1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Nun war ich ganz offiziell bereit zum Rocken!
John Speer meldete sich auf eine Anzeige in der Phoenix Gazette hin und fand auf diesem Weg ein bescheidenes, aber ordentliches Drum-Set. Vince beschaffte sich ein Tamburin, Maracas und eine Mundharmonika. Obwohl man ihn nie beim Üben „erwischte“, schien er ein gutes Rhythmusgefühl zu haben. Auch entlockte er der Mundharmonika einen intensiven, klagenden Ton.
Natürlich hätte ihn niemand gefragt, ob er einen Gitarrenkoffer oder sogar ein komplettes Schlagzeug in die Höhe wuchtet. Diese Art von Frondienst schien seine Möglichkeiten witzigerweise zu übersteigen. Darüber hinaus hatte er allein schon seine Schwierigkeiten dabei, auf den Inhalt des kleinen Instrumenten-Köfferchens zu achten. Aufgrund dieser „Unfähigkeit“ hinterließ Vince auf seinem Lebensweg eine Spur verschiedenster Gegenstände, sich darauf verlassend, dass sich andere einen krummen Rücken machten, zurückrannten und das Zeug wiederbeschafften. So lebte er nun mal. Vince war mit einer Mutter aufgewachsen, die ihn ständig als kleinen Prinzen verehrte. Diese Angewohnheit lässt sich möglicherweise auf die Kindheit zurückführen, in der man ihn nach zahlreichen Operationen überfürsorglich behandelt hatte. Deshalb wandelte er durch das Leben und verließ sich darauf, dass gewissermaßen alles, was er auf den Boden warf, wieder den Weg in seine Hände fände.
Vince hatte eine dünne nasale Stimme, doch er traf die Noten und behielt die Texte. Sein wohl größter Vorzug lag in der wundervollen geselligen Persönlichkeit, die ihn zum geborenen Frontmann machte. Er war einfach ein sympathischer Typ. Hatte er Charisma? Tja, wenn man mal über den spindeldürren Körper und den riesigen Zinken hinwegsah, erkannte man sein brennendes Verlangen, in jedem sozialen Umfeld zu unterhalten. Und das war so tief verwurzelt und verlief so gleichmäßig wie der Colorado River.
Wenn Vince mit einer seiner fantastischen Geschichten begann, wechselten Glen und ich nur einen flüchtigen Blick und wussten: „Hol die Schaufel raus, er erzählt wieder einen Mist, den man schnell untergraben muss.“ Vince spulte seine Storys ab, die mich jedoch niemals langweilten, die ich ständig hören wollte – sogar bei Wiederholungen. Er hatte durchaus Recht, denn sie verwandelten das normale und routinierte Alltagsleben. Auch interessierten uns die neuen Schlenker, die er in die alten Kamellen einbaute.
Doch auch Gespräche mit Glen hatten einen hohen Unterhaltungswert, obwohl er eher einem griesgrämigen W.C.-Fields-Charakter glich. Er empfand das Leben als so absurd, dass er nicht anders konnte, als ständige Kommentare abzulassen. Wir gewöhnten uns schnell an den Redefluss des ätzenden Spottes.
Die Earwigs verfügten über keinen eigenen Proberaum, und so benutzten wir abwechselnd die Häuser unserer Eltern. Glens Zuhause stand schnell an erster Stelle, da man sich hier über die Privatsphäre einer abgetrennten Garage freuen durfte. Allerdings gleicht eine Garage in Phoenix eher einem Heizofen, und man könnte dort seitliche Schilder anbringen: BÄCKEREI, GRILL, BARBECUE.
Glens Vater arbeitete gemeinsam mit Vince’ Daddy in einer Fabrik namens AiResearch, wo Turbolader und Ausrüstung für den Raketenbau gefertigt wurden. Mr. Buxton hegte natürlich die Hoffnung, dass Glen – bedenkt man sein Interesse an technischen Spielereien – auch eines Tages dort arbeiten würde. Die Firma schien eine deutlich hoffnungsvollere Zukunft zu bieten als eine Karriere mit den Earwigs. Doch alles, was einem Wecker oder einer Stechuhr glich, löste bei Glen eine Phobie aus, die mit Begleitsymptomen wie ausgeprägtem Ekel einhergingen. Was die Stunden des Tageslichts anbelangte, war Glen immer auf der Hut.
Wie viele jüngere Geschwister stand er im Schatten eines älteren Bruders, der schon einiges erreicht hatte. Glen beschlich das Gefühl, ständig mit Ken verglichen zu werden, einem schlauen Köpfchen – und zugleich ein in praktischen Belangen höchst geschickter Mann.
Während einer unserer verschwitzten Brutkasten-Proben öffnete sich die Garagentür, und Glens Familie kündigte einen Wochenendurlaub an.
Mrs. Buxton starrte Glen mit einem stahlharten Blick an: „Wir vertrauen dir, dass du auf das Haus Acht gibst“, forderte sie mit einem bedrohlichen Unterton. Wie schon erwähnt, sah es in Glens Haus sauber, aufgeräumt und höchst ordentlich aus. Wenn wir auch nur einen Hauch von Fehlverhalten hätten an den Tag legen wollen, so stoppte uns Mrs. Buxtons unheilvoller Gesichtsausdruck von einer auf die andere Sekunde. Man nannte ihn den „bösen Blick“.
Glen machte eine lapidare Handbewegung und antwortete: „Du musst dir überhaupt keine Sorgen machen.“
Nach einigen weiteren bedrohlichen Blicken stiegen seine Eltern in den Wagen und fuhren fort.
Glen warf einen verstohlenen Blick die Straße hinunter und frohlockte: „So, wir werden jetzt im Wohnzimmer proben!“
„Bis du wahnsinnig?“, versuchte ich einzuwerfen.
„Und wie soll ich auf das Haus aufpassen, wenn ich in der Garage bin?“
Wir marschierten also vorsichtig in das verbotene Paradies des von einer Klimaanlage gekühlten Wohnzimmers. John schnappte sich den Fußabtreter von der Haustür (mit einem aufgestickten „Welcome“) und legte ihn unter das Bass-Drum-Pedal, damit das Schmierfett nicht den hellblauen Teppich verschmutzte. Dann stöpselten wir die Instrumente in die Verstärker und legten los.
In einer kurzen Spielpause riss ich gerade einen Witz, wie wir dem „bösen Blick“ Sand in die Augen gestreut hätten – als plötzlich gespenstische Ruhe herrschte. Ich drehte mich um und schaute Mrs. Buxton direkt ins Gesicht, die mit ihrem Ausdruck einen Satanisten in die Flucht geschlagen hätte. Niemals zuvor hatte ich einen so hochroten Kopf. Ich fühlte mich, als würde mir die Haut in Streifen abpellen. Entschuldigungen flogen durch den Raum, während wir eingeschüchtert wieder zum Hochofen zurückkehrten.
Hatten seine Eltern womöglich etwas vergessen? Oder kannten sie Glen besser als gedacht? Eins war klar: Wieder einmal erwies er sich als eine große Enttäuschung.
„Ich habe mich niemals so mies gefühlt. Dabei hat sie noch nicht mal geschrien“, meinte Vince kleinlaut. „Könnten wie doch diese unheimliche Energie nutzen!“
Wir nahmen die Instrumente in die Hand und beschäftigten uns mit einigen Fassungen für den Werbeclip unseres neuen – imaginären – Produkts: die „Böser Blick“-Drops.
Vince’ Vater hingegen war ein echt cooler Typ. Er stellte das unter Beweis, indem er den ersten ernsthaften – und bezahlten – Gig für die Earwigs buchte. Zwischenzeitlich hatten wir genügend Lunchtime-Konzerte in der Cortez High gegeben, und nun war es an der Zeit, berühmt zu werden.
Die Dunes Lounge war ein halbwegs anerkannter Schuppen, der an der Straße zur Schule lag. Obwohl die Lehmziegel des Gebäudes eine Art Wüstenkarawanserei vermuten ließen, handelte es sich um eine stinknormale Kneipe, auf deren Bühne kaum mehr als fünf Musiker Platz fanden. Erstmalig spielten wir vor einem Publikum, das fliehen konnte.
Merkwürdigerweise flohen sie auch.
Der letzte übrig gebliebene Gast torkelte aus der mit „SCHEICHS“ markierten Herrentoilette. Während er sich die Hände an der Jeans trockenrieb, taumelte er Richtung Bühne, fischte fünf Dollar aus der Geldbörse und lallte ein kaum verständliches „Melancholy Baby“.
Alle Blickte richteten sich hilfesuchend auf Glen. Er zuckte mit den Achseln. Der Gast ließ die fünf Dollar auf den Boden fallen und latschte unsicheren Ganges zum Ausgang. Durch die geöffnete Tür fiel ein Schwall Sonnenlicht in einen leeren Raum.
Dann entdeckten wir den an der Bar sitzenden Mr. Furnier. Er hatte die ganze Zeit über hier gehockt und warf uns nun einen ermutigenden Blick zu.
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