Bernhardt hatte stets zahlreiche Pläne im Hinterkopf und bereits am 14. Mai ein Schreiben an Voltz geschickt, in dem es heißt: »Ich schicke Ihnen eine Karte zu. Sammeln Sie diese unter dem Thema ›Bearbeitung der Neuauflage des PERRY RHODAN-Lexikons‹. Diese Sache wird in absehbarer Zeit auf uns zukommen.«
Vielleicht wurde bei dem Gespräch Mitte Juli auch der Plan geboren, das PERRY RHODAN-Lexikon neu herauszubringen. Auf jeden Fall erfolgte daraufhin eine stärkere Einbindung von Lesern, die künftig bei der Neuverwertung älterer Romane auf inhaltliche Stimmigkeit achteten. Als einige Jahre später die Reihe der PERRY RHODAN-Silberbände startete, übernahm Franz Dolenc diese Aufgabe.
Ein Marineoffizier im All
Im August 1975 startete im Pabel Verlag mit dem Band »Seiner Majestät Lieutenant« die Romanserie SEEWÖLFE. Sie bildete eine Besonderheit, erschien sie doch in dem damals völlig neuen Format des Taschenhefts, das Ende der Neunzigerjahre von Bastei-Lübbe für Serien wie DIE UFO-AKTEN und VAMPIRA wieder aufgegriffen wurde.
Bei SEEWÖLFE handelte es sich um gekürzte Übersetzungen der englischen Seefahrer-Serie FOX eines gewissen Adam Hardy. Die Hauptfigur war der Brite George Abercrombie Fox, der seine Abenteuer während der Napoleonischen Kriege erlebt.
Hierzulande ahnte unter den Lesern niemand, dass der Autor als Arthur Frazier und Neil Langholm mit WOLFHEAD und THE VIKINGS auch zwei Wikinger-Serien verfasst hatte. Sie sind nie ins Deutsche übersetzt worden. Und es ahnte auch niemand, dass sich hinter Adam Hardy ein SF-Autor verbarg!
In Wahrheit hieß Hardy nämlich H. Kenneth Bulmer und war ein 1921 in London geborener Profischriftsteller, der seit 1952 schon mehr als sechzig SF-Romane veröffentlicht hatte. Und nicht nur das: Seit Jahrzehnten unterhielt er Verbindungen zu diversen deutschen SF-Spezialisten im Umfeld von PERRY RHODAN. Seine ersten Lektoren hierzulande waren Clark Darlton und Günter M. Schelwokat.
Darlton hatte ihn nicht nur 1954 in seine legendäre Heftreihe UTOPIA-GROSSBAND aufgenommen, sondern auch drei seiner Romane selbst ins Deutsche übersetzt, Schelwokat veröffentlichte ihn in den verschiedenen TERRA-Heftreihen und brachte ihn außerdem zu Taschenbuchehren – zuletzt in UTOPIA CLASSICS.
Auch bei Goldmann und Bastei-Lübbe erschienen damals Romane aus Bulmers Feder, aber Anfang der Siebzigerjahre kannte man ihn am ehesten als Verfasser eines sechsteiligen Zyklus über Weltentore, die von einer mächtigen und skrupellosen Organisation beherrscht und kontrolliert werden. Der »Dimensionszyklus« erschien zwischen 1972 und 1974 in TERRA ASTRA und wurde ab 1984 in dieser Reihe sogar nachgedruckt, was Bulmer veranlasste, eigens für Schelwokat einen neuen siebten Roman zu schreiben, der aber wegen der Einstellung der deutschen Heftreihe nicht mehr erscheinen konnte.
In England und Amerika erschienen Bulmers Romane unter einer Vielzahl von Pseudonymen, während er in Deutschland für seine SF fast immer – außer bei Philip Kent und Tully Zetford – seinen richtigen Namen verwendete. Allerdings hatte er 1972 noch eine Science Fantasy-Serie gestartet, die zu seinem größten Erfolg überhaupt werden sollte. Für sie hatte er sich ein brandneues Pseudonym ausgedacht: Alan Burt Akers.
Der erste Band seiner Saga von Dray Prescott, »Transit nach Scorpio«, enthält bereits alles, was die Serie auszeichnen sollte. In der Tradition von TARZAN-Autor Edgar Rice Burroughs schildert Bulmer darin einen Marineoffizier, der gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts von einer rätselhaften Macht, deren Symbol der Skorpion ist, nach Kregen versetzt wird, auf eine wilde, barbarische Welt, auf der es von unterschiedlichen Rassen wimmelt. In einem Hexenkessel aus Intrigen und Verrat greift er dort im Auftrag seiner unbekannten Herren, die allein ihn wieder in die Heimat versetzen können, in die Geschehnisse ein.
In Deutschland sollte diese Serie noch erfolgreicher werden als in Großbritannien und den USA. Nach siebenunddreißig Bänden erschienen die weiteren Romane als Originalausgaben, in halbjährlichen Abständen exklusiv geschrieben für den deutschen Markt. Erst 1997 beendete Bulmer mit Band 53 seine Serie aus Alters- und Krankheitsgründen.
Der erste Band im Heyne Verlag war zeitgleich mit dem Start der SEEWÖLFE erschienen, übersetzt von seinem literarischen Agenten Thomas Schlück, der den Grundstock seiner erfolgreichen Agentur einige Jahre zuvor Clark Darlton abgekauft hatte.
Piraten und Science Fiction
Nach vierzehn Ausgaben erfolgte eine Umstellung bei den SEEWÖLFEN. Die Abenteuer von George Abercrombie Fox waren abgeschlossen, und so trat im August 1975 eine andere Hauptfigur an deren Stelle: Oliver Lancelot Killigrew, Kaperfahrer und Blockadebrecher, Entdecker und Eroberer zur Zeit des berühmten Weltumseglers Francis Drake. Auch seine Abenteuer erschienen vorerst noch zweiwöchentlich und im Taschenheftformat.
Cheflektor Kurt Bernhardt hatte die Idee gehabt, die erfolgreiche FOX-Serie durch eine deutsche Serie fortzusetzen, die nach dem Vorbild von PERRY RHODAN aufgebaut war. Das hieß, es gab ein festes Autorenteam, und die Romane wurde nach Exposés verfasst. Außerdem gab es eine Leserseite, die sinnigerweise »Schatztruhe« genannt wurde.
Bernhardt fand auch die richtigen Mitarbeiter: Wilhelm Kopp, der als Davis J. Harbord schrieb, verfügte über ein großes nautisches Archiv, und seine Kollegen Manfred Wegener und Hermann Werner Peters hatten beide viel Serienerfahrung vorzuweisen.
Wundert es noch jemanden, dass sie die auf SF-Gebiet gesammelt hatten? Wegener hatte schon bei MARK POWERS mitgeschrieben und nach einem Intermezzo bei REN DHARK mit H. G. Francis zusammen die leider recht kurzlebige SF-Serie REX CORDA gegründet, und Peters, schon bei REN DHARK mit zwölf Romanen vertreten, hatte anschließend als Bert Stranger und Staff Caine auch bei Kurt Brands pazifistischer SF-Serie RAUMSCHIFF PROMET mitgewirkt. Nach Brands Weggang hatte er sogar die Leitung übernommen. Später war er als Redakteur und Autor zu JERRY COTTON gewechselt. Jetzt arbeitete er in beiden Funktionen für Pabel und verantwortete unter anderem die verlagsinterne Betreuung des PERRY RHODAN REPORTs.
Wegener, der bei den SEEWÖLFEN als Fred McMason schrieb, konnte bei der Exposéarbeit für diese Serie hervorragend seine Kenntnisse als Steuermann nutzen. Nach dem Vorbild des PERRY RHODAN COMPUTERs brachte er unter der Überschrift »Klabautermann« sein seemännisches Wissen noch in einhundertsechzig zusätzlichen Beiträgen an den Leser. Und auch Titelbildzeichner Firuz Askin, der Jahrzehnte später als Karl May-Illustrator für den Weltbild Verlag von sich reden machen sollte, profitierte von seiner Sachkundigkeit.
Schon kurz nach Einführung der neuen Heftromanserie wurde nach dem Vorbild der PLANETENROMANE zudem eine Taschenbuchreihe mit den SEEWÖLFEN gestartet, für die Wegener den Großteil der Bände selber verfasste. Hier stand jedoch nicht der Freibeuter Killigrew, sondern ein Schiffsjunge im Mittelpunkt der Handlung.
Die Arbeit für die SEEWÖLFE nahm Wegener voll in Beschlag. Wie intensiv er sich in die Thematik vertiefte, zeigt sich darin, dass er 1987 im Franz Schneider Verlag ein nautisches Lexikon vorlegte. Es trägt den Titel »Seefahrt A–Z. Schiffe, Seefahrer, Seemannschaft, Tips für die Praxis«. Wilhelm Kopp trug dazu eine Fülle an Hintergrundmaterial bei.
Wegener bedauerte es, dass die Arbeit an den SEEWÖLFEN ihm keine Zeit mehr ließ, Science Fiction zu schreiben, und so nahm er 1989 den Jubiläumsband 700 zum Anlass, die Galeone Killigrews kurzfristig ins Jahr 1943 zu befördern. Er erfand einfach eine neue Handlung um das Philadelphia-Experiment, ein Zeitreise-Experiment der amerikanischen Marine. Danach geriet Killigrews Crew wieder in historisches Fahrwasser.
Kurzbiografie: Manfred Wegener
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