„Nein, Pam“, antwortete ich, „was hat er gesagt?“
Sie sah mich an, zerbrechlich, zerstört, Tränen liefen ihr über die Wangen … „,Pam, bist du noch da?‘“, schluchzte sie. Und dann wiederholte sie es noch einmal. Ganz weich, in ihrer Kleinmädchen-Stimme, wie zu sich selbst … „,Pam, bist du noch da?‘“
Ich versuchte, dieses verwirrte kleine Mädchen zu beruhigen: „Das ist wunderschön. Seine letzten Gedanken galten dir.“ Und sie begann wieder zu weinen.)
Sie schlief dann wohl wieder ein, wahrscheinlich glücklich und zufrieden. Ihr Geliebter war bei ihr. Sie war in Paris. Sie war jung und schön. Er war ein berühmter Künstler, und er würde wieder schreiben. Und sie würde seine Muse sein. Aber dann wurde sie mit einem Schlag wach. Ein oder zwei Stunden später. Allein, Jim war nicht bei ihr … voller Angst eilte sie ins Bad.
Now run to the mirror in the bathroom. Look!
Und ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich. Er war tot … und in ihrem Kopf geriet alles durcheinander. Überlastung. Gefühle außer Kontrolle. Worte überfluteten ihre Seele. „Allein! Nie wieder! Leer! Halt mich fest! Meine Schuld! Er wird mich nie wieder festhalten! Meine Schuld! Ich bin verloren! Und habe Angst! Oh Gott, warum?! Warum?! Jim!“
In ihrer Panik rief sie den Grafen an. (An wen hätte sie sich sonst wenden können?) Und er kam in ihre Wohnung im Marais. Aber – und das war seltsam – er brachte Marianne Faithfull mit. (Pams Rivalin?) Nein, er kam ohne sie. Marianne Faithfull sagt, sie sei nie dagewesen. Aber wer war es dann? War der Graf überhaupt da? Nein, sie hatte den Grafen nicht angerufen. Sie hatte sich an Alain Ronay gewandt, einen Kumpel von der Universität in L. A., und an Agnes Varda, eine befreundete Filmemacherin. Sie kümmerten sich um alles. Benachrichtigten die Polizei. Die Flics kamen um neun Uhr früh. Nein, sie kamen um fünf. Wer weiß es?
Später wurde berichtet, Jim habe ein Lächeln auf den Lippen gehabt. Diese Vorstellung gefällt mir sehr. Was auch immer mit ihm geschah – er grinste, als er den Abgang machte.
Death, old friend.
Sagt man nicht: Süß ist der Tod? Nun, er verdiente ein süßes Ende. Bei all dem Druck, der auf ihm lastete, dem Schmerz, den Prüfungen, den dunklen Nächten, denen die Seele dieses viel zu jungen Mannes ausgesetzt war, hatte er es verdient, daß er den großen Sprung tat, während das lüsterne Grinsen eines Satyrs seine jetzt so weichen und üppigen Lippen umspielte.
Nein. Er ist überhaupt nicht tot. Er hat seinen eigenen Tod inszeniert. Hatte nicht Agnes Varda Recherchen bezüglich der Geschichte eines französischen Aristokraten angestellt, der in den Zwanzigern seinen eigenen Tod vorgetäuscht hatte und dann in den Marquesas verschwunden war? Mit hundertfünfzig Pfund Ziegelsteinen in einem Sarg und einem gefälschten Totenschein, dann noch ein gekaufter algerischer Arzt, der vielleicht 5000 Dollar erhielt; das war 1971 eine ganz hübsche Summe. Ein oder zwei Freunde als Komplizen – französische Freunde, vielleicht auch aus der Filmbranche, die alles Notwendige veranlassen konnten. In Paris ist doch alles möglich!
Wie lautet also die Geschichte? Werden wir jemals die Wahrheit erfahren? Wollen wir das überhaupt? Ist die Wahrheit für uns wichtig? Und warum? Ich meine, was macht es für einen Unterschied, wie er starb, solange es nicht Mord war? Es ist doch völlig egal, wie ein Künstler diese Erde verläßt. Es geht um die KUNST … sie ist wichtig. Nichts anderes zählt, außer der Kunst. Es geht darum, was wir tun, verdammt noch mal. Jim war ein Künstler. Er will, daß man seinen Worten zuhört. Daß man die Worte tief in sich aufnimmt, bis ins Innerste vordringen läßt, an die geheimsten Orte der Seele. Dorthin, wo das verletzliche Kind lebt. Das Angst hat. Das den Schrecken spürt. Das zart ist. Und süß und zerbrechlich und sanft. Wir sitzen alle im selben Boot. In unserem Inneren sind wir alle gleich. Und wir alle haben Angst.
Aber die Kunst kann uns erlösen. Wir werden zu Schöpfern. Wir werden zu Erfindern. Und das Glücksgefühl, das Entkommen und der große Sprung aus uns selbst heraus – aus dem geschlossenen Kreis, in dem wir uns ständig bewegen –, aus dem Schneckenhaus und dem Panzer unseres Egos, hinein in ein „klareres, reineres Reich“, wie Jim einmal sagte … das ist unsere wahre Bestimmung. Erleuchtete Schöpfer zu werden. Zu wissen, daß alle Dinge eins sind. Das göttliche und ewige Einssein. („Tat tvam asi“ – „Du bist das“, wie man in Indien sagt.) Und es dann zu wagen, aus diesem Einssein eine Dualität herauszuarbeiten. Sich dafür zu entscheiden, etwas zu erschaffen. Die Wahl einer Existenz zu treffen. Wir alle sind Schöpfer. Und diese Existenz ist unsere Schöpfung. Sie gehört uns, und wir sind es, die für diese ganze verdammte Sache verantwortlich sind!
Das ist Kunst. Für mich ist es auch das, was dem Musikmachen zugrunde liegt. Die Noten aus dem Nichts zu ziehen. Für Jim ging es darum, Worte aus dem Äther zu holen. Sie dann phantasievoll gegeneinanderzustellen. Bilder, tiefgründig und durchdringend. Bekenntnisse. Manchmal profan, oft durchdacht. Und nie ohne Bedeutung. Meist gab es sogar mehrere Bedeutungsschichten. Ich liebte es, seinen Worten zuzuhören. Was für eine Tiefe, was für ein Spiel mit Wendungen. Ein Mann des Wortes, fürwahr.
O great creator of being, grant us one more hour
to perform our art and perfect our lives.
Das wollte ich für seinen Grabstein.
Coda queen, be my bride.
Rage in darkness by my side.
Seize the summer in your pride.
Let’s ride!
Das war für Pam.
Wild child, natural child.
Not your mother’s or your father’s child;
you’re our child, screaming wild.
Das war für Danny.
Well, she’s fashionably lean,
And she’s fashionably late.
She’ll never rank a scene,
She’ll never break a date.
But she’s no drag,
Just watch the way she walks,
She’s a twentieth-century fox.
Das war für Dorothy.
Persian night, babe.
See the light, babe.
Jesus!
Save us!
Das war für ihn.
I love the friends I have gathered together on this thin raft.
We have constructed pyramids in honor of our escaping.
Das war für John und Robby.
Lost in a Roman wilderness of pain.
And all the children are insane,
Waiting for the summer rain.
Das war für uns alle.
Seine Worte. Sie hatten stets etwas Magisches. Sie boten Zuflucht vor dem irren Geheul der Nacht. Ich wußte, daß wir Menschen waren, stark, gut und göttlich, wenn ich seine Verse las. Ich wußte, daß wir alle dem Schrecken etwas entgegenzusetzen hatten. Seine Worte zeugten von der Macht unserer Schöpfung. Sie bewiesen, daß wir den Willen hatten, durch Kunst etwas zu erschaffen. Sie zeigten, daß wir fähig waren, uns in höhere Gefilde zu bewegen, aus dem Schlamm emporzusteigen, bis zu dem großen goldenen Gestirn, das uns wärmt und schützt. Bis zur Sonne – dieser glühenden Scheibe, dieser Manifestation unserer Erschaffung, als wir kraft unseres Willens Leben aus Leben entstehen ließen. Diese Energie, göttlich und menschlich. Von uns, uns allen. Und Jims Worte. Für uns, für uns alle.
In that year we had an intense visitation of energy.
Jenes Jahr, in dem wir die intensive Energie derart spürten, begann im Sommer 1965 und endete am 3. Juli 1971.
***
Ich sah Jim Morrison zum letztenmal im Frühjahr 1971, im Aufnahmestudio in Los Angeles, 8512 Santa Monica Boulevard, an der Kreuzung von La Cienega und Santa Monica. Wir hatten das Büro und den Proberaum der Doors für die „L. A. Woman“-Sessions zum Studio umgebaut. Wir kannten den Sound in diesem Raum. Wir fühlten uns dort wohl. Die Vibrations waren durch jahrelanges gemeinsames Proben, Lachen, Philosophieren, Trinken und Kiffen bestens getunt. Das war ein Zuhause für uns. Und dieses Mal würden wir auch selbst produzieren.
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