leben, ließ sich die geheimnisvolle Biestkraft, mit der er selbst Loës beinahe in seine Schranken hatte weisen können, weiterhin beharrlich missen. Der Blick in Therrys Gesicht verriet ihm, dass auch sie diesbezüglich keine Veränderung an sich spüren konnte.
In der kurzen Zeitspanne, während der sie die streitenden Orks beobachtet hatten – immer in der Hoffnung, sie mögen sich gegenseitig die Schädel einschlagen – war das erblindete Auge seiner Gefährtin weiter angeschwollen. Es schien nun, einer riesigen Träne gleich, eine wässrig-gelbe Substanz abzusondern, während die Blutung selbst zu Schorf verkrustet war. Allerdings war inzwischen nicht nur Therrys Augenhöhle, sondern ihre gesamte rechte Gesichtshälfte von der rötlich-braunen Kruste überzogen.
»Wenn du nicht die Frau wärst, die meinen kleinen Bruder umgebracht hat, dann könntest du mir jetzt fast leidtun«, sagte Drug, der inzwischen vor Darius haltgemacht hatte, mit bitterer Stimme. Obwohl diesmal kein Hohn in seinen Worten lag, war dennoch zu bezweifeln, dass er sie ernst meinte. Doch weder Darius noch Therry widmeten dem Ork auch nur einen Lidschlag ihrer Aufmerksamkeit. Die Blicke der beiden galten nur einander, nun da sie wussten, dass es endgültig vorbei war.
Mit einer stummen Geste in Amestris’ Richtung, die sich weit ins Innere ihrer Zelle zurückgezogen hatte, bedeutete Darius seiner Gefährtin, sich ebenfalls in Sicherheit zu bringen. Aber Therry schüttelte nur leicht den Kopf und lächelte ihn milde an.
»Bevor ich dem Wundfieber erliege, sterbe ich lieber hier und jetzt, gemeinsam mit dir«, flüsterte sie und drückte seine Hand noch ein wenig fester.
»Dem Wunsch komme ich gerne nach!«, knurrte Drug mit tiefer Stimme und ließ bedrohlich die Faustknöchel knacken. Doch wieder ignorierten die beiden ihn und in einem seltsam fehlangebrachten Gefühl von Sicherheit, erwiderte Darius den Händedruck, ungeachtet des Brennens, welches Therrys Finger auf seinem verbrannten Fleisch auslösten.
Auch wenn er sicher war, dass sich der Zorn des Orks noch steigern würde, wenn sie ihm weiterhin keine Beachtung schenkten, hielt der junge Krieger weiterhin daran fest, die letzten Augenblicke seines Lebens dem Menschen zu widmen, der ihm mehr bedeutete als jeder andere. Obwohl ihr Gesicht durch die furchtbaren Verletzungen und das geronnene Blut grausam entstellt war, umgab Therry dennoch eine Art von Schönheit, die jenseits aller weltlichen Ideale lag. Sowohl Darius als auch sie hatten nun keine Angst mehr vor dem Tod.
»Schau dir deine Schwester genau an, Mensch. Sie ist das Letzte, was du siehst«, grunzte Drug und hob seinen riesigen Fuß vom Boden, um das angebrochene Genick seines Feindes endgültig zu zerstampfen.
»Joa?« Nubrax’ Stimme war noch immer flüsterleise und kaum verständlich. Das erhebende Gefühl des Kampfrausches, welches beim Angriff der beiden Alben eingesetzt und die Schmerzen in seiner Kehle wenigstens ein bisschen unterdrückt hatte, ebbte nun immer mehr ab. Der Versuch, weitere Worte hervorzubringen, endete daher lediglich in einem erstickten Husten.
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