Zwar trat Prince in der ganzen Welt auf, aber den größten Teil seines Lebens verbrachte er in kleinen, ruhigen Vororten in der Nähe der Gegend, in der er aufgewachsen war. Diese Umgebung wurde schließlich zur Metapher für sein Einsiedlertum und sein Misstrauen gegenüber Außenstehenden. „Ich werde immer in Minneapolis leben“, sagte Prince 1996 Oprah Winfrey. „Da ist es so kalt, dass es die bösen Menschen abschreckt.“
John Nelson, der Sohn kleiner Farmpächter, dessen Großeltern noch Sklaven gewesen waren, zog 1956 aus Louisiana nach Minneapolis, nachdem er sich von seiner ersten Frau Vivienne hatte scheiden lassen. Ihn lockten die starke Wirtschaft des Industriestandorts und die Tatsache, dass die Stadt Minderheiten gegenüber als sehr tolerant galt, und er ließ sich mit seinen zwei Töchtern Lorna und Sharon sowie seinem Sohn John Jr. im Norden von Minneapolis nieder, einer Arbeitergegend, in der viele Afroamerikaner lebten und die allgemein Northside genannt wurde. Nelson war klein – nur etwa eins sechzig, aber gut aussehend und stets perfekt gekleidet. Er fand eine Stelle bei Honeywell Electronics, wo er Plastikteilchen formte, und blieb bei dieser Firma, bis er dreißig Jahre später in Rente ging. Er war der ideale Arbeitnehmer: Er war ruhig, sprach nicht viel, war ordentlich, hatte feste Gewohnheiten und war enorm diszipliniert.
Nelsons wahre Leidenschaft galt der Musik. Er war ein talentierter Pianist und passte daher perfekt auf die Northside, wo es zahlreiche Jazzclubs und Bluesbars gab. Nelsons gute Konstitution ermöglichte es ihm, jeden Tag bei Honeywell zu schuften und dann bis in die frühen Morgenstunden in diesen kleinen Clubs vor Ort aufzutreten. Seine Band, das Prince Rogers Trio (das nach seinem Bühnennamen benannt war), erspielte sich in der Umgebung einen guten Ruf.
Nelson war ein zurückhaltender Mann mit einem sehr lebendigen Sinn für Humor. Er wirkte ruhig und selbstbewusst, aber viele Menschen fanden ihn seltsam; ein Mitarbeiter von Prince in den Neunzigern verglich Nelson mit Chauncey Gardiner, dem geheimnisumwitterten Helden des Films und Romans Willkommen, Mr. Chance. Gelegentlich jedoch traf Nelson auf einen der seltenen Menschen, die seine Art der Kommunikation perfekt verstanden. Dazu gehörte beispielsweise der große Trompeter und Bandleader Miles Davis, den er 1987 bedingt durch den Ruhm seines Sohnes kennen lernte. „Sie waren beide ein wenig exzentrisch und verrückt – sie verstanden einander sehr gut“, erinnerte sich Susan Rogers, die lange Zeit als Tontechnikerin für Prince tätig war. Als sie sich in dem Aufnahmestudio trafen, in das Prince Miles eingeladen hatte, sah Nelson ihn genau an und sagte beiläufig: „Ich mochte diese Hosen, diese gestreiften, die Sie bei den Grammy Awards getragen haben.“
Miles dachte darüber nach und sagte dann: „Ich habe keine gestreiften Hosen.“
„Doch, sicher, ich habe Sie doch damit gesehen“, erwiderte Nelson unbeirrt.
Nachdem sie sich an diesem Thema festgebissen hatten, diskutierten die beiden Jazzer hin und her, ob es die gestreiften Hosen nun gab oder nicht. Prince hielt sich im Hintergrund, beobachtete den bizarren Wortwechsel und musste sich das Lachen verkneifen.
Schließlich erinnerte sich Miles an das fragliche Kleidungsstück. „Ja, jetzt fällt es mir ein. Ich habe gestreifte Hosen“, sagte er. „Sie sind aus Aalhaut gemacht. Aalhaut, wie in Vietnam!“
Nelson lächelte; er schien genau zu wissen, was Miles meinte.
Musikalisch konnte er Miles (und auch seinem Sohn) zwar nicht das Wasser reichen, aber Nelson war dennoch ein talentierter Jazzpianist. Das Prince Rogers Trio spielte nicht nur Standards, sondern auch einige von Nelsons eigenen Kompositionen, bei denen es sich um abstrakte, nicht lineare Stücke handelte, die gelegentlich an Thelonious Monk oder Duke Ellington erinnerten. Nelsons Musik war, wie er selbst, eine Herausforderung, wenn man sie richtig verstehen wollte. „Es waren ausufernde Balladen, sehr unstrukturiert, mit vielen Pausen und seltsamen Phrasierungen“, sagte Rogers, die auch einmal eine Session für Nelson mitschnitt.
1956 traf Nelson, als er bei einer Tanzveranstaltung in Northside aufspielte, die Jazzsängerin Mattie Shaw. Auch sie stammte eigentlich aus Louisiana und war mit ihrer Zwillingsschwester Edna Mae in den Fünfzigern nach Minneapolis gezogen. Ihre Stimme erinnerte viele Zuhörer an Billie Holiday. Sie war Anfang zwanzig und hatte schon eine Ehe hinter sich, aus der ein Sohn, Alfred, hervorgegangen war. Der sechzehn Jahre ältere Nelson bat sie, seiner Band beizutreten, und das tat sie: Wenig später waren sie auch privat ein Paar, und sie heirateten 1957. Die ganze Familie zog nach Northside in ein bescheidenes Häuschen in der Logan Avenue 915.
Prince, ihr erstes gemeinsames Kind, kam am 7. Juni 1958 im Mount-Sinai-Krankenhaus im Zentrum von Minneapolis zur Welt. Sein ungewöhnlicher Name war dem Künstlernamen seines Vaters entlehnt und spiegelte auch die hohen Erwartungen, die wohl alle Eltern mit ihren Neugeborenen verknüpfen. „Ich nannte meinen Sohn Prince, weil ich wollte, dass er all das verwirklicht, was ich mir je vorgenommen hatte“, sagte Nelson 1991 in der TV-Show A Current Affair.
Ein zweites Kind, Tyka, kam 1960 zur Welt. Jetzt war die Familie komplett – Vater, Mutter und sechs Kinder (aus drei verschiedenen Ehen), die von Nelsons bescheidenem Einkommen lebten. Doch irgendwie gelang es ihnen, nicht in Armut zu versinken. Charles Smith, ein Cousin zweiten Grades von Prince, hat das Haus der Nelsons als makellos sauber und sogar recht nobel in Erinnerung, jedenfalls im Vergleich zum Haus seiner eigenen Eltern. Nelson baute in die Wohnzimmerwand schließlich sogar einen Fernseher ein, und das erschien Smith, der seinen Vater leider nicht dazu überreden konnte, es ihm gleichzutun, als Merkmal äußersten Wohlstands. Smith berichtet zudem, dass Nelson die ganze Nachbarschaft mit seinem geschniegelten Äußeren beeindruckt habe. „Seine Schuhe passten stets zu seiner Kleidung, und er war immer sauber und ordentlich“, sagte Smith. „Wir gingen immer zu ihm und bettelten darum, dass er seinen Schrank öffnete und uns seine Anzüge zeigte.“ Seinem Sohn war Nelson in jeder Hinsicht ein Vorbild: Prince bewunderte seine musikalische Kreativität, seine extravagante Kleidung und seine Disziplin.
Shaw, die ihren Ehemann in der Regel Prince nannte, gab ihrem Sohn den Spitznamen Skipper, der sich auch einprägte. Über Jahre hinweg bestand er darauf, dass er von Familie und Freunden so genannt wurde, und er wurde bockig, wenn man Prince zu ihm sagte. Mit sieben Jahren konnte er bereits recht fließend auf dem Klavier seines Vaters spielen, und es war klar, dass die Musik in seinem Leben eine bedeutsame Rolle spielen würde. Dennoch hatte er andere Interessen – typisch für einen Jungen in seinem Alter: Sport, vor allem Tischtennis und Basketball. Smith erinnert sich, dass Prince in beiden Sportarten recht gut und überaus ehrgeizig war. Er liebte es zu gewinnen und tat das auch immer. Mitte der Achtziger, bei einem Treffen mit Michael Jackson, forderte Prince seinen Erzrivalen zu einer Partie Tischtennis heraus. Um den selbst ernannten King of Pop von vornherein einzuschüchtern, schmetterte Prince den Ball wütend quer über die Platte, seinem Gegner entgegen.
Zwar sollte ein fester Glaube in seinem Leben später eine große Rolle spielen – auf den Dankeslisten der Albumcover stand Gott jedes Mal ganz oben –, aber das lag nicht unbedingt daran, dass man ihn von Kindesbeinen an mit Religion indoktrinierte. Die Nelsons waren praktizierende Adventisten des Siebten Tags, und Prince besuchte den Bibelunterricht. In späteren Interviews beklagte er sich, dass ihm bei den Gottesdiensten, die er als Kind besuchen musste, lediglich der Chor gefallen habe. Während er jedoch keine Affinität für irgendeine organisierte Religion entwickelte, absorbierte er mit Sicherheit die grundsätzliche christliche Lehre, die auf ihn einen großen Eindruck machte. Die Vorstellung eines allmächtigen Gottes, der gute Taten belohnen und das Böse bestrafen würde, war in seinem Bewusstsein fast immer fest verankert.
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