„It’s A Long Way To The Top“, einer der größten Rocksongs aller Zeiten, wurde jedoch mit keinem ähnlich gezwungenen Lob abgefeiert, als es wichtig gewesen war. Die wohlwollende Kritik kam viel zu spät und fiel nicht überzeugend genug aus.
Wie die meisten Kritiker verstehen Altman und Hilburn – Letzterer vertritt keine so harsche Ansicht – die Cleverness von AC/DC nicht.
AC/DC sind nicht im Musikbusiness, weil sie das Überschreiten von Grenzen beabsichtigen – obwohl sie das durch die Weigerung, Trends und modischen Strömungen hinterherzulaufen, eigentlich recht gut machen. Es ist eher eine Art Urschrei. Packende Melodiebögen und Boogie-Rhythmen sind für ursprüngliche Musik essenziell. Doch diese Form der Ursprünglichkeit schmeckt den Kritikern nicht.
Clive Bennett von der Times benutzte das gleiche Wort in der Besprechung einer AC/DC-Show Ende 1976 im Hammersmith Odeon: „Meine Kritik bezieht sich auf ihre Musik, nicht auf die Texte, die simpel und hemmungslos das ausdrücken, worüber wir schon unzählige Male mit einer ähnlichen Offenheit im Privaten gesprochen haben. Musik jeglicher Form muss die Instrumentalisten anspornen und mehr fordern als die Fähigkeit, bis zur Besinnungslosigkeit auf die Instrumente einzudreschen. AC/DC existieren jedoch in diesem ursprünglichen Zustand.“
Na und? Ist doch scheißegal!
Tony Platt sagt: „Wenn man zu dieser Schicht oder auch Ebene vorgedrungen ist, wird man sich das wohl als letztes dadurch vermasseln, dass man es versteckt oder in einer anderen Art und Weise verhüllt. Die Kritiker verstehen nicht die Essenz von AC/DC – die Basis der Musik.“
Mike Fraser teilt die Auffassung.
„Solange ich die Band kenne, haben sie immer die Musik gespielt, die ihnen gefällt, und sich nie Gedanken über die Kritiker gemacht. Angus verriet mir mal: ‚Wir machen die Musik, die wir mögen und die wir spielen wollen. Wenn die Fans darauf stehen und die Platten kaufen, ist das nur ein Bonus für uns.‘ Für die Jungs ist es sehr wichtig, an einem Stil zu arbeiten, den sie lieben. Bei allen bislang aufgenommenen Alben haben sie nie einen Song produziert, um sich einer Ära oder Modeerscheinung anzubiedern: Keine Keyboards, keine Disco-Beats, keine Bläser-Sektionen. Wenn ein Fan sich eine AC/DC-Platte zulegt, weiß er, was er bekommt. Ich stimme dir zu: Das ist eine Art des Überschreitens einer Grenze. Nur AC/DC können sich so etwas erlauben, denn sie werden nie langweilig. Wen könnte so eine Leidenschaft beim Spielen langweilen?“
Millionen von Fans auf jeden Fall nicht, wie Angus einmal hervorhob.
„Wir haben das grundlegende Feeling, das die Kids mögen. Sie wollen rocken – und das war’s schon. Schlägt man einen Akkord an, machen das viele der Kids nach. Sie sind so eng mit der Band verbunden, dass sie bei allen Bewegungen mitgehen. Wenn man eine Menschenmasse dazu bringt, als Ganzes zu reagieren – ja, das ist ideal. Viele Bands haben das nicht drauf: Darum sind die Kritiker im Unrecht.“
John Swan meint: „Ich glaube nicht, dass AC/DC ihren Ansatz ändern können, denn sie wollen es einfach nicht. Es geht auch so voran. So lange mein Arsch sich noch über der Erde bewegt, werden AC/DC nichts anderes als AC/DC sein.“
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Der Sounds-Journalist und spätere Band-Biograf Phil Sutcliffe ist einer der Männer, die die Gruppe verstehen. Er schrieb 1976: „Die Rhythmen treffen dein Herz wie ein Hammerwerk … die Musik der beiden Youngs wirkt wie eine Metallstanze in einer dunklen Nacht. Sie vereint glühende Hitze und Energie zu einem Klang, der so schön wie kräftig ist.“
In Mark Evans Dirty Deeds – Meine wilde Zeit mit AC/DC, bis zum heutigen Tag die einzige Autobiografie eines AC/DC-Mitglieds, findet sich eine interessante und treffende Passage, die perfekt die einzigartige Power der Band beschwört. Nachdem sie in Sydney in den Pubs bis zum Abwinken gespielt hatten, erreichten sie nach einer einmonatigen Pause London. Die fünf Mitglieder – Angus Young, Malcolm Young, Mark Evans, Bon Scott und Phil Rudd – platzen fast vor Spiellaune und arrangierten einen Gig im Red Cow in Hammersmith. Es war ein kostenloses Konzert in einem winzigen Pub vor vielleicht 30 Kneipengängern, die schon bald weggeblasen wurden.
Evans erinnert sich: „Wir eröffneten das Set mit ‚Live Wire‘. Meine Bassnoten schwebten quasi in die Luft, dann kamen Mals fette Akkorde dazu und Phils Hi-Hat-Becken lieferten einen straighten Rhythmus. Als Angus und Phil zusammen mit dem kompletten Drum-Set mit brachialer Gewalt einstiegen, explodierte der Song. Es war so energiegeladen, dass ich das Gefühl hatte abzuheben. Der Sound klang unverkennbar nach AC/DC. Das hört sich ein wenig lächerlich an, doch wir hatten so lange keinen Gig mehr gespielt und waren bereit, ein Statement abzugeben. Man spürte das wahnsinnige Gefühl der Energie – nicht die chaotische, extrem laute und unkontrollierte Energie, die man oft bei Bands antrifft – sondern Power der Marke AC/DC. Laut, sauber, tief, knurrend und voller Rhythmus. Wir waren wieder da, feuerten aus allen Rohren und Bon hatte noch nicht mal seine Kauleiste geöffnet.“
Evans hob ab! Das sollte die Musik auch bewirken, und er spielte sie.
Barry Diament, der einige ihrer Alben für das CD-Format gemastert hat, kommentiert das: „Exakt in der verhältnismäßigen Einfachheit der Musik generieren Malcolm und Angus ihre Energie. Ich würde den Begriff ‚primitiv‘ benutzen, doch nicht in einem negativen Sinn, sondern als positives Attribut, den rauen Sound der Musik beschreibend, den ich wahrnehme. Es ist eine ‚Direkt in die Magengrube‘-Erfahrung, die jeder Zuhörer sofort spürt.“
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An AC/DC oder ihrer Musik gibt es nichts zu mäkeln. Sie waren die Opfer fauler Journalisten und auf einer anderen Ebene von Klassenvorurteilen. Die Musik der Youngs und generell Rock ’n’ Roll im weitesten Sinn haben das Recht, im selben Atemzug mit großen Gemälden genannt zu werden, Büchern oder der Architektur, denn es sind alles Kunstformen. Ich würde Kunst als ein Handwerk bezeichnen, das einen außenstehenden Menschen aufgrund der Geschicklichkeit, der Kreativität, des Talents und der Vorstellungskraft auf eine andere Ebene erhebt, das ein Gefühl der Lebendigkeit transportiert. Dass man ihre Musik als anspruchslos, nicht einer Auseinandersetzung würdig beschreibt, weil angeblich so viele AC/DC-Fans in schwarzen T-Shirts herum laufen, billiges Bier kippen und ihre CDs im Wal-Mart kaufen, ist geringschätziger Schwachsinn. Keinem anderen Act ist es gelungen, so eine Menge guter Musik in die Stadien zu bringen, die Arenen, Bars, Autos, Truck-Stops, NachtClubs, Striptease-Läden, Wohnzimmer und Sportplätze.
Phil Jamieson von Grinspoon, der bei dem Vanda & Young-Remake des Songs „Evie“ mitmachte – produziert 2004 zugunsten der Opfer des Tsunamis am zweiten Weihnachtsfeiertag –, erklärt dazu: „Die Youngs sind verdammt hartnäckig. Die lassen sich nicht hängen. Neben den vielen Hits und all den großen Songs haben sie die Fähigkeit, ohne Verzierungen auszukommen – plastische Chirurgie, Stroboskop-Licht, Nebelmaschinen – die brauchen nichts davon. Sie benötigen lediglich vier Verstärker, eine Stimme und ein Schlagzeug, und darum verehre ich sie. Sie verlassen sich nicht auf ein Playback. Es ist eine wahre Rock ’n’ Roll-Band. Wenn man etwas so Energiegeladenes erlebt – das ist unvergleichlich. Und das macht es aus. Jeder Typ mit einem Gitarrenverstärker, ein Drummer und irgendein Kumpel glauben, dass sie das vielleicht auch könnten. Hier wird aber nichts von Leuten definiert, die eine Musikhochschule besuchen und Noten lesen können. Die Musik ist für alle.“
„Als Produzent von Rockmusik achtet man auf die Reaktionen beim Hörer“, erklärt Mark Opitz, der Tontechniker von Let There Be Rock und Powerage, „auf die emotionale Reaktion, die Verbindung zur Musik. Texte sind unglaublich wichtig, aber die Melodie und der Rhythmus – darin liegt das Geheimnis. Sie bringen einen zum Tanzen. Durch sie wird die Energie freigesetzt. Man will immer weiter machen. Das Tempo ist meistens perfekt auf den Herzschlag abgestimmt. Niemand wird hier so heftig angeschoben wie beim Thrash. Es hat diese Intensität, den verdammten ‚Herz-Rhythmus‘. Beim Begriff Tanzen meine ich natürlich nicht das herkömmliche Tanzen. Ich meine Bewegung. Mit den Füßen aufstampfen, ähnlich einem Afrikaner. Sich von der einen zu anderen Seite bewegen, den Kopf bewegen, headbangen. Das ist eine Art ‚Männertanz‘. Da wird Testosteron in die Blutbahn geschossen. Ja, rechnet man alles zusammen, passiert genau das. Wie beschreibt man den chemischen Prozess im Gehirn, der das auslöst? Ich bin mir da nicht sicher, aber ich kenne einen direkten Weg – Melodie und Rhythmus!“
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