Von diesen Grundsätzen ist Prince niemals abgewichen. Höchstwahrscheinlich hat kein anderer Musiker seit der Einführung der Tontechnik so viele Stunden allein mit dem Aufnehmen und Songwriting zugebracht. Seine Lektion für aufstrebende Musiker war stets diese: Man muss sich von niemand anderem abhängig machen.
Natürlich gibt es auch Bereiche in seinem Vermächtnis, die eine kritische Auseinandersetzung erfordern. Das betrifft vor allem seine umstrittenen Werke aus der Zeit zwischen 2001 und 2016, die vor allem eine Frage aufwerfen, die schon seit Jahren diskutiert wird: Hat er in dieser Zeit Herausragendes erschaffen – oder hat hier ein großer Künstler lediglich eine sehr mittelmäßige Leistung abgeliefert? Dieser Frage widme ich mich im Nachwort zu diesem Buch, das ebenfalls nach dem Tod von Prince verfasst wurde. Aber zunächst ist einmal festzuhalten, dass der ursprüngliche Untertitel der englischen Originalausgabe, „Aufstieg und Fall“, nicht nur aktuell unangemessen zu sein scheint, sondern in vieler Hinsicht nicht mehr zutrifft. Vor allem seine Auftritte in den letzten 15 Jahren haben klar gezeigt, dass er sich zumindest in diesem Bereich eher steigerte, als nachzulassen.
Tatsächlich gab Prince gerade in den letzten Monaten seines Lebens einige der beeindruckendsten Konzerte seiner Karriere. Bei diesen Shows saß er allein am Klavier, präsentierte Songs aus seinem umfangreichen Gesamtwerk und überraschte das Publikum mit seinem ausdrucksvollen Spiel. Nicht nur die HardcoreFans, auch die Gelegenheitshörer waren von seinen Interpretationen von „Purple Rain“, „Condition Of The Heart“ und „Strange Relationship“ oft zu Tränen gerührt. Dass die Konzerte in legendären Hallen wie dem Sydney Opera House stattfanden, unterstrich die bewegende Einmaligkeit vieler dieser Events.
Tatsächlich sollten sie einmalig bleiben.
Und dann war da noch die Art, wie er Gitarre spielte. Von Anfang war das eine seiner stärksten Qualitäten gewesen, und in diesem Bereich konnte er sich in den letzten zehn Jahren seines Lebens sogar noch steigern, gehärtet durch mehr Disziplin und Feeling.
Direkt nach seinem Tod erinnerten Presse und Fernsehen oft an sein Solo bei „While My Guitar Gently Weeps“, das er bei einer Veranstaltung der Rock And Roll Hall Of Fame 2004 abgeliefert hatte. Er war Teil einer Supergroup
gewesen, die Tom Petty zu Ehren George Harrisons zusammengerufen hatte, der posthum von der Hall Of Fame gewürdigt wurde. Prince selbst wurde an diesem Tag ebenfalls in diesen erlauchten Kreis eingeführt, aber sein Solo vermittelte vor allem eine gefühlsmäßige Botschaft: formale Bestätigung ist bedeutungslos, verglichen mit der instinktiven Erschaffung von Musik. George Harrison wäre mit der werkgetreuen Präsentation seiner wehmütigen Komposition sicherlich zufrieden gewesen – auch wenn sie ihn in anderer Hinsicht geradezu von der Bühne fegte.
In den Tagen nach seinem Tod erinnerten sich Fans und Kritiker auch gern an seinen Auftritt beim Super Bowl 2007, einem der größten EntertainmentEvents in den USA, den Prince in jenem Jahr absolut beherrschte. Ein Journalist schrieb später: „Das FootballSpiel haben alle inzwischen längst vergessen. An den Regen aber erinnern sie sich noch – an den purple rain.“
Und vielleicht werden die Jahre von 2000 bis 2016 als eine Zeit in Erinnerung bleiben, in der Prince sich als Entertainer für ein Massenpublikum profilierte, aber so, dass es seinen Ruf als Musiker eher stärkte, als von ihm abzulenken. Ob er in dieser Zeit neue Klassiker einspielte, spielt möglicherweise überhaupt keine Rolle.
Mit 17 saß ich niedergeschlagen in einem Kino, das es inzwischen längst nicht mehr gibt, und dachte deprimiert an ein Mädchen, das mir einen Korb gegeben hatte, um mit einem anderen Jungen auszugehen. Von der Leinwand kam aus einer Wolke leicht rosafarbenen Rauchs ein Schrei, der mich aus meiner Starre riss. Prince wälzte sich erst auf einem Klavier, dann auf einem drekkigen Badezimmerfußboden. Die Schreie wurden mit jeder Sekunde lauter.
„The Beautiful Ones“ verlieh den Qualen, die ich fühlte, den perfekten Ausdruck. Als Prince diesen Song in Purple Rain sang, erlebte ich Musik so direkt und persönlich wie nie zuvor.
Aber meine Geschichte ist nur eine von vielen. Es ist auch nur eine sehr unbedeutende, verglichen mit denen jener Millionen von Menschen, die auf ähnliche Weise von Prince Rogers Nelson berührt wurden. Wenn Musik eine Sprache ist, die uns die eigenen Emotionen zu erklären vermag, dann war Prince einer unserer größten Übersetzer und wird es auch bleiben.
Während Großereignisse wie der Super Bowl verdeutlichten, dass Prince längst ein Entertainer von Weltrang geworden war, waren es die berühmten „Afterpartys“, bei denen er eine besonders enge Verbindung mit seinen Fans einging. Meistens erschien Prince nach seinen großen Stadionkonzerten gegen drei Uhr morgens noch in einem kleinen, sehr kurzfristig ausgewählten Club. Dieses anstrengende Programm war dann wohl auch der Grund dafür, dass er seine Mitmusiker und RoadManager so schnell verschliss. Aber Prince, der aus der Energie seiner Fans seine eigene Kraft schöpfte, gab gerade bei solchen Gelegenheiten einige seiner intensivsten, bewegendsten Shows.
1988 hatte ich in Boston einmal die Gelegenheit, einen solchen Auftritt mitzuerleben. Der Club war gerammelt voll mit Fans, die kurzfristig von dem „Geheimkonzert“ erfahren hatten. Prince witzelte: „Ich dachte, das sollte eine kleine, entspannende Afterparty werden.“ Wir flippten alle total aus. So viel dazu.
Wie üblich hatte Prince an diesem Abend ein wissendes, leicht arrogantes Lächeln auf den Lippen. Aber einen kurzen Augenblick lang sah ich noch etwas anderes – einen Hauch von Verletzlichkeit in seinem Gesicht und Dankbarkeit in seinen Augen. Er genoss sein Leben, liebte seine Arbeit und wusste es zu schätzen, von seinen treuesten Fans umgeben zu sein.
„Ich hatte noch nie so viele Kumpel“, sagte Prince.
Damit hatte er recht.
Alex Hahn, Juni 2016
Vorspiel
21. April 1996, Chanhassen, Minnesota
Die Probleme im Leben von Prince hatten sich zu einem derartigen Berg aufgetürmt, dass auch sein legendäres Talent, seine Energie und seine Leidenschaft davor kapitulierten. Die Kontrolle – das zentrale Thema in seinem Leben, von dem er geradezu besessen war – drohte ihm an den verschiedensten Fronten zu entgleiten.
Seine Finanzen waren in einem chaotischen Zustand. Nur zwei Tage zuvor hatte er sich gezwungen gesehen, den größten Teil seines Mitarbeiterstabs der Paisley Park Studios, seines Aufnahmekomplexes in Chanhassen, zu entlassen. Dabei war er ausschließlich selbstverschuldet in die roten Zahlen geraten; Prince produzierte ständig teure Musik und Videoprojekte, veröffentlichte sie dann aber anschließend nicht. Zahlreiche lokale und überregionale Unternehmer – Studiobesitzer, Modedesigner, Videoregisseure und andere – mussten feststellen, dass es Prince kaum noch möglich war, ihre Rechnungen zu bezahlen. Prince hatte nicht einmal mehr eine Band. Im März hatte er den Musikern seiner Begleitband, der Power Generation, unvermittelt eröffnet, sie stünden nicht mehr auf der Gehaltsliste.
Zudem stand Prince, der lange ein überzeugter Junggeselle gewesen war, kurz davor, Vater zu werden. Seine junge Frau Mayte Garcia, die er einige Monate zuvor am Valentinstag geheiratet hatte, war schwanger und sollte im November ihr Kind bekommen. Nachdem er sich öffentlich zu Werten wie Monogamie und Familie bekannt hatte, stand Prince nun unter dem enormen Druck, sich an einen Lebenswandel zu gewöhnen, der sich völlig von dem unterschied, dem er sich sein ganzes Erwachsenenleben lang hingegeben hatte.
Seine wichtigste Geschäftsbeziehung, die seit achtzehn Jahren bestehende Bindung an Warner Bros. Records, stand vor dem Ende. In den Jahren zuvor hatte sein fanatisches Bestreben, seine Karriere und seine Musik ausschließlich selbst zu kontrollieren, zu einem bitteren, von den Medien weltweit mit großem Interesse beobachteten Rechtsstreit mit dem Label geführt. Er verglich die Geschäftsführer mit Sklavenbesitzern und hatte sich bei öffentlichen Auftritten das Wort „slave“ – Sklave – auf die Wange gemalt. Während er nun in Chanhassen saß und wartete, waren seine Anwälte in Los Angeles damit beschäftigt, in angespannten Gesprächen mit den Warner-Vertretern darüber zu diskutieren, wie man die Verbindung, die für beide Seiten unproduktiv und peinlich geworden war, am besten beenden könnte. Der Vertrag, der Prince für jedes Album, das er ablieferte, eine Million Dollar garantiert hatte, würde damit null und nichtig werden.
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