In der Mittagspause ging er zum Plattenladen um die Ecke und legte sich die neue Beatles-Single „Strawberry Fields Forever“ zu. Er legte sie auf Cayces Plattenspieler.
Statt sich im Takt zu wiegen, stand Cayce wie angewurzelt da und hörte sich den ganzen Song konzentriert an, bis zum mysteriösen Fade-Out. Bewusstseinserweiterung? Keine Spur!
„Viel zu dünn“, meckerte er und ging aus der Regie.
Im Laufe der nächsten Woche nahmen wir laaaangsam einige Takes auf und achteten dabei auf zweistimmige Harmonien, nicht zu vergessen Glens verzerrte Gitarrenlinien, mit denen er Vince’ nach einer Garagen-Band klingenden Gesang unterstützte.
„Hört sich nicht schlecht an“, meinte Glen beim Vorspielen des Endresultats. Vielleicht war Cayce doch ein passabler Produzent.
Santa Cruz Records veröffentlichten die Single und bemusterten damit das Radio in Tucson und Phoenix. In der am 27. Oktober 1966 endenden Woche erreichte „Don’t Blow Your Mind“ den 11. Platz der KFIF-Boss-Radiocharts. Nicht schlecht für einen Haufen Schuljungen!
Was das Engagement im VIP anbelangte: Meiner Meinung nach konnten wir es nur mit einem sich ständig verändernden Programm verlängern und attraktiv machen. Darüber hinaus beschlich mich ein Gefühl, dass wir das Image so oft wie möglich erneuern mussten, um die Leute nicht zu langweilen. Vince, Glen, Michael, John und ich teilten diese Auffassung, und wir machten uns daran, sie wie Besessene umzusetzen.
Wir klopften jede Idee ab, egal wie dämlich sie erschien. Die Küche des VIP wurde die Hauptquelle für Bühnenrequisiten. Nach allen nur erdenklichen Küchenutensilien beinhaltete die Show Servietten, Strohhalme und Spachtel.
Charlie Carnal, unser Lichttechniker, machte bei der „Konzeptualisierung extrem“ mit und unterstützte die psychedelische Transformation. Er baute einen Kasten und betitelte das Ding als Lobster-Strobe. Es bestand aus einer Munitionskiste, die er sich in einem Army-Navy-Geschäft zugelegt hatte, aufgemotzt mit einer extrem starken Lichtquelle und reflektierender Aluminiumfolie. Ein Elektromotor trieb eine Metallscheibe mit Ausbohrungen an, wobei man einen einlullend hypnotischen und Stroboskop-ähnlichen Effekt erzielte.
Charlie konstruierte auch die sogenannten Flasher-Lights, lange hölzerne Kisten, die er am vorderen Bühnenrand platzierte und die die Decke anstrahlten. Vor den Spots hingen gebogene Folien, gefüllt mit bei Hitze verlaufender Gelatine und Ölen, wodurch über uns ein Panorama von beeindruckend intensiven Farben und Farbverläufen entstand. Die Lichtshow wurde von Charlie mithilfe einer Schalttafel angesteuert, die er die „Orgel für Arme“ nannte. (Wenige Jahre später traten wir in dem Film Tagebuch eines Ehebruchs auf. In einer kurzen Sequenz sieht man Charlie beim Bedienen der Regler.)
Ein anderer Lichteffekt basierte auf einer ca. 1,60 Meter breiten Scheibe aus Sperrholz mit Löchern. Wir nannten das Ding das „Lichtrad“. Allerdings nutzte Jack bei den Radio-Jingles für das Ding einen weitaus lautmalerischeren Namen – die „elektro-luzierende Bewusstseinsmaschine“.
Am Ende eines Auftritts geschah es häufig, dass wir die Light-Show zertrampelten, was Charlie aber kaum zu stören schien. Er sammelte die Einzelteile ein und bastelte sie für den nächsten Tag wieder zusammen. Charlie war ein wahrer Künstler, und seine Lichtshow entwickelte sich zu einem wichtigen Teil des Bühnenbildes, sodass wir abstimmten, ihm einen netten Batzen der Gage zu überlassen.
Während wir das sich ständig ändernde Spektakulum verfeinerten und perfektionierten, wurden die Shows provokanter und näherten sich den Grenzbereichen hin zum Extremen. Wenn etwas wie eine Bombe einschlug, schlug es wie eine Bombe ein – aber so richtig! Die Leute kamen, darauf wartend, was wir als Nächstes anstellen würden. Veränderungen fanden nicht im wöchentlichen Rhythmus statt, sondern manchmal von Auftritt zu Auftritt!
Die Kids berichteten ihren Freunden davon, dass wir ihnen Shows präsentierten, die von ihnen beim Nacherzählen natürlich extrem überzogen dargestellt wurden. Natürlich stand Vince darauf und setzte Gerüchte in die Welt, nur um zu sehen, wie sie sich aufblähten und wieder zu uns zurückkamen.
Eines Tages schlenderten wir ins VIP, wo uns Jack Curtis mit einer schlechten Nachricht konfrontierte: Eine japanische Gruppe mit dem Namen Spyders hätte ein neues Album veröffentlicht. Unserer laienhaften Auffassung nach war eine Veröffentlichung mit der Beanspruchung des Rechts am Bandnamen gleichzusetzen. Nachdem sich die erste Schockstarre verflüchtigt hatte, stimmten wir über einen Namen ab, den niemand – auch in einer Trillion von Jahren nicht – auswählen würde. Nach einem Schwall verschiedenster Vorschläge einigten wir uns auf Nazz. Der Begriff stammte von Glens Lieblingssong der Yardbirds: „The Nazz Are Blue“.
Am Ende der Probe war uns ein Song eingefallen, der den neuen Bandnamen unterstrich. Um noch eins draufzusetzen, planten wir, Nazz durch das Tragen von Bärten und Spitzbärten zu versinnbildlichen.
Was die Reaktion von Dad auf die Haarpracht anbelangte – das war hart und haarig. Als Kinder wurden uns die Haare ohne Vorankündigung wie bei einer Blitzattacke am Küchentisch geschnitten. Aber nun spielte sein Sohn in einer Rockband, wovon er nun mal gar nichts verstand. Obwohl sein Lebensmotto „Lerne selbst“ lautete, fühlte er sich hinsichtlich meiner Job-Perspektive berufen, mich eines Tages zur Seite zu nehmen und mir das GESPRÄCH aufzunötigen.
Zufälligerweise befanden sich in der Gesäßtasche meiner Jeans ein Bündel Dollars, die ich gerade erhalten hatte. Zwischen uns stand ein Tisch. Ich legte das Geld darauf und glättete die Scheine. Er sah es sich genau an, nickte und wechselte das Thema. Es war das letzte Mal, dass er mir seine Sorgen hinsichtlich des Musikerdaseins ausdrückte.
Mit der aktuellen „Geld-Infusion“ kaufte ich mir einen cremeweißen Ford Falcon 1964 mit Slicks und einem Tacho. Der Schlitten war cool, und demzufolge musste auch ich cool sein. Mit meinem Wagen und dem Transporter Michaels konnten wir endlich Konzerte außerhalb der Stadt spielen. Langsam rollte es an.
Wir machten eine der wohl schönsten Fahrten in einem babyblauen Mustang, der Michelle Mueller gehörte, einer Freundin der Band, die alle Toodie nannten, ein perfekter Spitzname für eine Frau, die an chronischer Fröhlichkeit litt. Sogar ihr blauer Wagen strahlte überschwängliches Glück aus. Einige Zeit später war sie Vince’ Lieblings-Bergkletterin, mit der er einige Touren veranstaltete.
Das ist ein Vorteil des Musikerdaseins in einer Band: Man zieht einige Leute an, die positive Schwingungen ausstrahlen. Und das konnte Toodie tatsächlich.
Und dann geschah es. Plötzlich erkannten wir es. Die ganz große Perspektive. Endlich enthüllte sich unser Platz im Universum.
Wir spielten in einem winzigen Coffeehouse in Tucson namens Minus One. Plötzlich flog die Tür auf, und eine Truppe mit Naziuniformen marschierte rein, blieb stehen und wartete aufmerksam. Die Gäste schauten sich ungläubig an.
Auch die Band starrte angsterfüllt in Richtung der Rechten, obwohl wir uns auf der Bühne in sicherer Entfernung befanden. Doch die „Bühne“ war tatsächlich eine neben der Bar angenagelte vier- bis sechlagige Sperrholz-Platte, auf der man aus Platzgründen auf Barhockern saß. Die Gäste standen einer nach dem anderen auf, quetschten sich durch die Nazihorde und suchten schleunigst das Weite. Ein junges Mädchen, das allein bei unserer Show getanzt hatte, schaute sich das alles mit verwunderter Neugier an.
Nach dem Gig an der University of Arizona hatten wir das Coffeehouse in der Hoffnung angesteuert, noch einen zusätzlichen Dollar zu verdienen. Eine Tasse Kaffee kostete hier 15 Cents. Die Inhaber waren an sanfte Folkies gewöhnt, doch wir hatten die beschauliche Stimmung durch den ersten Song, eine blitzschnelle Fassung von Chuck Berrys „Nadine“, weggeblasen. Vince widmete den Song allen Kaffee-Fans im Laden.
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