„Zwei Freunde auf der Jagd nach dem Traum von Hollywood“, so resümierte der Verleih den Film Hollywood Monster. Es könnte auch als Motto für Emmerich und seine Crew stehen, denn die Kinobesessenen wollten bei dieser Produktion einmal mehr den Beweis antreten, dass sich Hollywood auch in Deutschland realisieren lässt. Wieder steht das Team vor der Aufgabe, die Visual Effects selbst herzustellen. Zu diesem Zweck wird in der Magstadter Lagerhalle, in der auch Joey entstand, ein Trickstudio eingerichtet. Lange vor dem eigentlichen Dreh soll hier schon mit den Arbeiten begonnen werden und so werkeln Dutzende von Modellbauern mit Hilfe von Spielzeug-Bausätzen an Miniatur-Landschaften, Häusern und Autos.
Eine besondere Herausforderung für die engagierten Trickser ist die Herstellung des titelgebenden Monsters, das eher niedlich denn bedrohlich daherkommen soll. Louis, der ein wenig wirkt, als hätte sich E.T. in einen englischen Butler verwandelt, wird nach den Entwürfen des Regisseurs von Trick-Bastler Joachim Grüninger als vollbewegliche Latexpuppe geschaffen. Sie wird von verschiedenen Puppenspielern bewegt, denen es mittels Fernsteuerung möglich ist, die Gesichtszüge der Puppe zu kontrollieren. Augen, Ohren, Mund und Nase können seperat gesteuert werden, womit der kleine, runzlige Kobold über eine mimische Ausdrucksbreite verfügt, um die ihn so mancher Schauspieler beneiden dürfte. Tatsächlich wirkt das Kunst-Geschöpf aus der Trick-Hexenküche so überzeugend, dass Louis schon bald wie ein ganz normales Crewmitglied behandelt wird.
Wenngleich die Arbeiten an den Special Effects Fortschritte machen, die Vorbereitungen für den Realdreh stellen sich als äußerst schwierig heraus. Emmerich erfährt, dass die Sindelfinger Ausstellungshalle, in der er die Szenen mit den Schauspielern drehen will, zum gewünschten Zeitpunkt nicht zur Verfügung steht. Die Crew ist deshalb gezwungen, die Studioaufnahmen ebenfalls in der Magstadter Lagerhalle zu realisieren. Dort jedoch sind die Decken so niedrig, dass die Beleuchtungstechniker Probleme haben, ihre Schweinwerfer entsprechend auszurichten.
Weil Hollywood Monster sich ähnlich wie Joey nicht auf den deutschen Markt beschränken, sondern international herausgebracht werden soll, will Emmerich auch diesmal in Englisch drehen und amerikanische Schauspieler engagieren. Eine Hollywood-Agentur schlägt ihm 70 potentielle Kandidaten für die Hauptrollen vor, von denen Emmerich schließlich drei bei einem Casting in Los Angeles für den Film verpflichtet: Die Rolle von Warren gibt er Jason Lively, der schon in zahlreichen Werbespots aufgetreten ist und für Hollywood-Produktionen wie Project Brainstorm, Hilfe, die Amis kommen oder Die Nacht der Creeps vor der Kamera stand. Sein Freund Fred wird von Tim McDaniel verkörpert, der bereits in einem kurzen TV-Lehrfilm und der US-Show Sledgehammer auftrat, der Part des „Love Interest“, des schönen Mädchens an der Seite der Jungs, geht an Jill Whitlow, die als Model arbeitet und ebenfalls Filmerfahrung besitzt. Sie spielte sowohl in Peter Bogdanovichs Die Maske als auch in Porkys oder L.I.S.A – Der helle Wahnsinn. Bei den Dreharbeiten von Die Nacht der Creeps hatte sie Jason Lively kennengelernt, mit dem sie nun wieder vor die Kamera treten soll.
Emmerich beendet das Casting Ende August 1985 und fliegt zurück nach Magstadt. Er kontrolliert den Fortschritt der Trickarbeiten und die inzwischen aufgebauten 1:1-Innenkulissen von Freds und Warrens Haus. Sein Kameramann, Herbert Umbrecht, hat schon zahlreiche Probeaufnahmen gemacht. Wichtig sind auch die Außenaufnahmen des Stan-Gordon-Pictures-Filmstudios, in dessen Kellergewölben der Schatz versteckt sein soll. Dieses existiert allerdings nur im Miniaturformat. Die Fahrt der Helden auf das Studiogelände kann damit auch nur en miniature gedreht werden. Dafür montiert Umbrecht seine Kamera auf einen Mini-Wagen und verwendet das Vorsatzmodell einer Windschutzscheibe. So entsteht später im Film der Eindruck, der Zuschauer sitze im Auto und fahre über das Gelände der Studios. Obwohl Aufnahmen dieser Art äußerste Konzentration erfordern, weil jedes winzige Ruckeln den Trick sofort entlarven würde, lohnen sie sich. Schließlich spart sich die Crew dadurch teure Außenaufnahmen.
Die Haupt-Dreharbeiten stehen dann gerade kurz bevor – als das Schicksal zuschlägt. Kameramann Herbert Umbrecht stirbt völlig unerwartet am 5. September. Die Crew ist wie paralysiert, die Arbeit wird unterbrochen, der Dreh verschoben. Emmerich macht sich schließlich auf die Suche nach einem neuen Kameramann und engagiert einen ehemaligen Kommilitonen von der HFF, Karl Walter Lindenlaub. Er wird später mit Emmerich das perfekt aufeinander eingespielte Dreamteam von Moon 44, Universal Soldier, Stargate und Independence Day bilden.
Obwohl Lindenlaub noch keine Erfahrung mit Trickaufnahmen hat, steigt er in das Projekt ein. Zusammen mit dem Regisseur tüftelt er akribisch am visuellen Konzept des Films und entscheidet sich für kräftige Bonbonfarben. Sie eignen sich hervorragend, um dem Zuschauer auf unterbewusster Ebene zu suggerieren, dass die Story von Hollywood Monster nicht in der Realität, sondern in der völlig künstlichen Welt des Kinos angesiedelt ist. Schließlich dreht sich hier alles ausschließlich ums Filmemachen. Das, was Warren, Fred und Laurie erleben, könnte gar ein kompletter Film im Film sein.
Nach dem Studiodreh in Magstadt fliegt das Team für einen Monat nach Los Angeles, um dort die notwendigen Außenaufnahmen zu filmen. Dort, in der Welthauptstadt der Kino-Illusionen, ist alles perfekt organisiert, aber wahnsinnig teuer. Eine Drehgenehmigung verschlingt schnell mehrere tausend Dollar, Straßenabsperrungen müssen schließlich ebenso bezahlt werden wie Polizeibeamte und Feuerwehrmänner. Um das Budget zu schonen, dreht Emmerich mehrmals ohne Genehmigung, nach der von Independent-Produktionen praktizierten Grab and run-Methode: einfach filmen – und schnell zusammenpacken und abhauen, sobald die Polizei im Anmarsch ist!
Einmal wird das deutsche Team tatsächlich von den Ordnungshütern erwischt und verwarnt. Seit er große Studioproduktionen wie Stargate, Independence Day oder Godzilla inszeniert, kann Emmerich auf das spontane Filmen allerdings getrost verzichten. Doch nach wie vor ärgert es ihn, dass in Amerika blitzschnell Hunderte von Mitarbeitern den Drehort bevölkern, die vor dem Hintergrund gewerkschaftlicher Bestimmungen engagiert werden müssen, aber nicht das Geringste zu tun haben.
Obwohl Hollywood Monster im Kino kein großer Erfolg beschieden war, stellte er für den Selfmademan in künstlerischer Hinsicht einen großen Fortschritt dar, zeigte sich doch, dass er jetzt der filmischen Experimentier-Phase entwachsen war und die Klaviatur des Kino-Entertainments souverän zu beherrschen begann. Wenngleich die Story auch diesmal eher simpel gestrickt war, besitzt sie doch sehr viel Charme. Mit viel künstlichem Rauch, zuckenden Special-Effects-Blitzen und schönen Bildern bringt Emmerich eine kecke Liebeserklärung an die Traumfabrik auf die Leinwand, eine Hommage an all die Verrückten dieser Branche.
Interview mit Roland Emmerich:
„Manchmal packt mich die Wut“
Was reizt Sie am phantastischen Kino?
RE: Ich drehe gerne im Studio. Und wenn man das macht, ist der Schritt zum Science-Fiction- oder Phantastik-Genre nicht allzu weit. Leider ist es so, dass gerade diese Genres in Deutschland ziemlich in den Hintergrund getreten sind. Es ist aber eine Gattung, in der man eigentlich alles machen kann. Im Rahmen der Science Fiction kann man Liebesgeschichte, Thriller oder Horror-Story erzählen. Star Wars zum Beispiel ist eine Art Rittermärchen, Alien ein klassischer Horrorfilm.
Eigentlich haben alle guten Science-Fiction-Filme mit Science Fiction relativ wenig zu tun. Das Genre ist nur eine Hülle, in die man jede Art von Dramaturgie stecken kann.
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