Prince besuchte zunächst die John-Haye-Grundschule in Northside. Er hatte Probleme damit, dass er ein ganzes Stück kleiner war als seine Klassenkameraden. In seinen Songs und auch in Interviews ließ er sich später häufig darüber aus, dass er viele Hänseleien ertragen musste. 1996 sagte er im Gespräch mit Oprah Winfrey, dass die traumatischen Erlebnisse seiner Kindheit, darunter auch die Schikanen seiner Mitschüler, dazu geführt hätten, dass sich in ihm eine zweite, abgespaltene Persönlichkeit entwickelte. „Jüngste Untersuchungen haben ergeben, dass es vermutlich zwei Personen in mir gibt“, sagte er ohne jeglichen Anklang von Ironie. „Ich bin nicht nur vom Sternzeichen her Zwilling. Und wir haben noch nicht festgelegt, welches Geschlecht diese andere Person hat.“
Glücklicherweise brachte ihn der Spott auf dem Schulhof nicht dazu, sich weiter in sich selbst zurückzuziehen. Stattdessen entwickelte er mit neun oder zehn ein komisches Talent und begann, mehr Freunde zu finden. Vor allem wenn er mit Menschen zusammen war, die er kannte, konnte er sich schnell von einem scheuen, introvertierten Kind in einen ausgelassenen, lustigen Jungen verwandeln. „Er war genau wie wir alle – er war lustig und machte Späße“, berichtete Smith.
Auch war Prince kein Außenseiter unter seinen Altersgenossen. Er war schick, aber konservativ angezogen (darauf achtete sein Vater) und hatte sich noch nicht das kryptische Gemurmel angewöhnt, das viele seiner Interviews prägte, nachdem er berühmt geworden war. Dennoch wollte Prince mehr als nur zu einer Gruppe zu gehören: Nach und nach entwickelte er den Wunsch, andere zu überraschen, zu verblüffen und zu schockieren. Dieser Charakterzug wurde noch bestärkt durch eine eigentümliche und etwas zwielichtige Figur in seinem direkten Umfeld: seinen Halbbruder Alfred Nelson, den ersten Sohn von Mattie Shaw. Er war einige Jahre älter als Prince, hatte ebenfalls musikalisches Talent – er sang bei seiner großen Sammlung von James-Brown-Platten voller Inbrunst mit, und er war zudem ebenso schrill und unkonventionell; er trug eine verrückte Frisur im Stil von Little Richard und warf mit Geldscheinen um sich, die wer weiß woher stammten. „Wir glauben, dass er ein Zuhälter oder so was war“, erinnerte sich Smith. Alfred, der gegen Disziplin völlig immun war, kroch gelegentlich spätnachts aus seinem Schlafzimmerfenster und schlich sich aus dem Haus, um später auf demselben Weg zurückzukehren. Manchmal überraschte er dann Prince und Smith, die oft zu ihm kamen, um seine wilden Outfits anzuprobieren und James Brown zu hören.
Zwar ist wenig über Alfreds musikalisches Talent oder seinen diesbezüglichen Ehrgeiz bekannt, aber es ist auffällig, dass sich viele seiner Eigenheiten – ein seltsam schräger Stil bei Kleidung und Frisur, die Begeisterung für James Brown und eine eigenwillige Beziehung zum Essen – auch bei Prince zeigten. Aber Alfred verstand sich letztlich weniger darauf, seine eigenartigen Impulse zu kontrollieren oder in sinnvolle Bahnen zu lenken. Smith zufolge drehte er schließlich durch und landete in einer psychiatrischen Anstalt in Minneapolis.
Während es für Prince in der Schule und mit seinen Altersgenossen allmählich einfacher wurde, verschärfte sich die Situation in der Familie. John Nelson und Mattie Shaw hatten völlig unterschiedliche Charaktere und kamen oft nicht gut miteinander zurecht. „Sie war diejenige, die ausflippte, nicht er“, berichtete Smith. „Ich glaube, dass Nelson wirklich sehr viel an Princes Mutter lag und dass sie nicht oft genug in ihre Schranken gewiesen wurde.“ Es war nicht ungewöhnlich, dass es zu lauten Streitereien kam, bei denen Shaw in Tränen ausbrach. Dazu kam, dass sie ihre Karriere auf Eis gelegt hatte, um sich um die Kinder zu kümmern, während Nelson nach wie vor nachts in den Clubs auftrat. Diese konfliktbeladene Situation war beängstigend und verwirrend für Prince, der in seinem quasi autobiografischen Film Purple Rain ein düsteres Porträt seiner Familie zeichnete. 1996 erzählte er Oprah Winfrey, die Szene, in der seine Mutter weint, nachdem sein Vater sie geschlagen hat, sei der Moment des Films gewesen, der am authentischsten aus seinem Leben erzählt hatte. Die Streitereien gingen weiter, und seine Eltern trennten sich, als er zehn Jahre alt war; später ließen sie sich scheiden.
Als Nelson auszog, ließ er sein Klavier da, und Prince spielte weiter begeistert darauf. Shaw heiratete wenig später Hayward Baker aus Minneapolis, der somit sein Stiefvater wurde. Prince, der kurz vor der Pubertät stand, lehnte es ab, dass nun ein weiterer Mann in sein Leben eindrang, und er geriet häufig mit Baker aneinander. Jahre später beschrieb Prince ihn als distanziert und materialistisch. „Ich konnte ihn von Anfang an nicht leiden“, sagte er 1981der Zeitschrift Musician. „Er brachte uns ständig Geschenke, statt sich mal hinzusetzen, um mit uns zu reden und uns ein Freund zu sein.“
Mit zwölf Jahren bat Prince seinen Vater, ihn wieder zu sich zunehmen. Nelson war dazu bereit, aber dieses Arrangement war nicht von Dauer. Smith zufolge erwischte Nelson Prince mit einer Freundin im Bett und warf seinen Sohn zur Strafe raus. Wie er 1985 in einem Interview mit dem Rolling Stone erzählte, flehte er seinen Vater an, bleiben zu dürfen, und bat auch seine Schwester Tyka, sich für ihn einzusetzen. Als er Nelson schließlich telefonisch erreichte, musste Prince erfahren, dass der immer noch an seinem Nein festhielt: „Ich saß zwei Stunden lang heulend in der Telefonzelle. Das war das letzte Mal, dass ich geweint habe.“
Sie sollten nie wieder zusammen wohnen, aber ihre Beziehung war abwechselnd geprägt von intensiver Zuneigung und zorniger Distanz, bevor Nelson 2001 starb. Prince versuchte als Erwachsener wiederholt, sich Nelson wieder anzunähern – er nannte ihn als Autor für Songs, mit denen sein Vater gar nichts zu tun gehabt hatte, lobte ihn in den Medien in den höchsten Tönen und stellte ihn Größen wie Miles Davis vor. Ganz offensichtlich hatte er den Wunsch, ein enges Band zu seinem Vater zu knüpfen und alte Wunden zu heilen.
Was aber waren das für Wunden? Als hätte es nicht schon gereicht, dass der Vater die Familie verließ und Prince dann später auf die Straße setzte, bestrafte Nelson seinen Sohn zudem auf eine Weise, die emotionale Narben hinterließ. In Purple Rain spielt Prince einen aufstrebenden jungen Musiker, der von seinem launischen, unberechenbaren Vater körperlich gezüchtigt wird. Als Oprah Winfrey ihn 1996 fragte, ob ihn sein Vater je „misshandelt“ habe, antwortete Prince: „Er hatte so seine Phasen.“ Im Song „Papa“ (auf dem 1993 erschienenen Album Come) flüstert Prince: „Misshandelt die Kinder nicht, sonst werden sie so wie ich.“
Allerdings war Prince diesbezüglich nicht immer konsequent – eine Tatsache, die sicherlich auch die widersprüchlichen Gefühle in Bezug auf seinen Vater widerspiegelt. 1999 sagte er Larry King, sein Vater habe ihn nicht „hart“ behandelt, und Misshandlungen erwähnte er nicht. „Ich meine, er war sehr streng, wenn es um Bestrafungen ging, aber das waren alle Väter“, sagte Prince. „Ich habe den Unterschied zwischen Recht und Unrecht gelernt, daher erscheint mir das nicht so hart.“
Nelson selbst verneinte stets vehement, seine Kinder misshandelt zu haben. Charles Smith, der zwar nicht kategorisch ausschließen wollte, dass Prince auch körperlich gezüchtigt worden war, bemerkte zumindest keine Spuren systematischer Gewalt. „Ich habe nie miterlebt, dass Prince oder Tyka besonders schlecht behandelt worden wären“, sagte er.
Nachdem er von seinem Vater auf die Straße gesetzt worden war – an sich im Grunde bereits ein Fall von Kindesmisshandlung –, wurde sein Leben noch schwerer als vorher. Er blieb kurze Zeit bei seiner Tante, Olivia Nelson (John Nelsons Schwester), aber sie wollte oder konnte seine Erziehung nicht langfristig übernehmen. Monatelang pendelte er zwischen verschiedenen Familienmitgliedern und Freunden hin und her. „Ich fand es nicht schön, so herumgeschubst zu werden“, sagte er 1980 der Los Angeles Times. Und zum ersten Mal in seinem Leben lernte er auch wirkliche Armut kennen. Er stellte sich damals sogar oft vor die Tür eines McDonald’s, um das Bratfett zu schnuppern und davon zu träumen, dass er sich einen Burger leisten könnte.
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