Schließlich kam Prince dauerhaft bei Bernadette Anderson unter, der Mutter seines engen Freundes André. Mistress Anderson, die wie die Nelsons ebenfalls zu den Adventisten des Siebten Tags gehörte, war eine jener Frauen, wie man sie in den ärmeren afroamerikanischen Vierteln öfter antraf und welche die Probleme ihrer Gemeinde als ihre eigenen betrachteten. Zwar hatte sie sechs eigene Kinder, aber sie nahm Prince wie einen Sohn bei sich auf und kümmerte sich für den Rest seiner Teenagerjahre um seine Erziehung. „Sie war jedem eine Mutter“, sagte Smith. „Wenn sie mit dem Auto vom Einkaufen kam, dann teilte sie alles mit jedem.“
Nachdem er nun wieder das dringend nötige Gefühl verspürte, einen festen Halt im Leben zu haben, konzentrierte sich Prince auf den Unterricht an der Bryant Junior High School. Er kam in die Basketballmannschaft der Schule und freundete sich eng mit einem Mitspieler namens Duane an, der bald den Namen Duane Nelson tragen und sein Stiefbruder werden sollte, als John Nelson wieder heiratete. Von Anfang an spielte ein gewisses Konkurrenzdenken in ihrer Freundschaft eine große Rolle, weil Duane, der höher aufgeschossen war und besser aussah, größere Chancen bei den Mädchen hatte. (Prince thematisierte in dem Song „Lady Cab Driver“ auf 1999, wie sehr ihn diese Situation damals frustrierte.)
In der Highschool wurde Prince schnell klar, dass seine Stärken nicht unbedingt auf sportlichem Gebiet lagen. Er begann auf der Central High immer mehr, sich mit Musik zu beschäftigen, und er besuchte eine Reihe verschiedener Kurse. Sein Talent blieb dabei nicht unentdeckt. Sein Lehrer John Hamilton schloss während der Mittagspause das Musikzimmer ab, damit Prince ungestört auf dem Klavier und den anderen Instrumenten üben konnte. Außerdem besuchte Prince auch einen eher ungewöhnlichen Kurs, den Hamilton „Musikbusiness“ nannte und in dem die Schüler die juristischen und finanziellen Grundsätze lernten, nach denen die Musikindustrie vorging. Der Lehrer gab Prince zudem Einzelunterricht an Klavier und Gitarre. Mark Brown, ein anderer Central-Schüler, der ähnlich von Hamilton gefördert wurde (und der später sein Bassist wurde), beschreibt seinen Lehrer als sowohl ermutigend als auch streng. „Er wollte, dass ich Noten lesen lerne, und da stimmten wir überhaupt nicht überein“, sagte Brown. „Aber er war ein toller Lehrer, und er hat einen wirklich vorangetrieben.“
Sein Freund und Ersatzbruder André Anderson (der später den Namen André Cymone annahm) interessierte sich ebenfalls für Musik, und die beiden begannen regelmäßig im Keller von Andrés Mutter zu jammen. Etwa zu dieser Zeit kaufte John Nelson – vielleicht als Friedensangebot in ihrer schwierigen Beziehung – Prince eine Gitarre. Anderson lernte Bass, und Smith brachte ein kleines Schlagzeug mit, um seinerseits zu dem Lärm beizutragen. „Ich sagte Prince, dass er auf keinen Fall Gitarre spielen könnte, weil er doch eigentlich Pianist war“, erinnert sich Smith. „Er bewies, dass ich völlig Unrecht hatte, indem er im Handumdrehen Gitarre lernte.“ Den Gesang in dieser spontan zusammengestellten Truppe übernahm zunächst Smith.
Oben im Haus teilte sich Prince mit Anderson ein Zimmer. Sie waren zwar gute Freunde, aber das enge Miteinander brachte dennoch Probleme: Auf Andersons Zimmerseite lagen überall Sachen herum, während es bei Prince so aufgeräumt war wie in einem Armeespind. Obwohl er nicht mehr bei seinem Vater lebte, schien dessen disziplinierte Lebenseinstellung doch großen Einfluss auf Prince zu haben, der nun in den Keller zog, weil er dort besser Ordnung halten und auch mehr Privatsphäre genießen konnte. Bernadette Anderson hat dieser Darstellung widersprochen, wohl weil sie auf keinen Fall den Eindruck aufkommen lassen wollte, dass ihr Ziehsohn nicht gut behandelt wurde, aber Prince hat das immer wieder betont.
Im Keller hatte er zudem seine Instrumente gleich zur Hand; Prince hatte bereits begonnen, die Grenze zwischen Zuhause und musikalischer Arbeitsstätte zu verwischen. Der Keller wurde zudem so etwas wie ein privates Universum – ein kleiner Ausschnitt der Welt, in dem er alles komplett unter Kontrolle hatte. Es war zwar ein dunkler Raum ohne allzu viel natürliches Licht, aber dennoch fühlte er sich hier am wohlsten, und es war ein erstes Modell für die isolierten Aufnahmestudios, in denen er den größten Teil seiner wachen Stunden in den nächsten dreißig Jahren verbringen sollte.
Man schrieb nun das Jahr 1974, und Auseinandersetzungen über eine ganze Reihe gesellschaftspolitischer Themen erschütterten die Städte der USA. Vornehmlich ging es dabei um den Vietnamkrieg und um die Rassenfrage, ein Thema, das sich in den Siebzigern vor allem daran entzündete, dass per Gerichtsbeschluss häufig schwarze Kinder in weiße Viertel zur Schule geschickt wurden und umgekehrt. So wurden auch weiße Kinder der vor allem von Afroamerikanern besuchten Central High zugewiesen, und Mitte des Jahrzehnts war das Verhältnis weißer und schwarzer Schüler dort beinahe ausgewogen. Bei einem Ehemaligentreffen 1996 erinnerten sich frühere Schulangestellte kaum an eine angespannte Lage, wie sie in anderen amerikanischen Großstädten die Regel gewesen war. „Meiner Meinung nach war die Central zwischen 1971 und 1981 eine der Schulen in Minnesota, bei denen die Integration ausgesprochen friedlich verlaufen war“, wusste die ehemalige Musiklehrerin Bea Hasselmann der Minneapolis Star Tribune anlässlich dieses Events zu berichten.
Von anderer Seite wird diese rosarote Darstellung angezweifelt. Mark Brown, der dort auch noch in den späten Siebzigern zur Schule ging, als Prince bereits seinen Abschluss gemacht hatte, erinnert sich an „sehr viele Spannungen und viele Kämpfe“ zwischen Schwarzen und Weißen. „Eine Trennung bestand trotzdem: Schwarze trafen sich mit Schwarzen und Weiße mit Weißen.“
Aber falls die Rassendiskriminierung wirklich den Alltag an der Central High School prägte, dann hatte das auf Prince offenbar insofern wenig Einfluss, als er keine Bitterkeit gegen Weiße entwickelte. Als er einige Jahre später seine erste Profiband zusammenstellte, wählte er bewusst sowohl weiße als auch schwarze Musiker. Auch bot seine Hautfarbe ihm während seiner Teenagerzeit keine starke Identifikation; zwar war er hauptsächlich mit schwarzen Freunden aufgewachsen, und seine Eltern waren schwarz, aber während der ersten zehn Jahre seiner Karriere bestritt er ganz bewusst, eine von seiner Rassenzugehörigkeit geprägte Identität zu haben. (In frühen Interviews gab er fälschlicherweise an, seine Eltern seien ein gemischtrassiges Paar gewesen.) Erst ab Mitte der Neunziger, als er seinem Plattenvertrag zu entkommen suchte, den er mit Sklavenhalterei verglich, stellte Prince sich selbst als unterdrückter schwarzer Amerikaner dar. Und selbst da führte er eher die allgemeine wirtschaftliche und soziale Unterdrückung ins Feld, um sein eigenes schweres Los zu illustrieren.
Auch die antiautoritäre Haltung, die von den gesellschaftskritischen Bewegungen der Sechziger und Siebziger propagiert wurde, hatte wenig Einfluss auf Prince – oder vielleicht war es eher so, dass dieser Einfluss sich verspätet bemerkbar machte. Zwar galt Prince zwischen zwanzig und dreißig als selbst gestylter Kulturrebell, aber auf der Highschool war er weder Unruhestifter noch Agitator. Smith erinnert sich, dass Prince die Schule sehr diszipliniert anging und seine Hausaufgaben oft schon vorab, immer aber rechtzeitig machte. Diese Einschätzung bestätigt auch seine Toningenieurin Rogers, die Mitte der Achtziger auf eines seiner Zeugnisse stieß und sich erinnert, er habe zwei Zweien und eine Eins bekommen und sei als „ruhiger, fleißiger, gehorsamer Schüler mit Respekt für die Obrigkeit und seine Lehrer“ beschrieben worden.
Aber seine wahren Interessen lagen außerhalb des Unterrichts. Jeden Tag nach der Schule zogen sich Prince, Anderson und Smith in den Keller zurück und jammten stundenlang. Sie spielten dabei nicht nur ihre eigenen Songs – hauptsächlich unstrukturierte Instrumentals –, sondern auch eine Reihe von Coverversionen. Sie brachten sich die Titel bei, die sie von Santana, Grand Funk Railroad oder anderen Bands im Radio hörten.
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