Die tricktechnische Nachbearbeitung, die bereits im November 1984 begann, stellte sich als extrem kompliziert heraus. Emmerich wäre beinahe daran verzweifelt. Mit der Arbeit eines Berliner Trickstudios, das er für verschiedene Bluescreen-Tricks angeheuert hatte, war er alles andere als zufrieden, weshalb unzählige Effekt-Aufnahmen noch einmal wiederholt werden mussten. Ein weiteres Mal griffen seine Effekt-Magier tief in die Trickkiste und warteten mit allem auf, was bis dahin als Domäne amerikanischer Visual-Effects-Spezialisten galt: von der altehrwürdigen Stop-Motion-Technik, bei der Gegenstände einzelbildweise aufgenommen werden, was im fertigen Film den Eindruck von echter Bewegung vermittelt, über „Matte Paintings“, gemalte Filmkulissen, bis hin zur Technik der „Travelling-Matte“, also Wandermasken, mit denen sich Modelle in Realaufnahmen einkopieren oder für superrotoskopierte Zeichentrick-Effekte nutzen lassen.
Aufgrund der komplizierten Trick-Arbeiten wurde der Starttermin des Films mehrfach verschoben. Es war vor Beginn des Drehs einfach für niemanden kalkulierbar gewesen, wie groß der Aufwand werden würde, schließlich hatte vorher noch kein deutscher Regisseur ein tricktechnisch ähnlich anspruchsvolles Unternehmen gewagt.
Mit Joey gelang Emmerich der Beweis, dass Effekt-Kino von internationalem Format auch in Deutschland realisierbar war und dazu den Vorteil hatte, wesentlich billiger zu sein als die Gegenstücke aus Hollywood. Er hatte gelernt, mit einem engagierten Team und viel technischem Know-how eine Produktion auf die Beine zu stellen, die wesentlich aufwendiger wirkte, als sie in Wirklichkeit war. Und obgleich in sämtlichen Medien kolportiert wurde, Joey habe zehn Millionen Mark verschlungen, waren es letztlich nicht einmal dreieinhalb.
Interview mit Roland Emmerich:
„Keine Angst, etwas nachzumachen“
Wie kommt man als Regisseur in einem Land, das vom hochintellektuellen Autorenkino dominiert wird, dazu, phantastisches Kino zu kreieren?
RE: Das muss man natürlich im Kontext sehen. Die ganzen Autorenfilme, die in Deutschland gedreht wurden, sind als Antwort auf eine ziemlich verkorkste Kinoindustrie zu sehen, die eigentlich nur noch Heimatfilme, ein paar Karl-May-Adaptionen oder Edgar-Wallace-Streifen auf den Markt gebracht hatte. Jetzt, in den 1980er Jahren, hat sich einiges geändert. Die Autorenfilmer haben es nie geschafft, das große Publikum zu erreichen. Anders als etwa die französischen Regisseure konnten sie nicht von ihren Werken leben. Vor einigen Jahren wurde hierzulande der Unterhaltungsfilm wiederentdeckt und alle haben geschrien: „Wir machen jetzt Unterhaltungskino.“ Gemacht hat es allerdings kaum einer. Deshalb sehen sich die meisten Kino-Zuschauer auch heute lieber amerikanische als deutsche Filme an. Durch Leute wie Günther Rohrbach und Bernd Eichinger, die Das Boot beziehungsweise Die unendliche Geschichte produziert haben, ist bei mir und anderen einfach das Interesse entstanden, Filme zu inszenieren, die einem internationalen Standard genügen, die kommerziell angelegt und unterhaltend sind. Ich bin nach wie vor ein begeisterter Kino-Zuschauer.
Man hat den Eindruck, dass deutsche Regisseure am liebsten Dialogfilme inszenieren, die Kamera aufstellen und drauflosfilmen. Bei Ihnen scheint das anders zu sein. Das Arche Noah Prinzip war ein Unterhaltungsfilm, der seine Wirkung vor allem durch eindrucksvolle Bilder erzielte. Was sind Ihre Kino-Vorbilder?
RE: Ich komme tatsächlich mehr von der visuellen Seite. Film bedeutet nämlich, dass man die Kamera nicht nur aufstellt, sondern viele Fahrten macht. Man braucht beim Dreh wesentlich mehr Einstellungen, als man später überhaupt verwendet. Am Schneidetisch wird der Film montiert und sowohl Geschwindigkeit als auch Rhythmus werden festgelegt. Wenn zum Beispiel bei Joey ein Kind in eine bestimmte Richtung blickt und etwas Schreckliches passiert, dann schneide ich nicht nur eine Großaufnahme des Gesichts ein, sondern mache eine Kamerafahrt aus Untersicht. Ich versuche durch Bewegungen, die eine Kamera auszuführen imstande ist, so etwas wie eine Grund-Dramatik zu erzeugen.
Zu meinen Vorbildern: Ich bin ein echter Anhänger des letzten Hollywood-Kinojahrzehnts, über das hierzulande so viel gelästert wird. Ich finde das, was die Filmemacher in den vergangenen zehn Jahren in Hollywood inszeniert haben, einfach exzellent. Alien zum Beispiel ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme, weil er rein visuell aufgezogen, total gestylt ist. Da stimmt einfach alles: ein unheimlich gutes Produktions-Design, eine wahnsinnig tolle Kamera, perfekte Schauspieler und eine sehr gute Inszenierung. Die Story ist sehr einfach gehalten und rein auf die visuellen Effekte und Bewegungen des Films abgestimmt – perfekt! Ich glaube, meine Vorbilder und mein Geschmack decken sich so ziemlich mit den in letzter Zeit erfolgreichen Filmen.
In Das Arche Noah Prinzip zitieren Sie viel. Es gibt zahlreiche Anspielungen auf Spielberg-, Lucas- und Kubrick-Filme. Mögen Sie solche cineastischen Anspielungen?
RE: Ich zitiere unheimlich gern. Es ist eine Möglichkeit, die Arbeit dieser Regisseure zu würdigen und auf die Filmemacher anzuspielen, die jene Art von Kino geprägt haben, das ich in Zukunft machen möchte. Außerdem macht es riesigen Spaß, Zitate zu bringen. Das ist dann auch der Charakter, der Filmen wie Das Arche Noah Prinzip zu eigen ist. Wenn jemand einen solche Film sieht, sollte er im besten Falle denken: „Mensch, der ist auf dem Weg, irgendwann großes Science-Fiction-Kino zu machen.“ Übrigens: Bei Joey habe ich noch viel, viel mehr zitiert, das ist ein Film, der nur aus Film-Zitaten besteht.
Die Story von Joey mutet an wie eine Mixtur aus Spielbergs E.T. und dem von ihm produzierten Poltergeist. Ist Spielberg Ihr Vorbild?
RE: Ich finde einfach drei oder vier seiner Filme sehr gut. Vor allem Unheimliche Begegnung der dritten Art hat mir sehr gefallen. Sehr schön fand ich aber auch E.T., Sugarland Express oder Der weiße Hai. Letzteren finde ich deswegen so toll, weil er einer der am erstaunlichsten montierten Filme aller Zeiten ist. Steven Spielberg dreht sehr gut und verwendet viele komplizierte Kamerafahrten. Eine Sache, die ich auch sehr liebe.
Fasziniert Sie die Hollywood’sche Synthetik-Welt à la Krieg der Sterne? Den Roboter R2D2 sieht man als Spielzeug sowohl in Das Arche Noah Prinzip als auch in Joey.
RE: Total! In Joey spielt zum Beispiel ein kleiner Roboter mit, der allerlei Kapriolen macht. Ich wollte einfach mal einen Film drehen, in dem ich eigene Sehgewohnheiten verarbeite und den ich mir selbst im Kino gerne anschauen würde. Angst davor, dass es da und dort mal Ähnlichkeiten zu anderen Filmen gibt, habe ich überhaupt nicht. Grundsätzlich glaube ich, dass wir in Deutschland einfach zu viel Angst haben, etwas nachzumachen. Dabei sind viele amerikanische Kino-Hits im Grunde genommen Remakes anderer Filme. Francis Ford Coppola hat vor wenigen Jahren Der schwarze Hengst produziert. Die Drehbuchautorin Melissa Mathison schrieb auch E.T. Beide Filme erzählen aber eigentlich die gleiche Geschichte, nur ist bei E.T. aus dem Pferd ein Außerirdischer geworden. Man versucht heutzutage einfach, gängige Sujets witziger und aktueller zu gestalten. Früher hatten wir Cinderella oder Peter Pan, heute eben etwas anderes. Die neuen Figuren sehen vielleicht ein bisschen hässlicher aus, sind aber genauso liebenswert. Die meisten neuen Geschichten sind letztlich nur Varianten altbekannter Plots. Ich glaube, dass nichts neu erfunden, sondern nur neu erzählt wird. Und hier in Deutschland denkt überhaupt niemand darüber nach.
Sie sprechen jetzt ziemlich viel vom Unterhaltungskino. Was halten Sie von der Behauptung des US-Kultregisseurs John Carpenter, dass Filme sich nicht für Botschaften eigneten?
RE: Carpenter inszeniert eben solche Filme und überlegt sich erst danach, wie er untermauern kann, was er da gedreht hat. Ich glaube, das ist schlichtweg Blödsinn. Die Brücke von Bernhard Wicki hat eine Botschaft, gleiches gilt für The Day After. Letzteren finde ich persönlich zwar nicht gut, aber er hat eine Botschaft.
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