Grand Central übten, wann immer es nur ging, und begannen bald, in den kleinen Tanzhallen der Stadt aufzutreten. Das Repertoire der Band enthielt dabei auch einige eigene Songs, obwohl keiner davon besonders erinnerungswürdig war. Aber jedes Bandmitglied hatte musikalisches Talent, und Grand Central erspielten sich in der kleinen, aber feinen R&B-Szene von Minneapolis alsbald einen guten Namen. Zu den weiteren nennenswerten Bands zählten Flyte Tyme, bei der die späteren Starproduzenten Terry Lewis und Jimmy Jam mitwirkten (die auch bei The Time spielten) und eine weitere spätere R&B-Größe, Alexander O’Neal. Die Bands standen in freundlicher, aber intensiver Konkurrenz zueinander. Eine Truppe, die sich The Family nannte (und die von Sonny Thompson geführt wurde, der in den Neunzigern zur Band von Prince gehörte), versuchte beispielsweise, besonders einschüchternd zu wirken, indem die Musiker mit langen schwarzen Jacken auf die Bühne gingen, als trügen sie die Farben einer Gang. „Wir versuchten ja nicht, einander umzubringen“, sagte Jellybean Johnson. „Wir wollten die anderen nur von der Bühne schießen.“
Als Grand Central allmählich bekannter wurden, rangen sich Prince und Anderson zu einer unsentimentalen Entscheidung durch. Da sie sich darüber ärgerten, dass sich Charles Smith stark im Footballteam der Schule engagierte und seine Trainingszeiten sich mit den Proben für die Band überschnitten, beschlossen sie einmütig, ihn durch Morris Day zu ersetzen, einem weiteren Freund aus der Nachbarschaft. Als Smith eines Tages im Keller aufkreuzte, musste er feststellen, dass man sein Schlagzeug beiseite geräumt hatte, um Platz für ein anderes zu machen. Obwohl er darüber sehr enttäuscht war, blieb er dennoch lange Jahre eng mit Prince verbunden.
Mit Day erwarb die Band größere Professionalität, unter anderem, weil sich Days Mutter LaVonne Daugherty erbot, als eine Art Managerin für die Gruppe zu agieren. Der Bandname wurde zudem in Champagne geändert, weil Smith darauf bestand, dass der Ausdruck „Grand Central“ seine Idee gewesen war. (Prince, Anderson und Day wollten zudem vermeiden, dass man sie mit Graham Central Station verglich, einem Soloprojekt von Larry Graham, dem Bassisten von Sly & The Family Stone.)
Daugherty, die zwar Ehrgeiz, aber wenig Erfahrungen in der Musik- industrie hatte, wurde von Pepé Willie unterstützt, einem New Yorker, der 1974 nach Minneapolis gezogen war, nachdem er Shauntel Manderville, eine Cousine von Prince, geheiratet hatte. Willie war ein Songwriter, der mit der R&B-Gruppe Little Anthony and The Imperials gearbeitet hatte, und er beantwortete viele der geschäftlichen Fragen, die Daugherty und Prince an ihn herantrugen. Hauptsächlich aus dem Gefühl heraus, der Familie wegen dazu verpflichtet zu sein, begann Willie, zu den Proben der Band zu kommen, bei denen sich Prince schnell als Frontmann von Champagne herauskristallisierte. „Er brach einen Song in der Mitte ab und sagte: ‚Kleinen Moment mal‘, und dann ging er zum Keyboarder und zeigte dem, was er gern hören wollte“, erinnerte sich Willie.
Als Willie Ende 1975 mit seiner eigenen Band, 94 East, ins Studio ging, heuerte er Prince als Sessiongitarristen an. Bei den Proben lernte er dann auch dessen Arbeitsethik kennen: Während die Band Pause machte, um ein Bier zu trinken, gesellte sich Prince nicht zu den Musikern, sondern übte weiter. „Wir kamen dann später wieder, und er lachte uns aus, weil wir rote Augen hatten“, berichtete Willie. „Wir hielten ihn für ein bisschen spießig.“ Bei diesen Sessions, die im Cookhouse in Minneapolis stattfanden, bekam Prince das erste Mal einen Einblick in ein Aufnahmestudio. (Willie, der aus seinem Ruhm ein wenig Kapital schlagen wollte, veröffentlichte einige dieser Demos 1986, 1995 und 2002 unter dem Namen 94 East auf seinem eigenen Label.) Prince war am Songwriting für das Projekt beteiligt und fand es offenbar ziemlich aufregend, seine eigene Musik auf Band zu hören. Wenn er damit begann, einen Titel zu entwickeln, dann hörte er nicht eher auf, als bis die Nummer komplett war, egal, wie spät es darüber wurde. „Manch einer hätte gesagt: ‚Was soll’s, ich hau mich erst mal hin.‘ Aber er war da anders“, sagte Willie. „Wenn er loslegte, dann musste er die Sache auch zu Ende bringen.“
War ein Song abgeschlossen, spürte Prince ein absolutes Hochgefühl. Willie erinnert sich, dass er einmal um vier Uhr morgens von einem Telefonanruf geweckt wurde, als Prince gerade den Text zu „Just Another Sucker“, einem Song von 94 East, fertig gestellt hatte: „Er hatte gerade etwas vollbracht – er war sehr stolz und glücklich, und das musste er jemandem erzählen.“
Nach dieser Erfahrung war Prince umso stärker daran interessiert, mehr von seinen eigenen Songs aufzunehmen, und Anfang 1976 nahmen Champagne ein Demo im ASI Studio auf, einem engen, primitiven Sechzehnspurstudio auf der Northside. „Das Studio war total heruntergekommen“, erinnert sich David Z. Rivkin, der bei diesen Sessions als Toningenieur dabei war und auch später noch häufig mit Prince arbeiten sollte. Die Band, für die Daugherty die Studiozeit bezahlte, spielte sechs eigene Songs ein, darunter das von Prince komponierte „Machine“ (von dem er später sagte, es ginge dabei um die „Körperteile einer Frau“) sowie Andersons „39th Street Party“. Die Aufnahmen dieser Session sind heute vermutlich alle verschollen.
Wenig später gab Prince der Schülerzeitung Central High Pioneer sein erstes Interview. Mit einer gewissen Großmäuligkeit beklagte er sich darüber, dass es für eine Band aus Minneapolis schwer sei, weitab von den großen Unterhaltungszentren New York und Los Angeles nach oben zu kommen. Er behauptete, wenn seine Band in einer dieser Städte lebte, „dann hätten wir unseren Durchbruch schon längst gehabt“.
Prince und Anderson schrieben beide weiter Songs, und im Frühjahr 1976 mietete sich die Band in einem weiteren Studio ein, in dem billigeren Moonsound, das nur über Achtspurtechnik verfügte. Der Eigentümer des Studios, ein großer, schlaksiger Engländer namens Chris Moon, war als Teenager nach Minneapolis gekommen, als sein Vater in der Stadt Arbeit gefunden hatte, und er eröffnete das Studio kurz nach seinem Highschoolabschluss. Hauptsächlich stellte er dort Werbejingles für eine örtliche Werbeagentur her, aber an den Abenden und Wochenenden vermietete er die Einrichtung, sodass Lokalbands wie Champagne eine kostengünstige Möglichkeit bekamen, eigene Aufnahmen zu erstellen.
In seiner Freizeit schrieb Moon, ein verkappter Songwriter, reihenweise Texte. Er fand es jedoch schwierig, die dazugehörige Musik zu komponieren, und er hoffte schon seit Langem, eines Tages auf einen Instrumentalisten zu treffen, der ihm dabei helfen konnte. Während der Champagne-Sessions fiel ihm Prince sofort auf. Der junge Mann machte einen ruhigen und schüchternen Eindruck, und auf den ersten Blick schien er keine Fähigkeiten zu besitzen, die ihn von der Gruppe abgehoben hätten, aber seine Leidenschaft und seine Disziplin ließen dann doch erkennen, dass bei ihm mehr dahintersteckte. Prince erschien bei jeder Session stets früher als die anderen, um allein noch ein wenig zu proben – nicht nur auf der Gitarre, sondern auch auf dem Klavier und auf dem Bass.
Eines Nachmittags, als sie allein im Studio waren, nahm Moon Prince beiseite.
„Ich suche jemanden“, erklärte er, „mit dem ich Musik zu den Texten schreiben kann, die ich verfasst habe.“
Prince sagte nichts; während der Sessions hatte er bisher auch kaum je gesprochen.
„Ich suche außerdem nach einem Musiker, der bei mir freie Studiozeit bekommen würde, um mit ihm ein Projekt aufzubauen und die Musik rauszubringen“, fuhr Moon fort. Prince erkannte, was Moon ihm hier offerierte – im Gegenzug bekam er die Möglichkeit, als Solokünstler und nicht nur als Teil einer Band zu arbeiten.
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